Darf man denn noch? Meine hilfreiche Regeln für Diskussionen und Zweifelsfälle

(8 Kommentare.)

Hier noch mehr Content, den man in unseren Zeiten schon politisch nennen könnte.

Die Grünen sind eine Verbotspartei

Irrelevant. Nenne konkrete Verbote oder Einschränkungen (keine erfundenen) und erkläre, warum die falsch oder unnötig sind. Ähnlich: FDP als Klientelpartei, auch da konkrete Vorwürfe, was leichter ist.

Witze über Cultural Appropriation

Erlaubt. Aber nur, wenn man verstanden hat, was das ist.

Witze über Gendern

Erlaubt. Verboten: Schlechte Witze über Gendern.

Witze über CSU-Verkehrsminister

Erlaubt. Dass die inkompetent waren, darüber sind wir uns einig? Jedenfalls falls die ihre Aufgabe so sahen wie Bürger:innen sie sehen; nach einer anderen Agenda haben sie vielleicht das erreicht, was sie wollten, aber da nähert man sich schon der Verschwörungstheorie. Wenn jemand über diesen Punkt diskutieren will, gerne, dann nehme ich ihn vielleicht wieder heraus, aber das kann ich mir nicht vorstellen.

Biologisch gibt es nur zwei Geschlechter

Irrelevant. (Ein Thema für die Naturwissenschaft, nicht für die Gesellschaft; die Naturwissenschaft ist sich nicht so einig, aber wie gesagt: irrelevant.)

Ich bin Ingenieur, ich weiß, warum diese energiepolitische Entscheidung unsinnig ist

Siehe auch: Ich bin Arzt, ich weiß… Ist erlaubt, definitiv. Aber man darf auch die Augen rollen darüber.

Mainstreammedien, Lügenpresse

Wer das sagt, beansprucht für sich Geheimwissen. Siehe: Verschwörungserzählung. Forderungen nach Einschränken des öffentlichen Rundfunks riechen immer nach dem Wunsch, Pressefreiheit einzuschränken und rufen Skepsis hervor.

Ich bin ja auch für Umweltschutz, aber die Grünen/Fridays/Klimakleber handeln kontraproduktiv

Das ist schwer zu beurteilen, jedenfalls nicht von vonherein unsinnig. Den ersten Teil nehme ich aber nur ernst, wenn man gleichzeitig darauf drängt, dass andere Parteien und Institutionen unsere Umwelt und Zukunft ernst nehmen. Wieso macht die CDU Umwelt und Zukunft nicht zu ihrem Thema?

Technologieoffen

Etwas anderes offen. Nein, wirklich, „irgendwann in der Zukunft wird es schon eine Lösung geben“ ist Wolkenkuckucksheim.

Wird es uns nicht allen schlechter gehen?

Doch ja. Das heißt, wir werden uns einschränken müssen; ob uns das weniger glücklich macht, ist eine andere Frage. Außerdem scheint es mir wichtiger, ob der gemeinsame Wohlstand besser verteilt wird, als das jetzt der Fall ist. (Das kann die Politik aber alles so kaum sagen, jedenfalls nicht, solange das aus populistischen Gründen geleugnet werden kann.)

Aber das Gendern!

Wer’s mag, soll’s machen; wer nicht, soll’s nicht machen. Wer es zu einem Thema hochkocht, will von Wichtigerem ablenken. (Fußnote: Brauchbare Argumente dagegen sind „Mir gefällt es nicht“ oder „Es ist schädlich.“ Über letzteres kann man diskutieren. Unbrauchbare Argumente: Alles mit „Goethe würde sich im Grab umdrehen“, „macht die Sprache kaputt“, „ist grammatisch inkorrekt“.)

Politische Korrektheit

Wer es zu einem Thema hochkocht, will von Wichtigerem ablenken. Wer für dumm gehalten werden will, darf das, ist kein Thema.

Ich brauche aber ein Auto!

Das kann ich nicht beurteilen, mag aber gut sein. Dein Auto will dir auch niemand wegnehmen. (Also, im Moment. In nicht all zu ferner Zukunft schon, anderes Thema.) Aber nicht alle, die sagen, sie brauchen ein Auto, brauchen auch wirklich eines. Man muss die Alternative attraktiv machen. Privatautos sind ja deshalb attraktiv, weil sie massiv unterstützt werden, allein schon mal durch die Bereitstellung von Straßen und Parkplätzen.

Faschismus

14 Merkmale nach Umberto Eco. Faschisten im eigenen Land unterstützt man nicht; man kooperiert nicht mit ihnen; man distanziert sich von ihnen; man wählt sie nicht, man ebnet ihnen nicht den Weg. Kein Diskussionsthema. International ist es ein bisschen schwieriger, denke ich, aber im Prinzip gilt das auch da. Wie man mit Leuten umgeht, die Faschisten wählen: schwierigere Frage.

Die Frage, was man überhaupt noch darf, ist ohnehin wenig sinnvoll, nicht nur weil die Antwort so leicht ist: so ziemlich alles, jedenfalls alles, was man früher auch durfte. Die wichtige Frage ist die, was man sollte.


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8 Antworten zu „Darf man denn noch? Meine hilfreiche Regeln für Diskussionen und Zweifelsfälle“

  1. Gerhard

    Ich kann da nur auf die Prinzen verweisen:
    https://www.musixmatch.com/lyrics/Die-Prinzen/D%C3%BCrfen-darf-man-alles
    (das Musikvideo ist auch sehr sehenswert)

  2. „Die Frage, was man überhaupt noch darf, ist ohnehin wenig sinnvoll, nicht nur weil die Antwort so leicht ist: so ziemlich alles, jedenfalls alles, was man früher auch durfte.“
    Man darf sogar viel mehr als früher. §175 ist gefallen, §218 geändert worden …
    Aber für Menschen mit entschiedenen Ansichten ist es im Zusammenhang mit manchen Fragen deutlich riskanter geworden, von der Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen. Meiner Kenntnis hat Ulrike Guérot eine Menge von Positionen vertreten, die alle erlaubt sind, und muss trotzdem einen Rechtsstreit darum führen, ob sie ihre Professorenstelle behalten darf. Es gibt vermutlich eine ganze Reihe ähnlicher Fälle. Über Guérot kann man aber ausführlich in der Wikipedia nachlesen.
    Was nutzt es, wenn ich etwas vertrete, was erlaubt ist, wenn ich danach um meinen Posten bangen muss? Jeder Fall muss individuell betrachtet werden, und Zeitungsmeldungen sind sicher nicht immer zureichende Quellen für eine ausgewogene Beurteilung. Das ist richtig. Aber es sind wohl nicht nur Shitstorms, die inzwischen bei vielen Scheren im Kopf auslösen.

  3. „Aber für Menschen mit entschiedenen Ansichten ist es im Zusammenhang mit manchen Fragen deutlich riskanter geworden, von der Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen.“

    Ja, und das halte ich für gut. „Menschen mit entschiedenen Ansichten ist ein Euphemimus, oder? Jedenfalls bezeichnet es wohl nicht das, was ich glaube, dass du meinst, den Cancel-Culture-Vorwurf, der von Gästen in Talkshows oder mit eigenen Sendungen gerne mal vorgebracht wird. Tatsächliche Fälle gibt es so gut wie keine, Guérot fliegt formal allein wegen Betrugsvorwürfen, nicht weil sie dummes Zeug gesagt hat. Das ist weiterhin erlaubt. Aber du meinst, man hätte bei anderen nicht so genau hingeschaut? Das kann natürlich sein. Aber akademischer Betrug wird seit ein paar Jahren quer durch die Ansichten ernst genommen.

  4. Sehr unterhaltsam und nachdenklich gleichermaßen.
    Schönes Wandern. Ich lebe die Cotswolds.

  5. Skythe

    „Aber das Gendern! Wer’s mag, soll’s machen; wer nicht, soll’s nicht machen.“

    Das Problem ist (das kann man mit etwas Nachdenken auch selbst erkennen), dass es gegen den Willen der Mehrheit in große Teile der öffentlichen Kommunikation (Zeitung, TV, Nachrichten, Politik…) eingeführt wurde. Dafür gibt es eben keinen Aus-Knopf. Das kann man nicht wegignorieren. Richtig wäre gewesen, deine Forderung an die Genderisten zu richten: mach das im Privaten unter euch aus. Stattdessen richtest du deine Forderung an die, die machtlos sind.

    „Wer es zu einem Thema hochkocht, will von Wichtigerem ablenken.“

    Richtig. Aber auch hier gilt: du vertauscht wieder absichtlich Aktion und Reaktion. Das Thema wird von Genderisten für so wichtig gefunden, dass sie es in Zeitungen, TV-Sender, Parteien und Nachrichten eingeführt haben. Der Rest der Gesellschaft reagiert nur auf diesen Übergriff.

    „Unbrauchbare Argumente: ist grammatisch inkorrekt“

    Wenn das dein Ernst ist, kann man deine Meinung zum Thema „Sprache“ nicht ernst nehmen. Du bist kein Deutsch-Lehrer.

  6. Grammatisch falsch: Ich lass dir „gefällt mir nicht“ und „ist unverständlich“, über das zweite kann man wirklich streiten. Arbeite damit! Das mit der Korrektheit ist tatsächlich Unsinn, einfach die falsche Kategorie, siehe hier und anderswo: https://herzbruch.me/exkurs-gendern/ Laien berufen sich gerne mal darauf, das stimmt.

    Zeitungen, Medien, Politik schreiben, wie sie wollen, und gendern dabei mäßig. Wie auch sonst? Die sind nicht von einem Genderisten-Hinterzimmer abhängig, das ist eine Fehlvorstellung.

  7. Luise-Pusch-Seminar-Teilnehmer

    Wenn ich zum Arzt oder zur Ärztin muss ist mir egal, als was sie sich definiert, ich suche professionelle Hilfe, von der ich erst mal überzeugt bin, dass sie unabhängig von biologischem oder sozialem Geschlecht gewährt werden kann. Mit Linguistinnen, ist ein derartiges Ansinnen mittlerweile wohl zwecklos, weil sie häufig einer Ideologie anhängen, die behauptet „der Zug sei abgefahren“ (und zwar in die von ihnen gewünschte Richtung; siehe Herzbruch Me Exkurs Gendern oben). Dann schaun mir mal, – auf eine professionelle Hilfe warte ich bisher von dieser Seite jedenfalls vergebens. Wissenschaftler sollen Prognosen formulieren, aber bitte diese als solche auch deklarieren und nicht so tun, als sei ihre pseudo-neutrale Deskription schon die unausweichliche Norm auch außerhalb ihrer Echokammer.

    Klassische Phänomene des Sprachwandels wie der ungrammatische Gebrauch von Plusquamperfekt in reinen Hauptsätzen oder der Zusammenbruch kausaler Nebensätze sind jedenfalls nicht vorrangig Ausdruck eines von wem auch immer gewollten gesellschaftlichen Wandels, sondern scheinen ganz anderen Regeln zu folgen (angelsächsische Sprachmuster, soziale und regionale Mobilität) und sie sind auch nicht immer irreversibel, wie ja auch der Wandel etwa in der Intensität und Reichweite fremdsprachlicher Einflüsse in der deutschen Sprache belegt (Französisch, anyone?).

    Ein Problem zusätzlich ist das LGBT (oder so ähnlich)-Thema, das die Debatte verschärft, weil mit missionarischem Eifer jedem (mir), den das nicht interessiert, auch noch die Wahrnehmung der eigenen sexuellen Orientierung aufgenötigt wird. In weiten Teilen der Öffentlichkeit wird dies jedenfalls als Teil der Diskussion begriffen und erschwert die Verständigung ungemein.

    Für mich als Redakteur einer mehr oder weniger offiziellen Verlautbarung, inhaltlich verantwortet von einer Schulleitung, die um die Einhaltung der amtlichen deutschen Rechtschreibung bemüht ist, ist bis auf Widerruf bei allen eingereichten Beiträgen mit dem Gendern Schluss spätestens bei der Schlussredaktion, also auf meinem Schreibtisch. Ergebnis: ich werde gefühlt tausend Mal über die Bewusstseinslage der Beiträger belehrt und nebenbei natürlich zum Zensor gemacht. Ich würde mir wünschen, dass ich nicht gefühlte tausend Mal Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer einsetzen muss, statt Schluckauf-Innen oder / oder * oder : , dann doch lieber gleich *Schüls und *Lehrs.

    Mein Abschluss-Whataboutism: Klimawandel, Ukraine-Krieg, Gender Care Gap, Chat GPT und andere wirklich wichtigen Themen.

  8. Drei Zeilen von mir, eine Seite Schattenboxen zum Thema, die aber nichts an dem ändert, was ich geschrieben habe. Q.e.d.

  9. Unpushed Pony

    Mit drei Zeilen kann man sich ja auch kaum verheddern und mit einem Link zu einem Schattenboxerinnen-Text allein auch nicht. Liest man dann allerdings den Boxerinnen-Text, ist es mit aphoristischen Dreizeilern schnell vorbei. Dafür muss man den Dreizeiler dann aber bestimmt nicht ändern, so lange es nur um Einkaufszettel geht. Huch, jetzt schon wieder fünf Zeilen.

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