In den ersten Jahren meines Seins als Englischlehrer gab es noch die Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche als Teil von Prüfungen und Abitur. Das waren, glaube ich, nur nichtfiktionale Texte – Ausschnitte aus Zeitungsartikeln und Sachbüchern. Ich erinnere mich noch daran, dass das Korrigieren sehr aufwendig war, denn es war die einzige Aufgabenform, bei der man Fehler zählen musste. Das hieß dann eben auch, sich zu entscheiden, ob etwas nur unelegant oder ein halber oder auch ein doppelter Fehler war, und das musste man beim Abitur auch noch mit den Korrekturen der Kollegen und Kolleginnen abgleichen. Auf diese Fehlerzahl musste man dann eine spezielle Punkteskala anwenden.
Abgeschafft wurde das Übersetzen sicher nicht deshalb, weil es den Lehrkräften zu viel Arbeit macht. Über die tatsächlichen Gründe kann ich nur Vermutungen anstellen: Es gibt zwar immer wieder Schreiben vom Kultusministerium oder vom ISB, in denen Änderungen solcher Art mitgeteilt und begründet werden, aber diese Begründungen sind immer so blumig-enthusiastisch, dass ich sie nicht als glaubwürdig empfinde. Muss ja auch nicht sein; Finanzbeamten gegenüber werden Änderungen im Steuerrecht wahrscheinlich auch nicht begründet.
Das Hauptargument gegen das Übersetzen: Man prüft damit nicht unbedingt, wie gut jemand Englisch kann, sondern vor allem, wie gut jemand Deutsch kann. Außerdem, ein schwächeres Argument, ist das eine Kompetenz, die in dieser Form selten gebraucht wird. Ersetzt wurde die Übersetzung durch die Mediation: Dort werden die Inhalte eines deutschsprachigen Texts ins Englische transportiert, das Resultat ist dabei etwa ein Drittel so lang wie der Ausgangstext. Eingebettet ist das jeweils in eine Kommunikationssituation, aber die scheint mir so generisch zu sein, dass es das nie Unterschiede bei vorauszusetzendem Vorwissen oder Register gibt; ich habe das aber nicht wirklich überprüft.
Aber das Übersetzen macht auch Spaß und man kann sehr viel dabei lernen, insbesondere bei literarischen Texten. An der Uni führten die vielen Diskussionen beim Übersetzen oft zu Augenrollen, zumindest am Anfang auch bei mir. In einer Stunde kam man da nur wenige Zeilen weit. Aber ich erinnere mich noch an die Diskussionen und Feinheiten, und wenn ich sie vielleicht damals auch nicht zu schätzen wursste (ich weiß es nicht mehr, ehrlich gesagt), heute halte ich sie für wertvoll.
Ausgangspunkt für diese Gedanken: Ich übersetze, nebenbei und ohne Eile und auch ohne echten Grund, eine Kurzgeschichte von Robert E. Howard, „The Mirrors of Tuzun Thune“, erschienen 1929 in Weird Tales (Wikisource, ab S. 81). Die Suche nach dem richtigen Ausdruck bereitet mir Vergnügen, ich schwanke oft, weil ich Vor- und Nachteile abwiege und mich nicht entscheiden kann. Auf die Schule übertragen: Ein auf deutsch geschriebener Text wird kaum je so sorgfältig auf Passgenauigkeit abgeklopft, wie das hoffentlich bei der Übersetzung der Fall wäre. Das eine Wort kann man nicht verwenden, weil der Stamm bereits im Satz zuvor auftaucht und das stören würde; das andere hat einen zu großen Bedeutungsumfang, bei einem weiteren fehlt eine Nuance, die man im Original zu erknnen glaubt.
Und in diesem Fall kommt noch die blumige Sprache des Genre-Originals hinzu. Hier die ersten beiden Absätze:
There comes, even to kings, the time of great weariness. Then the gold of the throne is brass, the silk of the palace becomes drab. The gems in the diadem and upon the fingers of the women sparkle drearily like the ice of the white seas; the speech of men is as the empty rattle of a jester’s bell and the feel comes of things unreal; even the sun is copper in the sky and the breath of the green ocean is no longer fresh.
Kull sat upon the throne of Valusia and the hour of weariness was upon him. They moved before him in an endless, meaningless panorama, men, women, priests, events and shadows of events; things seen and things to be attained. But like shadows they came and went, leaving no trace upon his consciousness, save that of a great mental fatigue. Yet Kull was not tired. There was a longing in him for things beyond himself and beyond the Valusian court. An unrest stirred in him and strange, luminous dreams roamed his soul. At his bidding there came to him Brule the Spear-slayer, warrior of Pictland, from the islands beyond the West.
In meiner Übersetzung bin ich sowohl versucht, die Sprache noch blumiger zu gestalten, wann immer sich das anbietet, als auch die Blumigkeit zu reduzieren, um den Text so eher einem kritischeren modernen Publikum zu erschließen.
DeepL übersetzt, wenig überraschend, recht gut:
Es kommt auch für Könige die Zeit der großen Müdigkeit. Dann wird das Gold des Throns zu Messing, die Seide des Palastes wird fade. Die Edelsteine im Diadem und an den Fingern der Frauen glitzern trist wie das Eis der weißen Meere; die Rede der Menschen ist wie das leere Klappern einer Narrenglocke und das Gefühl kommt von unwirklichen Dingen; selbst die Sonne ist kupfern am Himmel und der Atem des grünen Meeres ist nicht mehr frisch.
Kull saß auf dem Thron von Valusia, und die Stunde der Müdigkeit kam über ihn. Sie bewegten sich vor ihm in einem endlosen, bedeutungslosen Panorama, Männer, Frauen, Priester, Ereignisse und Schatten von Ereignissen, Gesehenes und zu Erreichendes. Aber wie Schatten kamen und gingen sie und hinterließen keine Spur in seinem Bewusstsein, außer der einer großen geistigen Müdigkeit. Doch Kull war nicht müde. Er hatte Sehnsucht nach Dingen, die über ihn und den valusischen Hof hinausgingen. Eine Unruhe regte sich in ihm, und seltsame, leuchtende Träume durchstreiften seine Seele. Auf sein Geheiß hin kam Brule, der Speerträger, ein Krieger aus Pictland, von den Inseln jenseits des Westens zu ihm.
Das „kam über ihn“ trifft es nicht ganz; der Satz danach ist nicht falsch übersetzt, aber zu schwer verständlich. Die Narrenkappe könnte ich übernehmen.
Meine Übersetzung, Zwischenstand, davor erstellt:
Die Zeit großer Müdigkeit kommt auch zu Königen. Dann ist das Gold des Throns Messing, und die Seide des Palasts leuchtet nicht mehr. Die Edelsteine im Diadem und an den Fingern der Frauen funkeln nur müde wie das Eis der weißen Meere; die Rede der Männer ist wie das leere Rasseln der Glocken im Kostüm des Hofnarren, und alle Dinge scheinen unwirklich; selbst die Sonne ist Kupfer am Himmel und der Hauch des grünen Meeres ist nicht mehr frisch.
Kull saß auf dem Thron von Valusien und die Stunde der Müdigkeit lastete auf ihm. An ihm vorbei zogen, in einem endlosen, bedeutungslosen Panorama, Männer, Frauen, Priester, Geschehnisse und die Schatten von Geschehnissen; Gesehenes und noch zu Erreichendes. Aber wie Schatten kamen und gingen sie und hinterließen keine Spur in seinem Bewusstsein, bis auf eine tiefe geistige Erschöpfung. Und doch war Kull nicht müde. Ein Verlangen war in ihm nach Dingen jenseits seiner selbst und jenseits des Hofs von Valusien. Eine Unruhe rührte sich in ihm und seltsame, leuchtende Träume zogen durch seine Seele. Auf seinen Befehl hin kam Brule, der Speerschleuderer, zu ihm, Krieger aus dem Land der Pikten, von den Inseln jenseits des Westens.
„Die Zeit großer Müdigkeit kommt auch zu Königen.“ Oder: „Auch zu Königen kommt die Zeit großer Müdigkeit.“ Oder: „Selbst für Könige gibt es die Zeit der großen Müdigkeit.“ Oder Erschöpfung? Tristesse, Ennui sicher nicht. Melancholie?
„Dann ist das Gold des Throns Messing“ – soll man da nicht vielleicht ein „nichts als“ ergänzen? Sein „Geheiß“ oder doch sein „Befehl“? Später wird man sich entscheiden müssen zwischen „Dienerin“ und „Sklavin“.
Mit einer Englischklasse habe ich schon lange nicht mehr so übersetzt, glaube ich. Vielleicht anlässlich der Lektüre mal, bei Haroun and the Sea of Stories? Ich müsste mal schauen, wie das ankommt; zum Lehrplan passt es halbwegs. Ob die Schüler und Schülerinnen sich darauf einlassen, weiß ich nicht, denke schon.
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