Außerschulische Lernorte: Glyptothek und Wikipediatreff

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Wikipediatreff

In München gibt es eine Art Wikipedia-Teestube. Weltweit gebe es sieben solche Orte, erzählte man mir, sechs davon in Deutschland, von Wikimedia getragene Vereinstreffpunkte. In anderen Organisationsformen sicher viel mehr solche Treffen – jedenfalls, in München gibt es eine Art Wikipedia-Teestube. Schon seit Jahren. Fußläufig keine zehn Minuten von mir, und da war ich jetzt schon zum dritten Mal beim regulären Mittwochstreff, wo man Fragen stellen oder plaudern kann oder Muße zum Arbeiten findet. Beim ersten Mal habe ich Fragen gestellt, beim zweiten Mal geplaudert, beim dritten Mal hatte ich mir Literatur mitgebracht, um an ein paar Seiten zu arbeiten.

Edle Einfalt und stille Größe

An der Laookongruppe in Rom schätzte Johann Joachim Winckelmann die edle Einhalt und stille Größe:

Weil Laookon hier physische und mentale Schmerzen erleidet, aber dabei kein wutverzerrtes Gesicht hat, sondern still und edel bleibt. Und damit – und mit Goethes italienischer Reise – wurde die Antike zum Vorbild der Weimarer Klassik, um die es im Unterricht gerade geht.

Meine Schüler und Schüler mussten Standfotos von einander machen, sofern gewollt und gerne ohne Gesicht, auch wenn natürlich nur im Kursverband sichtbar – Standfotos, die sie in edler Einfalt und stiller Größe zeigten. Zwei Motive waren dabei gängig: Rodinsche Denkerpose, und Washington Crossing the Delaware – ein Bein angewinkelt vorne erhöht, auf einem Felsblock etwa, das andere hinten, insgesamt sehr breitbeinig, und sinnierend in die Ferne schauend. Wir sprachen darüber.

Or like stout Cortez when with eagle eyes
He stared at the Pacific—and all his men
Look’d at each other with a wild surmise—
Silent, upon a peak in Darien.

Danach sollten sie sehen, was die alten Griechen sich darunter vielleicht voirgestellt hätten, oder jedenfalls, wie griechische Skultpuren aussehen.

Glyptothek

In der Woche darauf, also vor ein paar Tagen, gingen wir in die Glyptothek im München, in der ich schon mehrfach mit Schülern und Schülerinnen war, aber schon eine ganze Weile nicht mehr. Für eine Münchner Schule ist das auch viel leichter als von Fürstenfeldbruck aus. Davor gab es natürlich eine Einführung in das Gebäude und in die archaische, klassische und hellenistische Periode. Die Laookon-Gruppe ist nämlich gar nicht klassische Klassik, sondern Hellenismus.

Archaisch: Relativ starr, symmetrisch, ein Fuß vorn, aber beide Füße gleich belastet. Typisch der Kuros, eine Jünglingsfigur, mit dem Kuros-Lächeln, das uns (mich, die Schüler und Schülerinnen) heute befremdet, aber als Zeichen der selbstsicheren Ruhe galt. Das war Schönheitsideal. Deswegen auch Exkurs zu:

…und wie Schönheitsideale heute aussehen und vermittelt. Lustige Bilder gezeigt, Looksmaxxing kannten sie alle im Kurs.

Klassisch: Mehr Realismus, aber Idealisierung. Keine Symmetrie mehr, sondern ein Bein ist deutlich mehr belastet als das andere – Spielbein und Standbein, was erst zu einem Knick in der Haltung führt, später zu ein oder zwei, und dann werden die Skultpuren immer verdrehter.

Womit wir dann beim Hellenismus sind: Weniger Idealisierung, mehr Individualität. Mehr Knicke, mehr Dreidimensionalität. Laookon, der Barberinische Faun.

Mein Favorit sind die archaischen Skulpturen, ich habe diesmal sehr gründlich die sonst immer etwas verschmähten Figuren des Aphaitempels auf Ägina angeschaut. Zwei Schüler recherchierten gleich mal, wie die Tempelanlage heute aussieht. Nur in Einzelgesprächen angeschnitten: Rückgabe von Kunstwerken, Restaurierung, Arbeitsweise. Fragen waren: Wie kriegt man das Material so glatt, also wie wurde poliert? Wie lange braucht man für so eine Skulptur? Fürs nächste Mal und Recherche notiert. Insgesamt waren wahrscheinlich 80% meiner Antworten korrekt, mehr kann ich als konventionell sozialisierte Lehrkraft („male answer syndrome“) nicht bieten.


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Kommentare

2 Antworten zu „Außerschulische Lernorte: Glyptothek und Wikipediatreff“

  1. Sabine

    Hey hey, das ist das für mich lukrativste Gedicht, das ich kenne. Am Tag vor dem dem Literaturwissenschaftsexamen noch ein bisschen Gedichte gelesen, Keats gemocht, dann bäm! kam es dran und ich hatte sogar beim Schreiben der Klausur Freude. Und zu meiner Zeit ging es bei der Einstellung um Hundertstel, Keats ermöglichte den entscheidenden Vorteil, also bin ich bei der Romreise bei Keats‘ Grab auf dem wunderschönen Cimitero Acattolico vorbei und hab mich freundlich für das Auskommen bedankt.

    Den Laokoon haben wir bei der Gelegenheit auch gesehen, spektakulär inszeniert von der hervorragenden Führerin Agnes Crawford, die alle Winkel (und Bänke) der Vatikanischen Museen kennt und ihn wie aus dem Nichts vor uns auftauchen ließ.

    Er kommt in der „Cassandra“-Folge des neuen Altertums-Podcast mit Mary Beard und Charlotte Higgins vor, sehr empfehlenswert.

    Ich bin großer Fan der Ägineten und insgeheim froh, dass keiner – zumindest keiner lautstark, wenngleich sicherlich berechtigt – ihre Provenienz hinterfragt. Ich meine, gelesen zu haben, dass sie bessere Papiere haben als die Parthenon-Friese, aber vielleicht will ich das einfach glauben.

  2. Herr Rau beim Wikipedia-Treff! Welche Freude! In Berlin gibt’s das auch, kommenden Mittwoch gebe ich eine kleine Einführung dort. Schau gerne mal vorbei wenn du in der Stadt bist. (https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiB%C3%A4r )

    Liebe Grüße!

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