The Avram Davidson Treasury: A Tribute Collection

Der Ausgangspunkt: „Karawane nach Illiel“

Vor einem Jahr las ich in einer Anthologie eine Geschichte von Avram Davidson: „Karawane nach Illiel“ („Caravan to Illiel“), die mir gut gefallen hat, auch wenn es wohl eine seiner weniger bekannten Geschichten ist. Technisch typisch Fantasy: Corydon, ein Barbar in einer fremden Stadt, verliert sein letztes Geld und muss, den örtlichen Gesetzen folgend, sein geliebtes Schwert abgeben; ein Beamter legt ihm dringlich nahe, eine bestimmte Karawane als Wache zu begleiten, und gibt ihm dazu ein neues, magisches Schwert, das ihm auch immer wieder gegen Feinde hilft. Am Ziel der Karawane legt sich Corydon erfolgreich mit einem Kult an und begegnet danach einem weiteren fremden Schwertkämpfer, der Corydons eigenes altes Schwert trägt und lautstark den Dieb seines eigenen, magischen, sucht. Statt sich zu kloppen, tauschen die beiden Kämpfer aber friedlich ihre Schwerter und gehen höchst zufrieden ihrer jeweiligen Wege. Ein Beobachter meint lapidar

»Gut, gut«, meinte Didius schulterzuckend und mit einem Lächeln. »Was man nicht so alles erlebt – was man nicht so alles erlebt.«

Das ist bereits ein ein bisschen nicht ganz typische Fantasy, wozu noch der halbwegs merkwürdige Kult und vor allem die sehr ausführlich geschilderte Reise der Karawane gehören. Da gibt es Greifen, die ihr Gold eifersüchtig horten; der Turm der Affen, wo sie Obst deponieren, um sich der Freundschaft der Affen zu vergewissern (sehr ähnlich zu Kipling!), und ein Volk, das, so wie andere die Sonne anbeten, selber den Mond beschimpft:

Bald war die Sonne ganz versunken, und nicht lange danach ging der Mond auf. Da erschallte vom Gipfel des nahen Berges ein solches Heulen der Wut und des Hasses, daß Corydon, der wie empfohlen gewartet und aufgepaßt hatte, zutiefst erschrak. Die Arhadamanthiner verfluchten den Mond. Sie drohten ihm mit den Fäusten. Sie warfen Steine nach ihm. Ja manche schossen sogar mit Pfeilen, oder schleuderten ihre Wurfspeere nach ihm.

Als Beweis für die Echtheit der Geschichte wird am Ende eine Art Quelle angegeben:

Immer noch existiert ein Frachtschein – ein eng beschrifteter Papyrus, der vom kanopischen Nil stammt (besserer Papyrus wurde nirgendwo hergestellt) –, der so beginnt: Handelsgut auf dem Landweg von Styr nach Illiel befördert … Unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen ist er von Abélaphon. Es gibt keinen Grund zur Annahme, daß er sich nicht gerade auf diese Karawane bezieht, die Corydon, Sohn Corydons, als Rückenwächter begleitete.

Auf diesem Schein sind unter anderem folgende Dinge aufgeführt:

Parfümierte Krokodilhäute aus Nubien
Mit Wachs behandelte Leinen aus Ägypten
Bemaltes Leinen aus den Landen Äthiopiens
Geschnitzte Truhen aus Sykomorenholz von Libyen
Purpurne Schwämme aus Tyrien
Blaue Wandteppiche aus Sydonien
Mit Duftstoffen angereichertes Öl bester Qualität aus Pontos
Mit Duftstoffen angereichertes Öl bester Qualität aus Kappadozien
Mandelsalbe aus Grecien Geschnitze
Bernsteinbecher aus dem Nordland

(Übersetzungen alle: Lore Straßl.)

Das hat mir alles gut gefallen. Und alles, die Mondanflucher, der Affenturm, die Greifen, selbst der Kult, selbst die Liste am Ende stammen von Oscar Wilde, bei dem sich Avram Davidson einfach bedient hat, wie es auch im Vorwort der Anthologie steht. Und zwar steht das alles in der Erzählung „The Fisherman And His Soul.“ Was man nicht so alles erlebt.

Erinnerungen: „The Golem“, „Goslin Day“

Zuvor kannte ich Avram Davidson eigentlich nicht. Irgendwo in der einen oder anderen Science-Fiction-Anthologie mag er mir untergekommen sein, denn wie sich später herausstellte, hat er sehr viel geschrieben, aber bewusst war mir der Name nur aus Wandering Stars – einer von Isaac Asimov herausgegebenen Anthologie mit SF-Geschichten, die bewusst Judentum als Thema hatten, und in der auch zwei von Davidsons Geschichten enthalten sind.

Das alles – und was ich über Davidson bei Wikipedia und anderswo las – reichte, um mir einige Bände mit Geschichten von ihm zu besorgen. Und da habe ich jetzt den ersten gelesen.

The Avram Davidson Treasury: A Tribute Collection (1998)

Diese Sammlung erschien wenige Jahre nach dem Tod von Avram Davidson. Verschiedene Autoren und Autorinnen stellen jeweils eine Geschichte von Davidson vor und schreiben eine kurze Einleitung dazu, auch mit ihren eigenen Erinnerungen an Davidson. Und diese Liste ist schon mal so, dass man die Ohren aufstellen mag. Ursula K. LeGuin, Robert Silverberg, Damon Knight, Gene Wolfe, Poul und Karen Anderson, William Gibson, Alan Dean Foster, Spider Robinson, James Gunn, Richard A. Lupoff, Kate Wilhelm, John Clute, Peter S. Beagle, Frederik Pohl, Thomas M. Disch, Mike Resnick, Forrest J. Ackerman, Algis Budrys, John M. Ford, Gregory Benford – und das sind nur die, deren Namen ich auch Anhieb erkenne. Nachworte von Ray Bradbury, Ray Nelson, Harlan Ellison.

Das allein ist schon mal eine Hausnummer, die mich rätseln ließ, warum ich nicht längst schon viel mehr von Davidson gehört und gelesen habe. Das Lexikon der Science Fiction Literatur (Alpers, Fuchs, Hahn, Jeschke 1980), lobt seine Kurzgeschichten, seine bis 13 bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen Romane „stellen gute Durchschnittskost dar.“ Aber vor allem lese ich da eine mögliche Erklärung:

Daß bei uns von Avram Davidson bisher so wenig erschienen ist, liegt an der grundsätzlichen Weigerung des Autors, der strengen jüdischen Glubens ist, seine Romane und Erzählungen nach Deutschland zu verkaufen. Ironischerweise erschienen ein knappes Dutzend seiner Kurzgeschichten bei uns ausgerechnet in einem Verlag, der mit „Landser“-Heften Traditionspflege betreibt [gemeint: Moewig].

Und eigentlich wollte ich jetzt etwas zu den Geschichten in dieser Sammlung schreiben. Zwei davon fand ich schwach, zwei andere waren Kalauer, der Rest – und es sind viele Geschichten – waren gut bis sehr gut bis ganz hevorragend, und zutiefst originell und sprachverliebt.

TAKE WOODEN INDIANS: Ein Zeitreisender der Gegenwart verbringt eigentlich viel lieber Zeit im späteren 19. Jahrhundert und schnitzt dort hölzerne Indianer, wie sie als Aufstellfiguren vor Tabakhandlungen populär waren. Verfolgt wird er einerseits von der WIS (Wooden Indian Society), die seine Zeitreisetechnik rauben wollen, um damit das Aussterben dieser handgeschnitzter Holzfiguren aufzuhalten (ersetzt durch Blech-Massenware), wodurch sie sämtliche Fehlentwicklungen in ihrer Gegenwart zu verhindern hoffen, und von seinem geldgierigen Schwager. Um die Handlung geht es nicht, sondern um die Hintergrundinformationen zu den Holzindianern: entstanden in England, dann erst nach Amerika exportiert; dort verbreitet durch arbeitslos gewordene Schnitzer von Galionsfiguren. Wir unterscheiden die Modelle fly-figure (ausgestreckter Arm), scout (Hand suchen über den Augen), rosebud (weiblich); sachem ist der Oberbegriff für Indianer-Figuren (im Gegensatz zu anderen). Heute werden die Figuren als Volkskunst geschätzt und gesammelt und zurecht als beleidigend betrachtet.

HELP! I AM DR. MORRIS GOLDPEPPER: Bei Mastodon habe ich das so zusammengefasst:

Gerade eine Kurzgeschichte gelesen, in der eine große Zahl zahnloser Außerirdischer, die heimlich auf der Erde Sozialversicherung kassieren wollen, einen Zahnarzt mit falschen Versprechungen auf ihren Planeten locken, damit der ihnen zur Tarnung Zahnersatz macht; diesem gelingt es aber, in nicht ganz perfekt montierten Zahnersatz Nachrichten an seine Kollegen zu schmuggeln, die diese dann natürlich bei Zahnarztbesuchen der Außerirdischen entdecken – UND ZUR TAT SCHREITEN.

AUTHOR, AUTHOR: Einen nicht mehr ganz erfolgreichen Autor trivialer Kriminalromane, vom Verleger missachtet, verschlägt es in eine Situation, die einem seiner Bücher entsprungen sein könnte: einsame Landstraße, Motorschaden, Nebel, ein unheimliches Landhaus. Die Versammelten nehmen ihn unerwartet erwartungsvoll auf, kennen ihn und seine Werke jedenfalls. Die Stimmung kippt: alle Anwesenden sind ehemalige Butler, die ihren Beruf verloren haben, auch wegen seiner Krimis, in denen er das Klischee einführte und verbreitete, dass der Butler der Mörder war. Die Flucht des Protagonisten gelingt, aber er landet in einer Art Geistergeschichte.

THE HOUSE THE BLAKENEYS BUILT: Eigentlich eine konventionelle Geschichte, bei der die Science Fiction obendrein nur Deko ist: Schiffbrüchige auf einem Planeten treffen auf die Nachfahren von früheren Schiffbrüchigen und deren Kultur, die jedenfalls aus der vorausgesetzten Außensicht Idiocracy-artig heruntergekommen ist. Was die Geschichte zu einem Juwel macht, ist die Sprache der Blakeneys, der Menschen dort. Ursula K. LeGuin hat so recht, wenn sie in ihrem Vorwort betont: „It’s hard not to start talking like them, funnyfunny, a hey.“

Und dann war da noch der Anfang eines letzten, unvollendeten Romans um Vergil, den Magier, aus der Blütezeit eines leicht verzerrten Roms, um den es ein paar Erzählungen gibt. Und die eine Abenteuergeschichten von wieder etlichen aus einem leicht verzerrten Britisch-Honduras. Und noch viele mehr, ich habe aufgehört, mir Notizen zu machen. Wie kann Avram Davidson nicht bekannter sein, frage ich mich, und wieso hat es so lange gedauert, bis ich ihn wirklich entdeckte? Ich habe noch eine Anthologie und zwei Romane von ihm hier und bin schon sehr gespannt.


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