Am 14. Juli 1999 verbrannte ein Großteil der Schüler der 11. Klassen im Pausenhof Bücher und Unterrichtsmaterialien, vornehmlich ihre Lateinbücher und -hefte. Die meisten Schüler trugen dazu eine aus einem Leintuch improvisierte Toga.
Es ist gut, wenn es an Schulen Traditionen gibt. Es ist zumindest manchmal notwendig, dass Schüler Dinge tun, die bei den Lehrern Missfallen erregen. Hiermit äußere ich dieses Missfallen.
Die Schüler verbrennen deshalb Lateinunterlagen, weil dieses Fach von vielen nach der 11. Klasse abgelegt wird. Es gibt sicher auch Schüler, die Physik und Französisch ablegen. Warum verbrennen sie keine Französischunterlagen? Mit Latein haben sich die Schüler das Kernfach mit der schwächsten Stellung herausgesucht, ein Fach, dessen Position im Fächerkanon wackliger als die der anderen ist, bei dem man sich vielleicht sogar eines gewissen Wohlwollens seitens der Allgemeinheit sicher sein kann. Wenn es daran liegt, dass die Schüler Latein nicht mögen oder mit ihren Leistungen in dem Fach nicht zufrieden sind und der Ansicht sind, sie bräuchten das Gelernte nie wieder – keiner hat sie dazu gezwungen, dieses Fach zu wählen.
Letztendlich ist meine Kritik aber vom Fach unabhängig. Ich empfinde das demonstrative Verbrennen von Schulbüchern als respektlos und unhöflich. Die alten, zu sehr beschädigten Bücher der Lehrmittelbücherei müssen allerdings tatsächlich ausgemustert werden. Verbrennen ist eine sinnvolle Möglichkeit, die Bücher zu entsorgen, die so oft gebraucht wurden, dass sie jetzt zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Aber man sollte Bücher nicht beiläufig verbrennen. Eine anständige Bestattung wäre passender als ein die Weinflasche kreisen lassender Lynchmob.
Dass nach einer anstrengenden Zeit, oder besser: nach einer Zeit der Anstrengung ein Fest fällig ist, ist selbstverständlich. Auch die Lehrer feiern das Ende eines Schuljahres. Nach einer großen Anstrengung soll man sich freuen und feiern. Wer die 11. Klasse nicht über sich ergehen hat, sondern sich angestrengt hat, darf auch feiern. Dabei stört es mich allerdings, dass die Schüler mit dieser Tradition einen ganzen Tag lang den Unterricht boykottieren. Auch wenn es nur noch zwei Wochen bis Schuljahresende sind. Dass die Schüler, die Fächer ablegen, in diesen nicht mehr mitarbeiten, ist noch einleuchtend. Dass sie auch für andere den Unterricht unmöglich machen, nicht. Wer Bücher verbrennen will, findet sicher einen angemesseneren Ort dafür.
Würde ich heute anders schreiben, etwas näher am Publikum, aber so stand das damals in der Schülerzeitung. Ich war ja noch jung. Inzwischen gibt’s den Brauch nicht mehr, oder zumindest nicht mehr auf dem Schulgelände.
Durch das G8 erlebt Latein ohnehin eine Renaissance: Viele Schüler trauen oder muten sich für die 6. Klasse keine zweite lebende Fremdsprache zu. Gerade die sprachlich Schwächeren wählen Latein – noch ist die Schreibung des Deutschen nicht gefestigt, ganz zu schweigen von Aussprache und Schreibung des Englischen. Also wählen mehr Schüler Latein als Französisch. Immerhin, die einen können danach vielleicht eine zweite Fremdsprache, und die anderen haben vielleicht etwas abendländische Bildung mitgekriegt.
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