Was das Arbeiten mit literarischen Texten betrifft, bin ich im Fach Deutsch über die Jahre hinweg mit den Leistungen meiner Schüler zufrieden. Ich habe das Gefühl, sie lernen etwas dazu. Bei den Erörterungen habe ich dieses Gefühl sehr viel weniger.
Dabei gehört zu meinen Vorstellungen von einem Abiturienten eigentlich schon, dass er Aufsätze schreiben kann etwa zum Thema von 2011:
„Freundschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation“
Setzen Sie sich mit diesem Thema auseinander, indem sie eine [sic – fett und kursiv und unterstrichen] der beiden Varianten bearbeiten!Variante 1:
Erörtern Sie unter Berücksichtigung der beigefügten Materialien und Ihrer eigenen Erfahrungen Chancen und Risiken für Freundschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation! Entwickeln Sie ausgehend von Ihren Ergebnissen Vorschläge, wie die Chancen erweitert und die Risiken eingedämmt werden können!
Aber ich fürchte, das geht so einfach nicht. Auf jeden Fall ist die Erörterung im Abitur das Thema, das in Bayern stets am wenigsten von den Schülern gewählt wird. Und ich glaube nicht, dass die Schüler, die sich darauf einlassen, dann gut fahren damit.
(Trotzdem würde ich gerne mal richtig gute Erörterungen von real existierenden Schülern sehen. Wenn da jemand welche veröffentlichen möchte, wäre ich sehr verbunden.)
Was gefällt mir denn an Erörterungen nicht? Wenn ich mir das Abiturthema von oben anschaue: Die Schüler müssen Aufsätze schreiben zu einem Thema, zu dem sie zu wenig Wissen haben. Ich sage bewusst: Wissen. Argumentationskompetenz haben sie durchaus. Da kommen dann solche Argumente heraus (Mittelstufe, paraphrasiert):
Die meisten Computerspieler bewegen sich nur wenig und treiben keinen Sport. Da man sich auch beim Computerspielen nicht viel bewegt, werden Computerspieler häufig dick. Es gibt zwar auch Sportsimulationen, aber die ändern nichts daran. In einem Computerspielmagazin habe ich von einem 20-Jährigen gelesen, der immer nur vor dem Computer saß und spielte und deshalb sehr dick geworden ist.
Ist doch schön logisch und zusammenhängend aufgebaut. Aber die Prämisse ist falsch. (Und Schüler, die nicht wissen, was ein casual game und ein MMORPG ist, brauchen mir keine Aufsätze über Computerspiele zu schreiben.)
Oder ein anderer Aufsatz, in dem es um E-Reader und traditionelle Bücher geht. Auf der Pro-Seite steht, dass man durch E-Reader Energie spart, weil kein Papier erzeugt und verbraucht wird. Auf der Kontra-Seite steht, dass man durch Bücher Energie spart, weil die keinen Strom brauchen. Also was jetzt? Es kann doch nicht beides wahr sein, so schön logisch man das argumentieren kann. Neben der Logik gibt es auch noch Fakten, und ich halte faktenfreie, noch so schön zusammenhängende Erörterung für Blödsinn. Faktenfreies Erörtern gibt es im Fernsehen genug.
(Wer das mit dem Energieverbrauch bei Papier vs. E-Bücher wissen will: bei Slate steht die Antwort.)
Manchen Lehrern ist das mit den Fakten so egal, dass sie nichts dagegen haben, wenn die Schüler Statistiken erfinden. „In einer Zeitung habe ich gelesen, dass“, „die Wissenschaft hat bewiesen, dass“, „laut einer Statistik“. Dazu gesellen sich dann die erfundenen Nachbarn und Verwandten, die als Beispiele herangezogen werden. Ich finde beides unmöglich.
Wie kann man verhindern, dass Schüler Aufsätze über Themen schreiben müssen, von denen sie nichts verstehen und die sie nicht recherchieren können (weil in der Prüfung keine Recherche möglich ist)?
Ich kenne drei Möglichkeiten, die auch alle praktiziert werden. Erörterungen zu gänzlich unbekannten und nicht vorbereiteten Themen gibt es ohnehin schon lange nicht mehr.
1. Man nimmt ein Thema, bei denen die Schüler sich auskennen und genug wissen, dass sie keinen Unsinn schreiben.
Ich glaube nicht, dass es da viele Möglichkeiten gibt.
2. Man gibt den Schülern – so wie im Abitur – begleitendes Textmaterial mit, damit sie während der Prüfung Zugang zu genügend Daten haben, um keinen Unsinn zu schreiben.
Sagen wir: Im Abitur klappt das mäßig. Dann müsste man mehr Lesekompetenz fördern, und mehr Wissen ansammeln, damit man die neuen Informationen mit bereits bekannten in Verbindung bringen kann. Anders gesagt: Es hilft, um das Abiturbeispiel oben zu nehmen, enorm, wenn man schon mal über das Thema Freundschaft nachgedacht hat. Zu diesem Nachdenken kommt es wenig, aber vielleicht lässt sich das verbessern. (Ehrlich gesagt: Wenn man in der Unterstufe anhand einer Lektüre mal ein Wandbild zum Thema Freundschaft macht, bleibt davon beim Abitur wenig übrig. Auch von den religiösen Orientierungstagen in der 10. ist da keinerlei Transfer zu sehen.)
3. Man sorgt dafür, dass das Themengebiet im Unterricht ordentlich vorbereitet ist.
Das ist wohl das sinnvollste, aber es findet nach meiner Erfahrung nicht ausreichend statt.
Ich habe meine Unzufriedenheit bei Twitter gepostet, da kamen zwei Anregungen: die Schüler das Themengebiet selber aussuchen lassen, und die Kooperation mit anderen Fächern. An letzteres habe ich noch nie gedacht; geht das, dass man in der 9. oder 10. Klasse ein Thema stellt, das mit Geschichte oder Sozialkunde zu tun hat, und in diesem Fach vorbereit wurde?
Ich hätte gerne mal eine Fortbildung dazu, wie man Eröterungen gut vorbereitet. Nehmen wir das mit den Computerspielen, Material gibt es da genug. Ich müsste es nur mal zusammensuchen und die Texte auwählen, die für Schüler verständlich sind. Oder doch gemeinsame recherchieren?
Kurzer Exkurs: Waren vergleichbare Schüleraufsätze früher besser? Vermutlich schon. Ich habe an Material nur die Auswahl in Abitur. Von Duckmäusern und Rebellen – 150 Jahre Zeitgeschichte in Aufsätzen prominenter Deutscher, herausgegeben von Birgit Lahann. Die Ausschnitte darin sind um Längen besser als das, was ich je von Schülern gelesen habe.
Aber das heißt nicht viel. Zum einen hatten die dafür weniger Informatik, und was weiß ich noch alles; zum anderen ist es vielleicht gar nicht so wichtig, so gute Aufsätze schreiben zu können. Heute und zu meiner eigenen Schulzeit sind die Aufsätze nicht so gut, aber dafür hat man anderes gewonnen.
Oder vielleicht waren die Texte der prominenten Deutschen auch einfach Ausnahmeaufsätze.
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