Manche Schülerinnen und Schüler in der Unterstufe haben eine schlechte Handschrift, also weder schön noch leserlich. Meistens betrifft das männliche Schüler, obwohl es auch solche mit anderer Schrift gibt. Das zieht sich dann bis in die Oberstufe, ob bei allen oder nur manchen, das weiß ich nicht.
(Wieso haben eigentlich vor allem Jungen die richtig schlechte Handschrift? Es gibt genügend Jungen mit schöner Handschrift, aber die richtig schlechten Schriften sind überproportional bei diesen. Üben die weniger, haben die weniger Interesse, hat es doch etwas mit Entwicklung zu tun? Dazu gibt es doch sicher Forschung.)
Ich hatte lange keine 5. Klasse mehr, sondern steige meist erst in der 6. Jahrgangsstufe ein. Ich kann mich nicht erinnern, je explizit mit einer Klasse das saubere Schreiben mit der Hand geübt zu haben. In meiner 7. Klasse habe ich neulich eine Doppelstunde zur Handschrift gemacht, das würde ich in Zukunft wieder tun und erweitern. Über Twitter habe ich von einer bayerischen Realschule gehört, die ihre Fünftklässler*innen mit einem Willkommensprogramm abholt, zu dem auch explizite Schriftförderung gehört. Das klingt sinnvoll.
Wozu Handschrift
Gelegentlich wird diskutiert, ob Handschrift noch wichtig sein wird, wenn man in Zukunft alles diktieren kann oder über Tastatur schreibt. In manchen Ländern ist in der Grundschule die Schreibschrift schon am verschwinden und kann ganz durch Druckschrift ersetzt werden. Hier ein paar Beispiele, was man mit Handschrift machen kann:

Ssolbergj, One Ring inscription, CC BY-SA 4.0



Ausgangsschriftarten
Ausgangsschriften heißen die Schriften, die man in der Grundschule lernt, und auf deren Basis man später eine eigene Handschrift entwickelt. In Bayern sind das noch überall Schreibschriften, es gibt aber auch Druckbuchstaben-Schriften, die andere Länder verwenden.
Ich habe noch diese Schreibschrift in der Grundschule (1974-1978) gelernt:

Diese „lateinische Ausgangsschrift“ (1953) war schon okay, ich mochte allerdings manche der Großbuchstaben nicht, weil sie mir Schwierigkeiten bereiteten: Das X sah immer wie ein H aus oder umgekehrt, S und L und C brachte ich auch durcheinander.
In der DDR wurde daraus die „Schulausgangsschrift“ (1968), die heute in einigen Bundesländern verbindlich ist, in anderen (darunter Bayern) eine von zwei zugelassenen Ausgangsschriften in den Grundschulen ist. Diese Schrift ähnelt sehr der lateinischen Ausgangsschrift, der große Unterschied besteht in der Vereinfachung der Großbuchstaben:

Die andere in Bayern mögliche Schrift ist die „Vereinfachte Ausgangsschrift“ (1969, in Bayern ab 2001/2002 verpflichtend eingeführt, ab 2014/2015 erstens mit Varianten etwa bei e und z, und zweitens nunmehr nur noch als Wahlmöglichkeit neben der Schulausgangsschrift):

Noch haben (so gut wie) alle meine Schülerinnen und Schüler in der 7. Klasse die Vereinfachte Ausgangsschrift gelernt, wie sehr die Option der Schulausgangsschrift in Bayern inzwischen genutzt wird, weiß ich nicht. Da sollte man doch eigentlich gut Unterschiede verfolgen können.
Bei der Einführung der VA war sie umstritten. Gut, alle Neueinführungen in der Bildung sind umstritten. Kritikpunkte waren, dass die Schrift zu zu großen Abständen zwischen dem ersten Großbuchstaben und dem Rest des Wortes führe, dass einzelne Buchstaben einander zu ähnlich würden, dass manche Buchstaben nicht lesbar würden (t) oder das lange z und das Köpfchen-e Probleme bereiteten. (Inzwischen gibt es für beide Alternativformen.) Und dass die Schrift hässlich sei.
Ich teile die Meinung, was die Hässlichkeit betrifft. Aber das ist nicht sehr relevant, es ist ja eine Ausgangsschrift; wenn sich aus der, so hässlich oder nicht sie ist, eine schöne und lesbare Schrift entwickelt, dann ist das ja völlig in Ordnung. Tatsächlich glaube ich, dass das allerdings nicht der Fall ist: Nur wenige SuS am Gymnasium haben eine eigene verbundene Schrift entwickelt, ein paar schreiben noch die ursprüngliche VA (hässlich und nicht gut lesbar), der größte Teil schreibt Druckschrift, oft sogar schön.
Aus Sicht der Theorie ist das vielleicht sogar ein Erfolg? Hauptsache lesbar, ob verbunden oder nicht? Zumindest umfangreiche Deutschaufsätze fallen so allerdings schwerer als mit einer Schreibschrift. Das Ziel ist eigentlich, glaube ich, eine selbständig entwickelte und individuelle teilverbundene Schrift: Nicht alle Buchstaben sind wie in den Schreibschrift-Ausgangsschriften verbunden, aber auch nicht alle unverbundene Druckschrift – man macht Verbindungen, wo man sie möchte, aber doch so viele, dass man flüssig schreiben kann.
Zu diesem Zweck hat die VA einige besondere Merkmale. Anders als etwa bei der LA oder SAS beginnen Buchstaben grundsätzlich oben auf der Mittellinie und enden auch dort:

Das soll sowohl das Verbinden leichter machen als auch das Absetzen und Nicht-Verbinden. Wikipedia zum Vergleich mit der LA: „In der Lateinischen Ausgangsschrift gilt das Verbinden der Buchstaben als schreibtechnisch einfacher, aber vom Erlernen her schwieriger, weil es vier verschiedene Möglichkeiten gibt.“
Dieses schreibtechnisch erschwerte Verbinden der Buchstaben in der VA kompensieren die Schülerinnen und Schüler wohl dadurch, dass sie es gleich sein lassen und auf Druckschrift ausweichen. Ob das mit Lateinischer Ausgangsschrift oder SAS anders wäre, kann ich nicht beurteilen, habe nur Vermutungen: Man lernt die VA wohl leichter, und danach wird sie schlechter, eine Sackgasse.
Bei den Schülern und Schülerinnen (aber es sind eher Schüler), die die VA noch am Gymnasium benutzen, sehe ich oft, dass das zu einer Art pseudo-verbundenen Schrift führt: der Aufstrich nach dem ersten Buchstaben wird ausgeführt, dann pausiert der Stift, ohne dabei abgehoben zu werden, und geht dann in einem anderen Winkel weiter zum folgenden Buchstaben. Dann kann man das Verbinden ja wirklich gleich sein lassen.
In einem taz-Beitrag von 2011, als noch mehr um die VA gestritten wurde, wird spekuliert, dass ökonomische Interessen hinter der VA stehen. Denn die VA lässt sich einfach als Computerschrift setzen, weil dort eben jeder Buchstabe unabhängig von der Umgebung gleich aussieht – keine Allographen, und das macht es den Schulbuchverlagen sehr viel einfacher. Die SAS oder Lateinische Ausgangsschrift dagegen muss von Hand geschrieben oder jedenfalls sehr viel aufwendiger gesetzt werden. In den handgeletterten Lurchi-Abenteuern von Salamander, die ich in der Grundschulzeit viel gelesen habe, erkennt man gut, dass das e oder r je nach Umgebung anders aussehen:

(Meine erste Begegnung mit Silberiodid übrigens, unvergessen.)
Lineaturen
Selber habe ich ja noch mit Schiefertafel angefange, damals schon etwas altmodisch und nur im ersten halben Jahr, aber ja. Heute beginnt man in der ersten Klasse wohl (ich kenne mich da nicht gut aus) häufig mit dieser Lineatur:

In der zweiten dann mit der gleichen Lineatur, nur etwas kleiner:

Und in der dritten Klasse (bevor es dann in der vierten nur noch eine Grundlinie pro Zeile gibt) nimmt man diese Lineatur, die es zu meiner Zeit wohl noch nicht gab. Jedenfalls kann ich mich nicht an sie erinnern. Eigentlich erscheint sie mir logisch und hilfreich: Man hat die Mittellinie, bei der man in der VA anfangen muss, und die Grundlinie und bereits viel Freiheit für individuelle Ober- und Unterlängen:

Aber mehrere Klassen sagten einhellig, dass das die schlimmste Lineatur von allen gewesen sei.
Interessant finde ich das Verhältnis von Ober-, Mittel- und Unterlänge. In den deutschen Schulschriften ist das 3:4:3 (wie im vorletzten Bild), aber Sütterlin hatte 1:1:1 (das erste Bild), und deutsche Kurrent (von vor Goethe bis zur Nachfolger-Variante Sütterlin, letztes Bild) hatte 2:1:2, also mit ganz kleiner Mittellänge:

Das mit der kleinen Mittellänge bei der deutschen Kurrent gefällt mir gut, auch für meine Schrift, sie lässt Platz für viel Schwünge bei Ober- und Unterlänge.
Andere Länder
Hier interessant, aber nicht erfolgt, wäre ein Vergleich mit französischen oder englischen Ausgangsschriften und Handschriften. Man sieht da ja oft gleich, dass da keine deutsche Schule am Werk war. Sind es einzelne Buchstaben, das englische r etwa, oder die höheren Oberlängen, wie ich sie mir am Französischen einbilde?
Für England gefunden:
The National Curriculum for English places high importance on handwriting but does not provide guidance on how it should be taught. It also does not specify a particular font style. A casual cursive style is implied i.e. understand which letters, when adjacent to one another, are best left un-joined, but this guidance has been ignored by the many schools teaching a continuous cursive style.
https://nha-handwriting.org.uk/handwriting/help-for-teachers/handwriting-in-the-national-curriculum-key-stages-1-and-2/
Übungsmöglichkeiten
Ich halte es für sinnvoll, weil nötig und möglich, auch am Gymnasium noch Schrift zu üben.
Wer bereits eine ordentliche Handschrift hat, kann Varianten üben – das macht man spätestens in der Mittelstufe ja ohnehin: Kringel auf dem i, linksgeneigt, rechtsgeneigt. Oder Schönschreiben für Urkunden und Grußkarten. Oder Kalligraphie, Tolkien oder Unziale, oder Handlettering üben (Text separat):

Wer so mittel schreibt, kann das alles auch, kann aber auch mal üben: Druckschrift langsam/schnell, Schreibschrift langsam/schnell. (Zu oft ist das dann noch reine VA.) Oder schwungvoll-schön, das muss dann gar nicht mehr so lesbar sein.
Wer unleserlich schreibt, der kann mit der Drittklasslineatur arbeiten. Oder mit SAS statt VA: ich sehe oft, dass jemand bei der VA, deren Buchstaben auf der Mittellinie beginnen, sehr unsicher an einem Punkt beginnt, der mal weiter oben, mal weiter unten ist. Da kann der Anfang an der Grundlinie wie bei der SAS helfen, finde ich. Aber wie man lesbares und schönes verbundenes Schreiben wirklich trainiert, dazu weiß ich zu wenig. Übungshefte und Abschreibtexte?
Kalligraphische Schriften
In meiner Jugend trieb ich Kalligraphie, und die einzige Schrift, die einigermaßen gut aussah, und die ich heute auch noch halbwegs kann, war die Unziale. Man erkennt sie gleich, sie wird gerne genommen, wenn es Mittelalterlichkeit geht. Proben zum Einscannen habe ich nicht da, nur einen kalligraphisch mäßig erfolgreichen Entwurf für ein Titelbild zu einem Fanzine (nie verwendet).

Links
- https://www.handschrift-schreibschrift.de/tipps-f%C3%BCr-eltern/
Sehr viel Material, eine VA-skeptische Seite mit vielen Schriftbeispielen. - https://www.isb.bayern.de/grundschule/materialien/m/materialien-zur-vereinfachten-ausgangsschrift/
Material zur VA am ISB, entstanden zu deren Einführung und deshalb nicht mehr völlig aktuell; insbesondere die Begründung der Vorteile der VA ist lesenswert.
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