Handschrift am Gymnasium

(23 Kommentare.)

Manche Schülerinnen und Schüler in der Unterstufe haben eine schlechte Handschrift, also weder schön noch leserlich. Meistens betrifft das männliche Schüler, obwohl es auch solche mit anderer Schrift gibt. Das zieht sich dann bis in die Oberstufe, ob bei allen oder nur manchen, das weiß ich nicht.

(Wieso haben eigentlich vor allem Jungen die richtig schlechte Handschrift? Es gibt genügend Jungen mit schöner Handschrift, aber die richtig schlechten Schriften sind überproportional bei diesen. Üben die weniger, haben die weniger Interesse, hat es doch etwas mit Entwicklung zu tun? Dazu gibt es doch sicher Forschung.)

Ich hatte lange keine 5. Klasse mehr, sondern steige meist erst in der 6. Jahrgangsstufe ein. Ich kann mich nicht erinnern, je explizit mit einer Klasse das saubere Schreiben mit der Hand geübt zu haben. In meiner 7. Klasse habe ich neulich eine Doppelstunde zur Handschrift gemacht, das würde ich in Zukunft wieder tun und erweitern. Über Twitter habe ich von einer bayerischen Realschule gehört, die ihre Fünftklässler*innen mit einem Willkommensprogramm abholt, zu dem auch explizite Schriftförderung gehört. Das klingt sinnvoll.

Wozu Handschrift

Gelegentlich wird diskutiert, ob Handschrift noch wichtig sein wird, wenn man in Zukunft alles diktieren kann oder über Tastatur schreibt. In manchen Ländern ist in der Grundschule die Schreibschrift schon am verschwinden und kann ganz durch Druckschrift ersetzt werden. Hier ein paar Beispiele, was man mit Handschrift machen kann:

Elbenschrift (obwohl die Sprache bekanntlich nicht Elbisch ist)
Ssolbergj, One Ring inscription, CC BY-SA 4.0
Widmungen in Büchern, hier bereits schon nicht ganz fehlerfrei
Poesiealbum 1975, Anfang 3. Klasse
Handlettering v. Maschinensatz (der heute aber auch anders aussieht)

Ausgangsschriftarten

Ausgangsschriften heißen die Schriften, die man in der Grundschule lernt, und auf deren Basis man später eine eigene Handschrift entwickelt. In Bayern sind das noch überall Schreibschriften, es gibt aber auch Druckbuchstaben-Schriften, die andere Länder verwenden.

Ich habe noch diese Schreibschrift in der Grundschule (1974-1978) gelernt:

Vfol, Lateinische Ausgangsschrift 1953 plain, CC BY-SA 4.0

Diese „lateinische Ausgangsschrift“ (1953) war schon okay, ich mochte allerdings manche der Großbuchstaben nicht, weil sie mir Schwierigkeiten bereiteten: Das X sah immer wie ein H aus oder umgekehrt, S und L und C brachte ich auch durcheinander.

In der DDR wurde daraus die „Schulausgangsschrift“ (1968), die heute in einigen Bundesländern verbindlich ist, in anderen (darunter Bayern) eine von zwei zugelassenen Ausgangsschriften in den Grundschulen ist. Diese Schrift ähnelt sehr der lateinischen Ausgangsschrift, der große Unterschied besteht in der Vereinfachung der Großbuchstaben:

Renate Tost, Schulausgangsschrift 1968, CC BY-SA 4.0

Die andere in Bayern mögliche Schrift ist die „Vereinfachte Ausgangsschrift“ (1969, in Bayern ab 2001/2002 verpflichtend eingeführt, ab 2014/2015 erstens mit Varianten etwa bei e und z, und zweitens nunmehr nur noch als Wahlmöglichkeit neben der Schulausgangsschrift):

Ergänzende Informationen zum LehrplanPLUS des ISB

Noch haben (so gut wie) alle meine Schülerinnen und Schüler in der 7. Klasse die Vereinfachte Ausgangsschrift gelernt, wie sehr die Option der Schulausgangsschrift in Bayern inzwischen genutzt wird, weiß ich nicht. Da sollte man doch eigentlich gut Unterschiede verfolgen können.

Bei der Einführung der VA war sie umstritten. Gut, alle Neueinführungen in der Bildung sind umstritten. Kritikpunkte waren, dass die Schrift zu zu großen Abständen zwischen dem ersten Großbuchstaben und dem Rest des Wortes führe, dass einzelne Buchstaben einander zu ähnlich würden, dass manche Buchstaben nicht lesbar würden (t) oder das lange z und das Köpfchen-e Probleme bereiteten. (Inzwischen gibt es für beide Alternativformen.) Und dass die Schrift hässlich sei.

Ich teile die Meinung, was die Hässlichkeit betrifft. Aber das ist nicht sehr relevant, es ist ja eine Ausgangsschrift; wenn sich aus der, so hässlich oder nicht sie ist, eine schöne und lesbare Schrift entwickelt, dann ist das ja völlig in Ordnung. Tatsächlich glaube ich, dass das allerdings nicht der Fall ist: Nur wenige SuS am Gymnasium haben eine eigene verbundene Schrift entwickelt, ein paar schreiben noch die ursprüngliche VA (hässlich und nicht gut lesbar), der größte Teil schreibt Druckschrift, oft sogar schön.

Aus Sicht der Theorie ist das vielleicht sogar ein Erfolg? Hauptsache lesbar, ob verbunden oder nicht? Zumindest umfangreiche Deutschaufsätze fallen so allerdings schwerer als mit einer Schreibschrift. Das Ziel ist eigentlich, glaube ich, eine selbständig entwickelte und individuelle teilverbundene Schrift: Nicht alle Buchstaben sind wie in den Schreibschrift-Ausgangsschriften verbunden, aber auch nicht alle unverbundene Druckschrift – man macht Verbindungen, wo man sie möchte, aber doch so viele, dass man flüssig schreiben kann.

Zu diesem Zweck hat die VA einige besondere Merkmale. Anders als etwa bei der LA oder SAS beginnen Buchstaben grundsätzlich oben auf der Mittellinie und enden auch dort:

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vereinfachte_Ausgangsschrift_-_Bsp1.jpg

Das soll sowohl das Verbinden leichter machen als auch das Absetzen und Nicht-Verbinden. Wikipedia zum Vergleich mit der LA: „In der Lateinischen Ausgangsschrift gilt das Verbinden der Buchstaben als schreibtechnisch einfacher, aber vom Erlernen her schwieriger, weil es vier verschiedene Möglichkeiten gibt.“

Dieses schreibtechnisch erschwerte Verbinden der Buchstaben in der VA kompensieren die Schülerinnen und Schüler wohl dadurch, dass sie es gleich sein lassen und auf Druckschrift ausweichen. Ob das mit Lateinischer Ausgangsschrift oder SAS anders wäre, kann ich nicht beurteilen, habe nur Vermutungen: Man lernt die VA wohl leichter, und danach wird sie schlechter, eine Sackgasse.

Bei den Schülern und Schülerinnen (aber es sind eher Schüler), die die VA noch am Gymnasium benutzen, sehe ich oft, dass das zu einer Art pseudo-verbundenen Schrift führt: der Aufstrich nach dem ersten Buchstaben wird ausgeführt, dann pausiert der Stift, ohne dabei abgehoben zu werden, und geht dann in einem anderen Winkel weiter zum folgenden Buchstaben. Dann kann man das Verbinden ja wirklich gleich sein lassen.

In einem taz-Beitrag von 2011, als noch mehr um die VA gestritten wurde, wird spekuliert, dass ökonomische Interessen hinter der VA stehen. Denn die VA lässt sich einfach als Computerschrift setzen, weil dort eben jeder Buchstabe unabhängig von der Umgebung gleich aussieht – keine Allographen, und das macht es den Schulbuchverlagen sehr viel einfacher. Die SAS oder Lateinische Ausgangsschrift dagegen muss von Hand geschrieben oder jedenfalls sehr viel aufwendiger gesetzt werden. In den handgeletterten Lurchi-Abenteuern von Salamander, die ich in der Grundschulzeit viel gelesen habe, erkennt man gut, dass das e oder r je nach Umgebung anders aussehen:

„Im Düsenflugzeug um die Welt.“ Lurchis gesammelte Abenteuer Band I. Salamander AG Kornwesthei

(Meine erste Begegnung mit Silberiodid übrigens, unvergessen.)

Lineaturen

Selber habe ich ja noch mit Schiefertafel angefange, damals schon etwas altmodisch und nur im ersten halben Jahr, aber ja. Heute beginnt man in der ersten Klasse wohl (ich kenne mich da nicht gut aus) häufig mit dieser Lineatur:

Lineatur häufig für die 1. Klasse, mit Oberlinie, Mittellinie, Grundlinie, Unterlinie

In der zweiten dann mit der gleichen Lineatur, nur etwas kleiner:

Lineatur häufig für die 2. Klasse, nur etwas Kleiner

Und in der dritten Klasse (bevor es dann in der vierten nur noch eine Grundlinie pro Zeile gibt) nimmt man diese Lineatur, die es zu meiner Zeit wohl noch nicht gab. Jedenfalls kann ich mich nicht an sie erinnern. Eigentlich erscheint sie mir logisch und hilfreich: Man hat die Mittellinie, bei der man in der VA anfangen muss, und die Grundlinie und bereits viel Freiheit für individuelle Ober- und Unterlängen:

Lineatur häufig für die 3. Klasse, nur Mittel- und Grundlinie

Aber mehrere Klassen sagten einhellig, dass das die schlimmste Lineatur von allen gewesen sei.

Interessant finde ich das Verhältnis von Ober-, Mittel- und Unterlänge. In den deutschen Schulschriften ist das 3:4:3 (wie im vorletzten Bild), aber Sütterlin hatte 1:1:1 (das erste Bild), und deutsche Kurrent (von vor Goethe bis zur Nachfolger-Variante Sütterlin, letztes Bild) hatte 2:1:2, also mit ganz kleiner Mittellänge:

Ra’ike (see also: de:Benutzer:Ra’ike), Lineaturen, CC BY-SA 3.0

Das mit der kleinen Mittellänge bei der deutschen Kurrent gefällt mir gut, auch für meine Schrift, sie lässt Platz für viel Schwünge bei Ober- und Unterlänge.

Andere Länder

Hier interessant, aber nicht erfolgt, wäre ein Vergleich mit französischen oder englischen Ausgangsschriften und Handschriften. Man sieht da ja oft gleich, dass da keine deutsche Schule am Werk war. Sind es einzelne Buchstaben, das englische r etwa, oder die höheren Oberlängen, wie ich sie mir am Französischen einbilde?

Für England gefunden:

The National Curriculum for English places high importance on handwriting but does not provide guidance on how it should be taught. It also does not specify a particular font style. A casual cursive style is implied i.e. understand which letters, when adjacent to one another, are best left un-joined, but this guidance has been ignored by the many schools teaching a continuous cursive style.  

https://nha-handwriting.org.uk/handwriting/help-for-teachers/handwriting-in-the-national-curriculum-key-stages-1-and-2/

Übungsmöglichkeiten

Ich halte es für sinnvoll, weil nötig und möglich, auch am Gymnasium noch Schrift zu üben.

Wer bereits eine ordentliche Handschrift hat, kann Varianten üben – das macht man spätestens in der Mittelstufe ja ohnehin: Kringel auf dem i, linksgeneigt, rechtsgeneigt. Oder Schönschreiben für Urkunden und Grußkarten. Oder Kalligraphie, Tolkien oder Unziale, oder Handlettering üben (Text separat):

Doktor Strange 4, Williams-Verlag 1975 (Stan Lee, Steve Ditko)

Wer so mittel schreibt, kann das alles auch, kann aber auch mal üben: Druckschrift langsam/schnell, Schreibschrift langsam/schnell. (Zu oft ist das dann noch reine VA.) Oder schwungvoll-schön, das muss dann gar nicht mehr so lesbar sein.

Wer unleserlich schreibt, der kann mit der Drittklasslineatur arbeiten. Oder mit SAS statt VA: ich sehe oft, dass jemand bei der VA, deren Buchstaben auf der Mittellinie beginnen, sehr unsicher an einem Punkt beginnt, der mal weiter oben, mal weiter unten ist. Da kann der Anfang an der Grundlinie wie bei der SAS helfen, finde ich. Aber wie man lesbares und schönes verbundenes Schreiben wirklich trainiert, dazu weiß ich zu wenig. Übungshefte und Abschreibtexte?

Kalligraphische Schriften

In meiner Jugend trieb ich Kalligraphie, und die einzige Schrift, die einigermaßen gut aussah, und die ich heute auch noch halbwegs kann, war die Unziale. Man erkennt sie gleich, sie wird gerne genommen, wenn es Mittelalterlichkeit geht. Proben zum Einscannen habe ich nicht da, nur einen kalligraphisch mäßig erfolgreichen Entwurf für ein Titelbild zu einem Fanzine (nie verwendet).

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Kommentare

23 Antworten zu „Handschrift am Gymnasium“

  1. corsa

    *** sehr gerne gelesen ***

  2. Ich habe 1981 in der 1. Klasse in NRW die Lateinische Ausgangsschrift gelernt um dann in den übrigen drei Grundschuljahren in Bayern jede kleine Abweichung der Form angestrichen zu bekommen – auch jene, die sich zwischen den beiden Interpretationen in den beiden Bundesländern unterschieden hatten, und dadurch immer mäßige Schönschreibnoten zu haben.

    Danach war Handschrift in meinem Kopf eine Sache, in der es keine Variation geben darf, und ich bin nie dazu gekommen, eine eigene verbundene Schrift zu entwickeln.

    Stattdessen schreibe ich seit ca. der 8. Klasse nur noch Druckschrift. Das geht mit der Zeit auch recht schnell, und da entwickelt sich auch ein unverwechselbares Schriftbild, aber so eine richtige Handschrift wurde das nie.

  3. Oh je. Zumindest der aktuelle Lehrplan der Grundschule sagt „ausgehend von den Richtformen der Vereinfachten Ausgangsschrift oder der Schulausgangsschrift,“ und ich hoffe, da ist man auch so flexibel, wie das klingt. Gerade das Festhalten an den gelernten Details stört mich an den Handschriften, die ich in der Schule so sehe. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass das in BY früher anders war.

    (Selber kann ich mich nicht erinnern. Schrift war eines meiner schwächeren und wenig geliebten Fächer, das weiß ich noch, aber nicht zu schlimm.)

  4. Stefan

    Hallo!

    Ich habe vor knapp 40 Jahren schreiben gelernt. Mathematiker,
    promovierter Informatiker, Dozent, aktuell Entwickler. Meine
    Handschrift ist ein inkonsistentes Gekrakel.

    Vermutung: Auge-Hand-Koordination. Ich kann praktisch nicht
    jonglieren, und im Schulsport hatte ich immer Schwierigkeiten Bälle zu
    fangen. Vielleicht hapert es auch nur an der Koordination zwischen
    Imagination und Hand: Im Kunstunterricht sahen meine Bilder nie so aus
    wie ich sie mir vorgestellt hatte. Oder meine Skulpturen.

    Ich kann zeichnen, mit Zirkel, Lineal und/oder Karopapier. Ich kann
    schreiben, mit einer Tastatur. Ich kann handwerken, wenn ich die
    Löcher und Schnitte vorher anzeichne. Aber offenbar verwende ich
    dabei immer Hilfsmittel, die die letzten Ungenauigkeiten in der
    Feinmotorik glattbügeln. Müsste ich “freihändig” eine vor mir
    stehende Blume malen, eine Grußkarte schreiben, oder eine Büste
    modellieren, ich wäre verloren.

    Vielleicht ist es auch eine Art der Vorstellungskraft, die da nicht
    gut ausgebildet ist. Wenn ich versuche mit Zirkel und Lineal, oder
    mit einem Malprogramm wie Inkscape oder Gimp, freie ästhetische Formen
    zu gestalten (z.B. ein abstrahiertes Gesicht, eine Pflanze, oder
    Industriedesign), dann wird das nichts.

    Wie lernt man das also? Keine Ahnung. Rückblickend auf meine
    Schulzeit habe ich auch nicht den Eindruck dass jemals jemand versucht
    hätte mir das beizubringen. Die Lehrer haben die Schönschrift, das
    Ballfangen, und das Lehmformen vorgemacht. Dann haben sie die
    schönsten Arbeiten der Mitschüler an eine Pinnwand gehängt, gelobt,
    oder ausgestellt. Damit sich Trottel wie ich anschauen könnten wie es
    geht. Sieht man da aber nicht, da sieht man nur was rauskommen soll,
    nicht wie man da hinkommt.

    Man hat mich damals jedenfalls viel abschreiben lassen. Ich habe es
    gehasst, weil es (aus meiner Perspektive) so vollkommen sinnlos war.
    Meine Gedanken sind abgeschweift, ich habe Ewigkeiten für einen Absatz
    gebraucht, es war zäh und langweilig. Im Diktat war ich deutlich
    besser — heute würde ich sagen: Da kam ich leichter in den Tunnel, das
    Fokussieren auf eine Aufgabe, man hat ja keine Zeit mal an was Anderes
    zu denken, der Lehrer diktiert weiter.

    Falls damals die Auge-Hand-Koordination oder die Feinmotorik hätten
    trainiert werden sollen, dann hat mir das jedenfalls niemand gesagt.
    Oder doch, und ich habs mit meinen acht Jahren nicht begriffen. Und
    jedenfalls waren die Trainingsmethoden nicht motivierend. Aber
    tatsächlich glaube ich nicht, dass Auge-Hand-Koordination oder
    Feinmotorik jemals explizit als Schwäche erkannt worden wären. Und
    vielleicht liege ich mit meiner Theorie auch ganz weit daneben.

  5. Die Lineatur der dritten Klasse kenne ich aus meiner Grundschulzeit in Bayern Mitte der sechziger Jahre. Sie war später auch ideal für das Erlernen der deutschen Einheitskurzschrift.

  6. Pony Irgendwas

    Tatsächlich musss man wohl bei der Entwicklung der Feinmotorik beginnen, wenn es um Handschriften geht. Und da ereignet sich dann vermutlich die Jungen-Katastrophe im Kindergarten. Mein Sohn (im konventionellen Kindergarten) musste monatelang (!) irgendwelche verdammten Mandalas ausmalen, die natürlich nie so aussahen, wie es sich Kindergärtnerinnen vorgestellt haben, und die schon gar niemals nicht als „schön“ qualifiziert wurden, wie die der Mädchen. Wenn dann Schönschreiben im Alphabetisierungskontext der Grundschule angesagt ist, sind Jungen vermutlich häufig schon vorbelastet und gehen mit entsprechender Negativ-Erwartung zu Werke. Der Vater dagegen musste nicht vorbeschult werden und hat daher ein positives Verhältnis zu Schönschrift und allem, was dazugehört, behalten. Interessant ist jedoch, dass bei mir traumatische Episoden in der Biographie zu einer nachhaltig degenerierten Handschrift (leider auch an der Tafel) führten. Ist also doch etwas dran, an der Graphologie?
    Wie dem auch sei, aktuell versuche ich eine Handschrift von 1945 (Feldpostbriefe eines jungen Soldaten, ca. Jahrgang 1920) zu entziffern, die mir doch erheblich Mühe macht, weil sie sowohl Sütterlin-Allographen als auch Ausgangsschrift enthält und beides nicht konsistent ist (furchtbar: diese S-Laute). Mir wäre die LA am liebsten, die anderen Schriften führen nach meiner Beobachtung häufig zu Wortbildungsfragmenten (Zusammen- und Getrenntschreibung).

  7. Susann Meißner

    Sehr interessanter Beitrag! Ich kann dir nur zustimmen, weil ich ähnliche Beobachtungen gemacht habe und 1972 eingeschult wurde. Eine Schiefertafel hatten wir nicht, aber ein Heft für gefühlt endlose Schwungübungen, wo ich doch eigentlich richtig schreiben lernen wollte.
    Ich habe dieses Jahr auch eine 5. Klasse und stelle fest, so schlimme Schriften hatte ich noch nie (Auch bei mir die Buben). Vielleicht hängt es bei diesem Jahrgang auch mit den Schulschließungen in der Grundschulzeit zusammen, vielleicht wurde weniger geschrieben, geübt oder durch den Distanzunterricht war das Feedback nicht so unmittelbar wie vielleicht nötig. Wäre interessant, wie Grundschullehrkräfte das einschätzen.

  8. Paul Meier

    Ganz furchtbar, wenn die Schreibschrift vernachlässigt wird.
    -Druckschrift zum Lesen
    -Schreibschrift zum Schreiben.

    Eine Schreibschriftvermittlung ist eine Kultur-/Werte- und Traditionsvermittlung unserer Gesellschaft!

    Gründe:
    Politische (vereinfachtes Lernen für Zuwanderer) und wirtschaftliche Entscheidungen (Diktatur der Verlage)

    Ich vermittle in der 1. Klassenstufe der GS erfolgreich die SAS und das bleibt auch so.

  9. Robert

    Wieder ein sehr schöner Artikel! Habe selbst ausschließlich SAS gelernt (da DDR), und zumindest in den ersten Jahren wurde penibel jede Abweichung angestrichen. Leider wurde uns danach aber nie mitgeteilt, dass es darum ging, mittelfristig eine eigene Handschrift zu entwickeln – möglicherweise ist dieser Punkt wie manches andere im Zuge der Lehrplanumstellungen in der Wendezeit verloren gegangen. Irgendwann (glaube erst 5. Klasse) sah ich dann eher zufällig bei einem Banknachbarn, dass man auch in Druckschrift schreiben „durfte“ und konnte, und habe quasi über Nacht meine Handschrift auf Druckschrift umgestellt, und bin seitdem auch nie zur SAS zurück.

  10. Toni M.

    Vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Als in der DDR geborenem Dresdener sieht die SAS auch heute noch für mich wie die „richtige“ Variante aus, ohne große Schnörkel. Aber das ist halt die Nacht der Gewohnheit.
    Dass die Schrift generell schlechter wird, kann ich so nicht bestätigen. Bei uns hatten damals auch viele eine unleserliche Sauklaue. Und von meinem Elfern und Zwölfern haben viele eine meist leserliche, charakteristische Handschrift. Selten dass ich mal Schwierigkeiten habe beim Korrigieren.

  11. >Vermutung: Auge-Hand-Koordination.
    @Stefan: Gut möglich. Und es gibt sicher Fälle, wo man eine Fachperson zu Hilfe ziehen sollte, oder wo sich überhaupt wenig machen lässt. Da kann ich wenig ausrichten, aber manchen kann ich vielleicht auch Laie noch helfen..

    >Die Lineatur der dritten Klasse kenne ich aus meiner Grundschulzeit in Bayern Mitte der sechziger Jahre
    @N. Aunyn: Dann wird es die bei uns wohl auch gegeben haben. Ich habe nur Material aus der 4. Klasse (oder jedenfalls nur das eingescannt, müsste mal in Kisten kramen), aber je mehr ich diese Lineatur anschaue, desto mehr vermeine ich mich zu erinnern. Das kann natürlich trügen.

    >Vielleicht hängt es bei diesem Jahrgang auch mit den Schulschließungen in der Grundschulzeit zusammen
    @Susann Meißner Bestimmt. Ich weiß gar nicht, wie das mit unseren aktuellen 5. Klassen aussieht.

    >Dass die Schrift generell schlechter wird, kann ich so nicht bestätigen.
    @Toni M. Das ist schön! Ein paar Prozent ziehe ich ja vorsorglich immer ab von meinem „früher war das anders“. Die schönste Antwort wäre die, das die VA an allem schuld ist und es die in Sachsen (ich weiß nicht, ob du da noch bist) nie gab. Aber so einfach ist das sicher nicht.

  12. N. Fügert

    Vielen Dank für diesen Artikel! Ich habe im letzten Schuljahr in meiner 8. Klasse ebenfalls das Thema Handschrift bearbeitet, da etliche Jungen eben keine „ausgeschriebene“ Handschrift haben. Ich habe das Thema aber größer gefasst, denn die Schüler:innen müssen wissen, wozu es gut sein soll: Natürlich ist Lesbarkeit ein wichtiger Aspekt, aber vielmehr noch halte ich es für wichtiger, flüssig und leserlich zu schreiben im Hinblick auf die Fähigkeit Notizen zu machen, gerade beim Weg in die Oberstufe. Schnell und flüssig schreiben zu können erlaubt es erst, im Unterricht mitzuschreiben, Gedanken beim Brainstorming zu notieren und Schreiben als Denktechnik zu nutzen. Wir haben dazu einen Text gelesen und diejenigen, die noch Training brauchen, haben dann geübt, auch mit Lineatur. Das Thema Notieren / Notizen machen werde ich in Klasse 9 wieder aufgreifen und das Training wird weitergehen. Mein Vorschlag, sich noch einmal mit dem Thema Handschrift zu beschäftigen, löste zunächst bei den Schüler:innen Verwunderung aus („Wir sind doch nicht mehr in der Grundschule!“), aber nach der Einheit konnten sie das Thema anders sehen. Hilfreich ist vielleicht auch das Thema Sketchnote, das wurde sehr gut angenommen und trainiert auch die Schreibmotorik und weckt Interesse an grafischer Gestaltung von Texten.
    Aber beim konkreten Üben bin auch ich sehr „geschwommen“ – ich habe mir die Bewegungen zeigen lassen, wir haben über Sinn und Unsinn von verbundenen Buchstaben diskutiert, die Schüler:innen haben die Geschwindigkeit des Schreibens gemessen und sich gegenseitig ein Feedback zur Lesbarkeit gegeben.
    Ich denke, das Thema gehört unbedingt auch in die weiterführenden Schulen, aber es fehlt dazu an motivierendem Übungsmaterial, das eben nicht auf dem Grundschulniveau verortet ist.

  13. Robert

    Drei Vermutungen:

    (1) Es gibt verschiedene genetische Veranlagungen, die Buben, im Durchschnitt, sowohl freudiger als auch erfolgreicher Steine zielwerfen lassen als Mädchen, die Mädchen, im Durchschnitt, Stickbilder gleichmäßiger und lustvoller sticken lassen als Buben, und die Jungs, im Durchschnitt, krakeliger und weniger gern schönschreiben lassen als Mädchen. Dazu müsste man allerdings anerkennen, dass es biologische Geschlechter und genetisch bedingte, abgestufte Begabungen gibt, und dass diese Begabungen nicht komplett von den Geschlechtern losgelöst sind.

    (2) Kinder zeichnen und malen in den letzten zwanzig Jahren, also ungefähr seit Einführung der VA in Bayern, schon in ihrer frühen Kindheit weniger freihand als vor dreißig oder vierzig Jahren – Malvorlagen aus dem Internet, Druckern in Kindergärten und billigen Malbüchern in Supermärkten und Ein-Euro-Shops sei Dank. Wer weniger Blumen gezeichnet hat, dem fällt tendenziell auch jeder Kreis und jeder Bogen des kleinen g schwerer als sie ihm fallen würden, hätte er mehr Blumen gemalt. Vielleicht Argumente dagegen: Auch im Ausmalen sind die Kinder heute, im Durchschnitt, schlechter als früher. Und in Zeiten der gestochenen Handschriften stand sicher weniger Papier zum Freihandzeichnen zur Verfügung als vor dreißig, vierzig oder fünfzig Jahren.

    (3) Schönem Schreiben werden heute schon in der Grundschule weniger Bedeutung und Zeit eingeräumt als früher, und die Kinder werden weniger getriezt. Das Triezen hat wohl nicht bei allen, doch bei den allermeisten Kindern, Jungen wie Mädchen, die durch Übung lernen, zu einer schöneren Handschrift geführt. Auch der Anteil der Eltern, die etwas für eine schöne Handschrift ihrer Kinder tun, zum Beispiel sie triezen, wird heute geringer sein als früher. Diese Eltern würden ihren Kindern wahrscheinlich auch bei Skorbut-Symptomen kein Vitamin C geben, wenn das die Aufgabe der Schule wäre.

    Wie geschrieben, alles nur Vermutungen, ohne Belegmöglichkeiten meinerseits.

    P. S.: Ein anderer Robert als weiter oben.

  14. @N. Fügert: Oh ja, das kann und sollte man erweitern! Bald gibt es mehr Tablets an meiner Schule; wie damit umgehen? Sketchnotes mag ich selber nicht (ich mag ja schon keine Mindmaps, bitte nur Text für mich), aber wenn’s hilft, dann gerne.

    @Robert (ein anderer): Hm ja. Vermuten kann man Genetik als Ursache. Aber ich sehe da so früh so viel Sozialisation bei den Jungen und Mädchen, dass ich die weit eher vermutet hätte. Weniger zeichnen: das kann ich mir allerdings sehr gut vorstellen. Getriezt wird heute wohl auch noch viel, nur halt bei anderen Sachen. Aber auch da werden Mädchen vielleicht eher getriezt als Jungs.

  15. N.Fügert

    Ich glaube, dass das Thema Notizen / / Mitschriften machen und Gedanken strukturiert aufs Papier zu bringen, im Fokus stehen sollte. Ein Aspekt davon ist dann die Handschrift (kann ich meine Notizen selbst lesen, können es andere), aber eben auch die Organisation der Notizen / Gedanken.

  16. Pony Irgendwas II

    @“anderer Robert als weiter oben“. Ich teile deine Ansichten und Vermutungen. Das Problem (der Jungen) beginnt schon im Vorschulalter. Ich hatte einen Kommentar mit teilweise ähnlichem Inhalt geschrieben und abgeschickt, der aber hier vermutlich aus technischen Gründen nicht auftaucht.

  17. (Verzeihung, jetzt ist der verschwundene Kommentar da.)

  18. Aginor

    Schöner Beitrag, danke!

    Ich war überrascht zu sehen dass es die VA schon so lange gibt, denn ich habe (in BaWü, 1990er Jahre) ebenfalls die im Beitrag zuerst gezeigte „lateinische Ausgangsschrift“ gelernt.
    Das war für mich grauenvoll, denn ich hatte mir im Kindergartenalter selbst schon eine Art schreiben in Druckschrift beigebracht und obwohl in Büchern alle Buchstaben so aussahen und auch noch viel besser lesbar waren, war es plötzlich falsch sie so zu schreiben. Frustrierend.

    Ich hatte als Schüler eine recht unschöne Handschrift, und auch ich hatte wie Herr Rau das Problem zwischen X und H, sowie zwischen S und C. Bei schnellem Schreiben auch mal zwischen s und z. (hastiges verbinden neigte den oberen Teil des s so weit nach rechts dass sich der Bogen nach unten nach links anstatt nach rechts beulte, was eben wie ein z aussieht). Auch dass das absetzen im Wort kritisiert wurde hat mich immer genervt. Mir widerstrebt z.B. das setzen der Ö-Striche oder I-Punkte nach dem vervollständigen des ganzen Wortes. Ich mache die sofort, sie gehören einfach zu diesem Buchstaben und ich sehe nicht ein warum ich mit dem nächsten Buchstaben weitermachen soll wenn der vorherige nicht fertig ist.

    Ich konnte später interessanterweise recht schön schreiben (macht sich gut auf handgeschriebenen Geburtstagskarten), aber eben nur wenn ich relativ langsam schreibe.

    Trotz meiner Probleme hielt ich an der Schreibschrift fest, auch nachdem wir in der 8. Klasse (oder so) die Wahl bekamen (Gewohnheitsmensch schätze ich), und die meisten meiner Mitschüler auf eine Druckschrift oder eine vereinfachte Schrift wechselten. Meine Prüfung zur Mittleren Reife schrieb ich glaube ich dann noch in Schreibschrift. Da war ich schon am Umstellen aber noch nicht schnell/schön genug in meiner neuen Schrift.

    Das kleine z der VA mit dem Bogen kannte ich übrigens nur von alten Leuten (sah im Sütterlin so aus) und staunte nicht schlecht als ich vor ein paar Jahren plötzlich junge Leute traf die das so machten. Zum Glück gibt es Herrn Rau, der das in einem Kommentar zu einem Blogeintrag (hah, wollte eben „vor nicht allzu langer Zeit“ schreiben, das war aber 2018 wie ich sehe) erklärte.

    In der 11. Klasse stellte ich endgültig auf eine Art Druckschrift um. Ich stelle fest dass ich irgendwann in den letzten 20 Jahren die Schreibschrift doch recht stark verlernt habe, an die Schreibweise mancher Buchstaben erinnere ich mich spontan kaum. Aber ich schreibe generell nicht gerne von Hand. Ich verkrampfe schnell (und das auch schon immer). Absetzen zu dürfen ist ein hohes Gut für mich.
    Erschwerend kommt hinzu dass ich auf einem Computer (und selbst auf einem Telefon) signifikant schneller schreiben kann als ich es je per Hand konnte, und auch noch leichter lesbar, ablegbar, veränderbar, durchsuchbar, und leichter zu vervielfältigen. Im Studium wurde ich praktisch ein Digitalpurist und bereue es nicht. Das maximale das ich heute auf Zettel schreibe sind kurze Notizen, und selbst da greife ich gerne auf digitale Mittel zurück.

    Meine Kinder lernen in der ersten Klasse Druckschrift (irgendwann später auch Schreibschrift, vermutlich die VA. Bin nicht sicher), ich halte das für sinnvoll. Erstmal lesen und schreiben lernen, Kalligraphie ist eine Kunst, die betrachte ich als nachgeordnet. Alphabetisierung ist mir wichtiger.

    Zur Hand-Augen-Koordination und den Unterschied zwischen Jungs und Mädchen: Ich tippe eher auf Fleiß und Geduld sowie die Freude am „schön machen“. Auch die Jungs mit hervorragender Hand-Augen-Koordination haben (meiner Erfahrung nach) oft keine schöne Schrift.

    Gruß
    Aginor

  19. Jan

    Danke für den interessanten Artikel. Aber ist Handschrift denn überhaupt noch wichtig? Wo außerhalb der Schule wird noch mit der Hand geschrieben? Und warum muss Handschrift überhaupt „schön“ aussehen – leserlich würde doch reichen? Als Linkshänder mit ewig verkrampfter Schreibhaltung (dank Füller-Zwang damals in der Schule) bin ich jedenfalls auf ewig dankbar, dass ich Texte heute tippen darf und nicht mehr von Hand schreiben muss.

  20. >Aber ist Handschrift denn überhaupt noch wichtig?

    Wichtig ist auf jeden Fall noch, denke ich, das lesbare und schnelle Aufschreiben mit der Hand. Aber auch das sehen sicher viele anders. (Aus verschiedenen, unter anderem edlen, Motiven.)

    Alles darüber ist Luxus, also das Schön- oder Vielschreiben. Oder sagen wir statt Luxus: eine Möglichkeit unter vielen, die eigene Identität zu gestalten und zu finden. Wir machen viele solche Angebote, nicht alle sind etwas für alle, aber man weiß vorher nie, welches Angebot sich doch als Gewinn entpuppt.

  21. Rina

    Hier findet sich ein Beispiel fuer diein Frankreich benutzte Schreibschrift, ich finde sie sehr verschnoerkelt, habe allerdings auch in der DDR schreiben gelernt. http://estelledocs.eklablog.com/affichage-alphabet-4-ecritures-a112643642
    Meine Kinder haben natuerlich die franzoesische Schreibschrift gelernt, obwohl ich versucht habe, ihnen zumindest deutsches r und s nahe zu bringen. Interessant finde, dass die Schrift des Erstgeborenen trotzdem frappierend der Handschrift meines Bruders gleicht, also ich denke Genetik spielt das schon eine Rolle.

  22. Vielen Dank für die Schreibschrift-Vorlage! Da sieht man die großen Ober- und Unterlängen. Die Großbuchstaben sind mir auch zu verschnörkelt (nur das T ist cool). Was mich überrascht, ist dass bei all diesen Schriften das kleine p unten offener ist als ich es machen würde.

  23. Lana

    Es ist viel bequemer, den Kleinbuchstaben „b“ zu schreiben – durch Einkreisen des unteren Kreises – er fällt beim Verbinden und am Ende eines Wortes deutlicher aus. Das Gleiche gilt für „o“. Dies ist die Tradition des kyrillischen Alphabets.

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