Dafür, dass ich nicht so gern ins Theater gehe, war ich mit bisher fünf Aufführungen in diesem Kalenderjahr doch recht oft. Am Mittwoch mit einer halben Schulklasse im Cuvilliés-Theater, Götz von Berlichingen, nach Johann Wolfgang Goethe von Alexander Eisenach, am Freitag in Die Nashörner von Eugène Ionesco im Volkstheater.
Ins spätbarocke Cuvilliés-Theater zieht man sich feiner an als in die Kammerspiele, habe ich beobachtet. Vielleicht lag das auch am Publikum: drei Viertel schienen mir Schulklassen zu sein – wohlgesittet und aufgebrezelt, Damen wie Herren. Mindestens dreimal im Stück wurde auf dieses Publikum Bezug genommen mit rhetorischen Fragen, „Müsst ihr doch wissen als Abiturienten“ und so. Wird das improvisiert, weiß man vorher schon, wer da kommen wird?
Dieser Götz gab mir neue Sichtweisen: Götz als reichsbürgerlnder Vokuhila im Kampf gegen Behörden und Vorschriften, staatliche wie gesellschaftliche. Nichts darf man mehr sagen. Dabei wirkten er und seine Schwester eher wie traurige und nicht sehr intelligente Nebenfiguren, sicher nicht sehr heldenhaft; zusammen mit den lederschwarzen Monturen in ihrer revolutionären Phase hatten sie aber auch etwas von Paul und Alia Atreides, oder meine ich Pauls zwei Kinder? Das Team Bischof war aber nur wenig besser.
Die Inszenierung begann, wir begrüßen das, mit einem Shakespearschen Chorus, ich weiß nicht, wie das auf Deutsch heißt: Wenn eine Figur auf die Bühne tritt und erst einmal das Publikum erzählend informiert. Sehr effizient. Auch sonst war viel episches Theater nach Brecht: Musikeinlagen, Publikumsansprachen, die Figuren eher in ihrer gesellschaftlichen Funktion und nicht psychologisch als Individuen, vom verwirrten Götz abgesehen.
Und wie es sich fürs epische Theater gehört, gab es auch keine Katharsis, von der ich ohnehin nicht weiß, wie die funktionieren soll, und auch weder Furcht und Schrecken noch Mitleid und Jammer, das ist ja eine alte Übersetzungsfrage. Das heißt, ich habe mit keiner Figur besonders mitgelitten, kein Schicksal ging mir nah, nichts war tragisch. Das macht ein Theaterstück für mich unterhaltsam und leicht zu sehen, wenn ich weder wütend werde über irgendetwas noch leide, sondern einfach zuschaue, aber ich fühle mich dann immer, als hätte ich ein bisschen geschummelt.
Die Nashörner im Volkstheater war sehr schön. Ich verbinde mit dem Stück vor allem das Theaterplakat, das Anfang der 1990er Jahre in der Uni Augsburg hin und dessen Design mir gefiel. Üblich und biographisch passend ist die Deutung des Stücks als die schleichende Anpassung an den Faschismus. Dazu schien mir die Inszenierung nicht zu passen, muss ja auch überhaupt nicht sein; die Aussicht, ein Nashorn zu werden, wurde als eher verlockend dargestellt. Oder falle ich damit auf den Faschismus herein? Explizite Vorwürfe an die Nashörner im Stück sind nur, dass sie grün sind und hässliche Haut haben; außerdem kommt eine Katze durch sie zu Tode. Implizit haben wir am Schluss ein geballtes Auftreten von im Chor singenden Nashörnern, das man als bedrohlich und Uniformität deuten könnte. Ansonsten geht es darum, dass in einer nicht besonders verlockend geschilderte bürgerliche Welt die Nashornlichkeit einbricht.
In der Inszenierung gibt es zwei Szenen, bei denen eine Gruppe von zwei oder mehr Menschen von diesen anderen Wesen umgeben ist und sich bedroht fühlt – wie man es aus Zombiefilmen kennt. Am Ende geht es um den letzten Menschen in einer Welt von grünen fremdartigen Gestalten, teils wortlos schlurfend – das hat mich erinnert an Richard Matheson, I Am Legend, das drei Jahre vor Ionescos Werk entstand. Dort geht es um den letzten Menschen in einer Vampirwelt, nur dass die Vampire dort eher zombieartig sind; Matheson hat den Zombie, wie man ihn aus Filmen kennt, erst erfunden. Auch bei Matheson geht es, Spoiler für ein altes Buch, darum, wer eigentlich normal ist in dieser Welt.
Und dann war da noch die Szene, in der Hans/Jean zum Zombie/Vampir/Nashorn wird – lange grüne Handschuhe und eine befreit wirkende Tanzeinlage nach der Transformation. Das hat etwas von Rocky Horror Show, wo nach und nach Janet, die professorale Erzählerfigur, und Brad auf die anarchische Seite von Frank N. Furter wechseln. Auch da geht es um die Verlockung eines Anderssein, der immer mehr erliegen, und wo auch nicht klar ist, wer die Guten sind und wer nicht.
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