Bulimielernen

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Zugegeben: Ich hatte es leicht. Ich musste das nie, nicht als Schüler, nicht im Studium, nicht im anderen Studium, nicht im Anglistentheater, nicht für die Judoprüfung, nicht für den Führerschein. In der Schule habe ich aufgepasst, ohne dadurch besonders ausgelastet gewesen zu sein, und mir das meiste gemerkt, und anderes habe ich mir nicht gemerkt und demnach auch nicht vergessen. Das hat immer noch für ein sehr gutes Abitur gereicht. Außerhalb der Schule habe ich das so ähnlich gehandhabt, nur dass ich da selber lesen musste.

Ich weiß also vielleicht nicht einmal genau, was das ist. Der Begriff wird, denke ich, auf zweierlei Art verwendet; vielleicht ist auch nur die Kritik daran zweierlei. Auf den ersten Blick beschreibt er das Verhalten von Schülern und Schülerinnen, sich kurz vor einer Prüfung die erwarteten Prüfungsinhalte schnell durch Auswendiglernen anzueignen, um sie nach der Prüfung ebenso schnell wieder zu vergessen.

Aber ist es nicht so: Jeder Schüler, jede Schülerin hat ja die Gelegenheit, diese Inhalte so zu lernen, dass man das nicht mehr vergisst, sondern behält, indem man das in das eigene mentale Modell der Welt einbaut. Niemand wird zu dieser Art Lernen gezwungen. Warum sich also dessen brüsten oder die Schuld bei anderen suchen?

Nach dieser Interpretation richtet sich die Kritik am Bulimielernen nicht gegen die Inhalte, sondern gegen die Art, wie überprüft wird, ob diese Inhalte sitzen, nämlich eine Art, für die rasches Auswendiglernen reicht, Weg des geringstens Widerstands. Heißt das, dass man sich andere Prüfungsformen für diese Inhalte wünscht, also strengere, bei denen es eben nicht mehr reicht, etwas bloß auswendig zu lernen? Ist die Klage, dass man mit dieser Art Lernen unverdient gute Noten erhält, oder eher die, dass man bereits beim Auswendiglernen scheitert?

Ich vermute, tatsächlich geht es vielen mit diesem Wort im Munde darum, die entsprechenden Konzepte gar nicht mehr lernen zu müssen. Es geht bei diesem Bulimielernen (ein schreckliches Wort; man sollte keine Krankheitsmetaphorik verwenden) also nicht um die Art des Lernens und/oder Vergessens, es geht gar nicht darum, dass einem die Inhalte nicht nahe genug gebracht werden, sondern um die Frage: Warum muss ich das lernen?* Es geht nur scheinbar um Prüfungskultur, oder eben indirekt: Man möchte andere Inhalte oder Kompetenzen prüfen, und braucht dafür andere Prüfungen. Allerdings hängt das schon auch zusammen, andere Prüfungen ermöglichen auch andere Inhalte.

Die Frage ist für mich also, ob es Inhalte gibt, bei denen ich zustimmen würde: Die können durch Auswendiglernen geprüft werden, und sie sind überflüssig? Bestimmt. Aber vielleicht weniger, als man meint. In meinen Fächern Deutsch, Englisch, Informatik jedenfalls kaum – vielleicht in Geschichte, Geographie, Religion?

*Meine Antwort, die leider nicht für alle Fächer gilt: Musst du gar nicht lernen. Es ist ein Angebot. Du kannst es annehmen oder ausschlagen.

Nachtrag 2023: Ist Bulimielernen denn so erfolgreich, wie man meint? Ich kann mir das gar nicht vorstellen.


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3 Antworten zu „Bulimielernen“

  1. […] habe Herrn Rau irritiert in einer Twitter-Diskussion entdeckt und dann folgte ein Blogeintrag, nach dem er verreist ist. Es ging um den Begriff des „Bulimie-Lernens“ – Also das […]

  2. Moe

    Wenn du nie Bulimielernen musstest, stellt sich mir die Frage,
    ob du nie Leistungsnachweise zu Themen schreiben musstest, in denen Wissen abgefragt wurde, dass dich nicht intrinsisch interessiert hat.

  3. >ob du nie Leistungsnachweise zu Themen schreiben musstest, in denen Wissen abgefragt wurde, dass dich nicht intrinsisch interessiert hat.

    Über die Grundschule kann ich nichts mehr sagen. Da habe ich zwar noch viele Arbeitsblätter, aber wenig Erinnerung. Grundschulen gelten als die Orte, wo man am meisten auswendig lernen muss.
    Ansonsten: Ich habe bestimmt viel ohne intrinsische Motivation gelernt, aber extrinsische Motivation ist ja auch Motivation und hat den schlechten Ruf nicht ganz zu Recht (weil die Lehrerin so nett ist, weil man Geld für gute Zeugnisnoten kriegt, weil es die Eltern freut, weil man gerne gute Noten kriegt, weil es nun mal getan werden muss).

    Die Frage ist: Habe ich widerwillig gelernt, ohne jegliche Absicht, das mit irgend etwas zu verknüpfen? Und daran kann ich mich wirklich nicht erinnern. Wahrscheinlich gab es das schon, aber es kann nicht oft gewesen sein.

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