Englische Konversation, 11. Klasse, heute: Eigentlich schob ich nur kurz ein, dass viele Schüler und Schülerinnen, die ansonsten eher britisches Englisch sprechen, das intervokalische [t] lenisiert aussprechen, also fast wie ein [d]. Das heißt, sie sprechen “hot” [hɒt] aus und “hotter” [‘hɒdə] – das stößt mir jedesmal auf. Das gibt es im amerikanischen Englisch, ja. Aber der Vokal ist ist bei den Schülern und Schülerinnen nicht zum amerikanischen [a] geworden. Also kurze Wiederholung zu stimmhaften und stimmlosen Konsonanten und zu Auslautverhärtung – dem Phänomen, dass ursprünglich stimmhafte Konsonanten am Wortende stimmlos werden, so dass sich “Pferd” auf “Wert” reimt, aber eben nicht “Pferde” auf “Werte”. Das befolgen Deutschsprechende erst einmal auch, wenn sie Englisch reden, wo es das Phänomen nicht so gibt.
Ein Schüler meinte dann, in England würden die doch eh alle [‘hɒʔə] sagen, also mit einem glottalen Plosiv, glottal stop, Glottisschlag. Deshalb weiter: Nein, vor allem und typisch in Südlondoner Akzent, aber auch im Aussterben begriffen. Aber der Glottisschlag ist so ein interessanter Laut, da holte ich mir die Erlaubnis zum Ausholen.
Den Laut gibt es im Deutschen auch, sogar häufig. Wir haben aber keinen Buchstaben dafür. Zwischen “be-inhalten” und “Spiegel-ei” ist dieser Laut, und zwischen “hin-auf” – außer man sagt “hi-nauf”, was inzwischen sicher häufiger ist. Aber auch zwischen nicht zusammengesetzten Wörter steht vor einem Vokal oft dieser Laut: zwischen “mein Auto” – außer man sagt “mei-Nauto”. Das ist empfohlen, wie auch geübte Vielsprecher einen Halbvokal wie [w] oder [j] als gleitenden Einstieg in einen Vokal wählen, eben um den Knacklaut zu vermeiden, der auf Dauer nicht gut für die Stimmbänder ist.
Auch die Aussprache von “Schüler:innen” oder “SchülerInnen” ist mit diesem Knacklaut kein Problem – man darf ja gerne dagegen sein, aber bitte nicht mit dem Argument, das könne man ja nicht aussprechen.
Diese Wort-Abtrennungen wie “mei-Nauto” gab es im Englischen auch, so dass “a nadder” (die deutsche Natter) zu “an adder” wurde und “an eke name” (ein, uh, auch-er Name) zu “a nickname”. Aber, was hat “eke” mit “auch” zu tun?
Also gut, schnell noch 2. Lautverschiebung und danach auf Wunsch auch noch die 1. eingeschoben. Grimm kennen sie gerade eh aus der Romantik. Das kann ich alles auswendig, und früher war die indoeuropäische Sprachfamilie sogar mal Stoff in der 8. Klasse. Vor der kompetenzorientierten Entschlackung der Lehrpläne.
Deutsch, Q11: In der darauf folgenden Doppelstunde ging es um E.T.A. Hoffmann, “Der Sandmann”. Ich hatte eh schon etwas zur Motivgeschichte vorbereitet, angefangen mit Hypnos und Morpheus. Aber ein mythologisch interessierter Schüler kam mir zuvor: Er hatte gelesen, dass in der germanischen Mythologie Schlaf und Traum als Sendboten galten, und das Wort Sandmann von “Sendbote” komme. Ich äußerte Skepsis, fand dazu aber zwei Zeilen auf Wikipedia (ohne weitere Quelle). Aber immerhin. Ich blieb bei meiner Skepsis, bat den Schüler, das weiter zu recherchieren.
Am 10. April 2010 erweiterte der Nutzer “Jbergner” den Beitrag “Sandmann” unter anderem um folgende Zeilen: (nein, aber so ähnlich jedenfalls):
Für die [[Germanen]] waren der Schlaf und der Tod Geschwister. Beide wurden als ”Sandmann” (”Sendbote”) bezeichnet.
Und seitdem steht das da wohl so. Der Text hat sich nur wenig verändert bis heute; es finden sich etliche Stellen im Web, die das gleiche behaupten – aber nie mehr, und nie mit genaueren Quellenangaben, so dass ich vermute, dass die alle auf eine einzige Quelle zurückgehen, nämlich Wikipedia. Und die wiederum geht vielleicht zurück auf Hans-Jürgen Möller, Psychiatrie und Psychotherapie, Ausgabe von 2005, S. 295 – da steht, ganz nebenbei, das mit den Sendboten. Diese Quelle fand und schickte mir der Schüler.
Natürlich bin ich kein Experte, und natürlich ist es so, dass Lehrkräfte vielleicht zu oft davon ausgehen, dass etwas, das sie nicht kennen, gar nicht stimmen kann. Und doch bleibe ich bei meiner Skepsis. Im Sandmann-Beitrag in der Enzyklopädie des Märchens (15 Bd.) habe ich nichts dazu gefunden; wenn man im Web auf Englisch sucht, findet man gar keine solche Behauptungen.
Aber der Schüler und ich, wir recherchieren weiter, und vielleicht findet sich ja jemand, der sich in germanischer Mythologie auskennt – und in der Etymologie von “Sandmann”.
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