Die ersten Tage habe ich mir den Luxus der Lähmung erlaubt. Geld gespendet, und nochmal Geld gespendet, und ansonsten Süddeutsche und Spiegel, aber nur einmal am Tag, und nur kurz; Slate auch jeden Tag (aber da steht ohnehin nicht viel dazu), Guardian und Independent nicht, Twitter nur ganz, ganz wenig. Zur Tagesschau bin ich aus dem Zimmer. Mit Müh und Not habe ich es so geschafft, einen Teil meiner vorgesehenen Klausuren zu korrigieren. Aber eigentlich habe ich nur gewartet und gehofft, dass die Zeit vergeht. Es ist ein Luxus, sich das leisten zu können. Ich glaube, ich bin in Krisen nicht besonders brauchbar.
Natürlich hatte ich Angst, und das ist ja auch ein politisches Ziel Putins. Aber die Angst darf nicht lähmen, oder jedenfalls allenfalls mich, und auch das nicht lange. Und jetzt geht es ja wieder. Passt schon, und muss ja. Ist meine Generation da besonders empfindlich, so noch mit Kriegsversehrten, Wehrdienst, und Atomkrieg in den 1980er Jahren? Oder ist es das alte Bild vom Russen als halbzivilisierten Ungetüm, das die letzten hundertfünfzig Jahre immer wieder popularisiert wurde? Ich denke da an James-Bond-Gegner, an Weltkriegs-Legenden, an Flashman im Krimkrieg.
Dass die Zivilisation nur eine dünne Schicht ist, überall, gehört zu meinem Weltbild. (Ob das stimmt oder nicht, wieder andere Frage; meinem Weltbild vertraue ich nicht mehr als meiner Menschenkenntnis.) Ich habe viel Andreas Gryphius im Kopf diese Tage. Meine Lieblingszeilen sind wohl:
Du siehst / wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut / reißt jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn / wird eine Wiesen sein
Auf der ein Schäfers Kind wird spielen mit den Herden.
Und so weiter. Die Pointierung dieses Sonetts auf den letzten Vers hin kam mir immer antiklimaktisch vor: „Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten.“ Eher so als: Ja, da haben wir jetzt eine schöne Dystopie gezeichnet, und ich weiß auch nicht, wie wir da wieder herauskommen, bieten wir mal einen Vers Religiösität an.“
Und das andere literarische Werk in meinem Kopf, das sind Geschichten von Robert E. Howard. Conan zum Beispiel: Der ist zwar stets siegreich, und mit ihm siegt das Gute, oder zumindest verliert das Böse – aber die Welt, die in den Geschichten beschrieben wird, ist eine Welt voller Ungerechtigkeit, mit dem Recht des Stärkeren, ohne Menschenrechte. Wer sich nicht wehren kann, wird überfallen. Oder eine andere Geschichte, „The Shadow of the Vulture“, auf deutsch „Horde aus dem Morgenland“ (Wikipedia) – auch sonst bedenklich. Das ist die Geschichte mit der Roten Sonya von Rogatino, die später Vorbild für die Red Sonja der Comics wurde. Roy Thomas hat etliche Nicht-Conan-Geschichten Howards in die Fantasyvergangenheit transportiert, darunter genau diese hier, mit Red Sonja und Conan statt der Roten Sonya und dem heruntergekommenen Gottfried von Kalmbach, die beide Wien vor der Überwältigung durch die Osmanen retten. Hier ist Sultan Süleyman der orientalisch-andere grausame Potentat. Schlimme Geschichten, zugegeben, aber sie bleiben einem im Gedächtnis.
Und jetzt sind die Faschingsferien vorbei. Ich habe nicht so viel korrigiert, wie ich wollte; der Schulalltag geht weiter. Wird schon.
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