re:publica 22

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Die re:publica ist eine mehrtägige Konferenz in Berlin. Ich kenne ja eher Fachkonferenzen – Anglistentag, Informatiktage, war mal auf einem Medientag und einem Symposium. Viel weiß ich also nicht, aber die re:publica gilt in meinen Kreisen als einzigartig. Es geht um Digitales, und damit alles: Rechtliches, Technologie und Technik, Umweltschutz, Klimawandel, Krieg, Unterhaltung. Netzthemen. Vielleicht ist es also eher eine Zukunftskonferenz, und wir wissen ja, dass die Zukunft bereits irgendwo Gegenwart ist, nur nicht gleichmäßig verteilt.

Es ist eine Konferenz, auf der sich Fachleute und interessierte Laien, oft wohl auch: beruflich interessierte Laien, tummeln. Fachleute: aus Politik, Wissenschaft, Journalismus, Zivilgesellschaft. Gastgeber ist die Zivilgesellschaft, und das finde ich gut und richtig.

Ich habe sehr viel Interessantes gehört. Anderes war nicht so ergiebig, wieder anderes habe ich verpasst, weil zu spät/zu voll oder konkurrierende Veranstaltung oder stattdessen Leute getroffen (wenig). Hier eine Auswahl der Sachen, die sich am leichtesten aufschreiben lassen, ohne bestimmte Reihenfolge:

Volker Wissing, Markus Beckedahl: Das Momentum nutzen!

Eine kurze Rede des Ministers für Digitales und Verkehr, aber das eigentlich Interessante war das Gespräch danach, mit ganz hervorragenden, äußerst fachkundigen Fragen von Markus Beckedahl. Kurz: Glasfaser kommt in den nächsten Jahren – wie schon immer. Diesmal für dann insgesamt knapp 20% der Haushalte bis 2025, für alle bis 2030. Problem sei auch: fehlende Fachkräfte, allein schon mal zu Verlegen der Kabel.

Moritz Metz, Heinrich Holtgreve: Expedition zu Deutschlands Internetgrenzen

Fotograf und Audiojournalist präsentierten erste Bilder und Töne ihres aktuellen Projekts, das auch gleichzeitig nach und nach als Podcast veröffentlich wird: Als Internet Explorers reisen sie zu den Orten, wo die großen Internetkabel Deutschlands Grenzen verlassen und in das jeweilige Nachbarland gehen. Das hat natürlich etwas Absurdes. Die Kabel sind meist drei Meter tief vergraben, gelegentlich markiert durch kryptische Hinweisschilder, wie wir sie auch von Strom und Wasser kennen. Und immer wieder Gullydeckel. Manchmal sieht man auch einen Container wie in Rostock, wo ein 100-Millionen-Euro-Kabelprojekt von Finnland landet, drumrum eine Kletterwand, eine Imbissbude, alles touristisch verlassen und ein wenig heruntergekommen. (Finnland: Ist damit sehr schnell an zentrale Internetkabel angeschlossen, so dass es schnelle Verbindungen gibt, so dass Server und Serverfarmen in Finnland stehen können, wo Strom grüner ist und weniger Kühlung nötig.) Oder ein Hexenhäuschen, das vielleicht etwas mit dem Internetkabel zu tun hat, vielleicht auch nicht.

Dazu viel Originalton mit Autos im Hintergrund, Wind und blökenden Schafen.

MONITOR-Forum: Journalist*innen im Ukraine-Krieg – (Zu) nah dran?

Youtube Über den Unterschied zwischen Journalismus und Aktivismus. Nicht alle im Panel waren sich einig, wo genau die Grenzen zu ziehen sind. Bis wann muss man in einem Rechtsstaat von „mutmaßliche Kriegsverbrechen“ reden? Auf die Frage nach ukrainischer Propaganda war die einhellige Antwort: nein, die Ukraine macht keine Propaganda, anders als Russland wird nicht gelogen. Aber natürlich versuche die Ukraine sich der Medien zu bedienen, sie zu manipulieren – indem etwa Medienvertreter gezielt und bewusst an russische Greueltaten herangeführt werden. Meine Meinung: Ich möchte das nicht sehen. Ich halte es aber für legitim und sogar wichtig, dass Medienvertretern genau das gezeigt wird.

Gunter Dueck: Look up! Mehrheiten-Mitnehmen ohne Utopie-Syndrom

Youtube Gemerkt vor allem, dass Dueck ein schwäbisches “gell“ oder “ge“ hat. Und dass er, und darum ging es in seinem Beitrag, behutsam darauf hinwies, dass der Ruf nach Revolution oder Disruption in Erwartung einer besseren Welt dann nicht sinnvoll sein könnte, wenn es zu sehr ums Prinzip gehe und nicht um konkrete Maßnahmen in konkreten Situationen. Bildungsrevoluzzer aufgemerkt.

Maja Göpel: Her mit der besseren Zukunft

Youtube „The hidden costs of global food and land use systems sums up to $12 trillion, compared to a market value of the global food system of $10 trillion.“

Frederike Kaltheuner: Fake AI

Da wusste ich schon viel, aber ich wurde zum ersten Mal auf die Parallele zwischen Phrenologie und KI hingewiesen: der alte Humbug, durch Schädelvermessung etwas über den Menschen sagen zu wollen, taucht jetzt in der KI auf – wenn aus den Gesichtern abgelesen werden kann, ob jemand Republikaner oder Demokrat, ein Sieger oder Verlierer ist.

tante: Von hässlichen Affen, Spekulationen und Ketten: Das Dritte Web

Youtube Leider weiß ich immer noch nicht, was das web3 ist – irgendwie wie das alte, nur mit mehr Blockchain. Aber es ging um Blockchain allgemein, smart contracts, NFTs, Vor- und Nachteile, und war unterhaltsam und lehrreich. Bin in meiner Meinung bestätigt: ich halte nichts davon. „Unterdiagnostizierter Libertarianismus.“

Marina Krotofil, Oleh Derevianko, Eva Wolfangel; Is this Cyberwar?

Cyber War: Ist gar nicht so einfach und findet gar nicht viel statt. Insbesondere Kinetic Cyber War, also Angriffe auf Kraftwerke, Staudämme, physische Infrastruktur muss lange und umständlich vorbereitet werden und bietet eine hohe Chance, dann doch entdeckt zu werden. Und was in Friedenszeiten vielleicht eine große Belastung für die Zivilbevölkerung ist, ist im Kriegsfall nur eines von vielen Problemen.

Katja Jäger, Pia Lamberty (erkrankt), Alexander Sängerlaub: Desinformation: Haben wir die gemeinsame Basis verloren? – Herausforderungen für die Demokratie

Sehr interessant wart die Wertschöpfungskette der Desinformation:

  1. Initiieren: Wer bestellt die Desinformation?
  2. Produzieren: Wer produziert sie?
  3. Platzieren: Wer stellt sie wo online?
  4. Verbreiten: Wer verbreitet sie?
  5. Beeinflussung: Wie beeinflusst sie die Lesenden?

Hier Details dazu:

Katharina Nocun: Die Maschen der Verschwörungsideologen

Youtube Wichtig und interessant, auch wenn ich vieles schon kannte. Manches aus einem Lehrerforum. Neu vor allem die Absurdität, mit der die postulierten Verschwörer ihr branding betreiben, also geheime Erkennungszeichen überall hinterlassen, die man erkennt, wenn man nur die richtigen Punkte mit Linien verbindet.

Fazit

Man hat mir gesagt, beim ersten Mal sei man von der re:publica überfordert. Sie war wohl etwas kleiner als sonst, aber ich war nicht überfordert. (Trotzig.) Nur, zugegeben, am Abend immer sehr müde – ich war immer so von 10 bis 17 Uhr da; wenn ich erst am Mittag auftauchen würde, bekäme ich vielleicht auch von den Abendveranstaltungen etwas mit. Die App ist sehr gut und bietet vor allem auf dem Tablet einen guten Überblick – man sieht die Veranstaltungen in einer Matrix, kann filtern, kann Favoriten markieren. Ich fand mich schnell in den verschiedenen Räumlichkeiten zurecht, erteilte schon am ersten Tag anderen Besuchenden Auskunft.

Eine ehemalige Schülerin habe ich getroffen (die mich mit „Herr Rau“ anredete, aber gar nicht meine Netzidentität meinte, sehr irritierend); einen alten Schulfreund; engl und formschub und joel (Links zu ihren re:publica-Erfahrungen), wenige andere aus der Bildungsbubble. Es waren noch andere da, die ich kannte, und wenn ich die getroffen oder erkannt hätte, hätte ich mich gefreut – aber soweit zu gehen, sie anzuschreiben und ein Treffen auszumachen, ging ich nicht. Letztlich wohl, weil ich denke, dass die ja alle besseres zu tun haben. Man muss aber auch mit niemandem reden und kann einfach die Vorträge genießen, aber dann fühlt man sich vermutlich schon leicht etwas verlassen.

Im Kopf spielte ich durch, was ich selber für die re:publica anbieten könnte, stellte ein Panel zusammen, um von Frau Rau belehrt zu werden: wird so nicht gehen, da sind keine Frauen dabei. Und das war sehr heilsam. Ja, dann muss man halt umplanen und ein anderes Thema wählen oder doch Frauen finden. Auf der re:publica wird darauf geachtet; auch darauf, dass sich alle sicher und wohl fühlen können, insbesondere marginalisierte Gruppen. Das gelingt hoffentlich weitgehend. Alle Verpflegungsstände waren vegetarisch oder vegan, für ein paar Tage geht es auch ohne Fleisch.

Die re:publica ist teuer, viel teurer als eine Messe/Branchentreff wie die Didacta. Aber die interessiert mich nicht sehr; da will man mir etwas verkaufen, oder zeigen, was es zu kaufen gibt. („Ab Sommer startet der Ernst Klett Verlag das adaptive Lernsystem Klett x Studyly.“ Mit KI.) Würde ich noch einmal auf die re:publica gehen? Die Frage stellt sich nicht sehr, weil der Termin normalerweise außerhalb bayerischer Ferienzeit liegt. Aber ja, kann ich mir vorstellen. Ich finde es sehr anregend, so viele kluge Menschen zu sehen und zu hören. Ich würde gerne mehr davon in die Schule tragen.


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2 Antworten zu „re:publica 22“

  1. Corsa

    *** gerne gelesen ***

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