Einen guten Teil der letzten Woche war ich in Essen. Da kann man tatsächlich auch ein paar Tage Urlaub verbringen, das ist schön da. Eine Sehenswürdigkeit ist die Margarethenhöhe, eine noch vor dem Ersten Weltkrieg von Margarethe Krupp gestiftete Gartenstadt und Sozialsiedlung, heftig denkmalgeschützt und auch heute noch gesuchte Wohnstätte. Damals wurde nach dem neuesten Stand von Technik undWissenschaft gebaut: Herd, Badezimmer mit Badewanne, eigene Toilette – rechts vom Eingang. (Bei der Führung hieß es, dass die Siedlung und Bauweise so vorbildlich war, dass sich spätere Reihenhausbauten daran orientierten: dass heute die Toiletten da sind, wo sie nun mal immer sind, liege an dieser ursprünglichen Idee des Architekten.)


Alle Wohnungen in der gesamten Anlage haben den gleichen Grundriss, hieß es. Nur äußerlich unterschieden sich die Häuser deutlich, um den Eindruck eines natürlich gewachsenen Dorfes zu erzeugen. Dabei legte der Architekt genau fest, welche Häuser Weinlaub an der Fassade bekamen und welche nicht, und das ist auch heute noch so.

Dann waren wir noch in der Alten Synagoge, erbaut 1913, die Innenräume von den Nazis zerstört und zweckentfremdet, aber das meiste des Äußeren blieb erhalten. Heute und nach mehreren anderen Nutzungen ist dort das Haus jüdischer Kultur. Die Exponate sind ein bisschen merkwürdig, ein anderer Besucher verglich sie mit den Ergebnissen eines Schulprojekts, wo alle Arbeitsgruppen etwas zum Thema Judentum beisteuern müssen. In einer Ecke stand ein Regal mit kleinen Sammlungen von Büchern, die Anmerkungen dazu sagten, dass Juden und Jüdinnen aus aller Welt nach ihren Lieblingsbüchern befragt worden seien. Die meisten der Bücher sind von jüdischen Autoren oder zu jüdischen Themen (James Michener, The Source, Blogeintrag), aber auch Hemingway war dabei. Dennoch, Lieblingsbücher? Da hätte ich Lord of the Rings und Harry Potter, erwartet.
Die interessanteste Sehenswürdigkeit war die Zeche Zollverein (Unesco-Weltkulturerbe). Bis 1986 wurde hier Kohle aus dreieinhalb einem Kilometer Tiefe gefördert, die zum Teil an die Bahn verkauft, zum Teil an die Belegschaft ausgegeben wurde, aber der eigentliche Zweck war die Erzeugung von Koks aus kleinkörnigen Steinkohlestückchen, um damit die Hochöfen der Stahlindustrie heizen zu können. Die Führung dazu war sehr gut und lehrreich.

Das Kantige, Kahle der industriearchitektur gefiel den Nazis und konservativen Kreisen gar nicht, die hätten lieber etwas mit Säulen gehabt, klassizistisch statt modernistisch. Immerhin setzten sie die Beschriftung in Fraktur durch; eigentlich war eine serifenlose moderne Schrift vorgesehen.


Als die Zeche zum Industriemuseum wurde, mussten die – schon länger zuvor nicht mehr genutzten – Loren für teuer Geld vom Altmetallhändler zurückgekauft werden.

Um das Metall und die Schienen herum ist alles sehr grün. Schafe tragen da und dort zum Kurzhalten des Rasens bei. Auf dem Gelände befindet sich ein Hotel (in dem wir untergebracht waren) mit Selbstbedienungs-Pancake-Maschine am Frühstücksbüfett:

Außerdem gibt es auf dem Gelände mehrere Bistros und Gaststätten, darunter eine sehr schöne, die auch als Event Location dient (nächtliche Toilettengänge durch Industrieanlagen: toll!!). Über die höchste freistehende Rolltreppe Deutschlands, und dann noch einen Aufzug, kommt man dorthin und das war unser eigentliches Ziel in Essen.

Denn wir waren auf einer Hochzeit eingeladen. Es war eine sehr schöne Hochzeit, eine deutsche Braut heiratete einen amerikanischen Bräutigam, die eine Partei protestantisch, die andere jüdisch. Getraut wurde in der Traditionskirche von Bischof und Rabbi, vielfältig war das Publikum, erklärungsbedürftig Bräuche und Riten. Das Brautpaar war wunderschön und sah sehr, sehr glücklich aus. Ich kannte die Braut vor allem über Frau Rau und von ganz früher ein bisschen, eine tolle Frau, und was ich vom Bräutigam hörte und mitbekam, war ebenfalls beindruckend. Ich werde mich bald nach und nach durch das Kochbuch mit ihren Rezepten kochen, das die Hochzeitsgäste als Geschenk Erinnerung.
Hier ahnt man ein bisschen die Aussicht von oben:

Und so war es dann später am Abend:

Weil explizit die Devise ausgegeben worden war, sich bei der Kleidung ja nicht zurückzuhalten, hielt sich Frau Rau auch nicht zurück, und ich lieh mir einen Smoking. Die Ärmel meines Hemdes waren leider zu lang, ich hatte zu blauäugig darauf vertraut, dass sich schon eines meiner Hemden gut eigenen würde.

Nachts um halb eins im Hotel, verschwitzt und glücklich. Ich war zum Tanzen gekommen und hatte mich rege mit einem georgisch-amerikanischen Schriftsteller über englische und deutsche und experimentelle Literatur unterhalte. Es hatte sich keine Gelegenheit ergeben, meine Fliege zu lösen und um den Hals baumeln zulassen, also dokumentiere ich das mal hier. Der Knoten ist noch zu groß, aber hey, immerhin.

Am Tag danach gab es einen schönen Ausklang im Grünen. Ausführlicher steht das alles anderswo. Ich habe wenig über Trauung und Hochzeit und Gäste und Feier geschrieben, obwohl das doch die Hauptsache war, weil ich noch überwältigt bin und das ja außerdem privat ist.
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