Vor elf Jahren fragte jemand bei lovelybooks.de: „Wer weiss etwas über den Autor Otto Ehrhart und seinen Science fiction-Roman ‚Der gläserne Turm‘ von 1927?“ – und zwar auf der Seite des deutschen Science-Fiction-Autors Thomas R. P. Mielke, den ich von Perry Rhodan her kenne. Mielke selber ist vor vier Jahren gestorben. Inzwischen kann ich mit Informationen dienen.
„Der gläserne Turm“ ist eine Erzählung, die im 10. Band des Jahres 1927 der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens erschien. Das war eine Zeitschrift im gebundenen Oktavformat, sah also aus wie ein Buch, jeweils gut 200 Seiten stark. Ich glaube nicht, dass die Erzählung nach 1927 noch einmal irgendwo erschienen ist – bis zum Jahr 2007, als Detlef Münch sie für seine Sammlung Der Krieg der Zukunft vor 100 Jahren entdeckte, in Band 3: Die Nachkriegsjahre 1919–1928: Antikriegsutopien von Otto Ehrhart, Friedrich Freska und Paul von Schoenaich. Auf dieser Verlagsseite findet man immerhin Band 1, auch andere Werke der SF-Reihe dort sehen sehr interessant aus, wie auch Münchs Anmerkungen und Einordnungen lesenswert sind.
Münch hält es für fraglich, dass der Otto Ehrhart der Erzählung identisch ist mit dem Otto Ehrhart, der ab 1928 Natur- und Tiererzählungen veröffentlichte (Wikipedia). Und tatsächlich passt „Der gläserne Turm“ so gar nicht zum ansonsten doch recht einheitlichen Werk Ehrharts. Allerdings wird die Erzählung bereits 1933 in einem biographisch sehr detaillierten Aufsatz zu Ehrhart erwähnt (Herbert Günther: „Otto Ehrhart-Dachau.“ In: Die Literatur: Monatsschrift für Literaturfreunde 36, S. 21–25) – deshalb gehe ich davon aus, dass das schon stimmt so.
Kurz zum Inhalt: In einer knappen Rahmenhandlung blickt das Land Asinesien zurück auf den einstigen, bezwungenen Feind Ameropa, dessen verwüstete Länder wieder fruchtbar sind, bis auf den Bereich um einen riesigen Turm. In diesem Turm fanden sich die Leichen von ameropischen Ingenieur-Soldaten mit Aufzeichnungen aus ihren letzten Tagen; diese Aufzeichnungen stellen den Hauptteil der Erzählung dar. Darin erfahren wir: Ameropa setzt auf Technik und Gehirn; erfolgreiche Genieingenieure erhalten Haihirne eingesetzt. Asinesien hat dagegen den Geist entwickelt, sie sind Vegetarier und Pazifisten, außer wenn ihr Führer/oberstes religiöses Wesen befiehlt, sich zu wehren.
Ameropa hat Blinkenlights („Vielfarbige Lichter blinkten in bestimmten Intervallen auf“), Kontakt zu Marsrepubliken, eine Springlichtsignalabteilung, Verkehrs- beziehungsweise Turmliftschleudern, eine Fernsichtübertragungsstation, Kampfringe, „Ultogiganten“ (riesige Schiffe, mit den möglicherweise auch Raumfahrt möglich ist) und schrecklicke Waffen. Es gibt einen Countdown für den Angriff: „Zwei, drei, vier“ – der Rückwärtscountdown wurde erst nach dem Film Frau im Mond 1928/29 verwendet. Ameropa ist von Umweltgiften zerstört. Asinesien dagegen schützt das eigene Land mit einem „Lautwall“ und wehrt sich mit wirkmächtigen Lautfolgen (durch Megaphone verstärkt) erfolgreich gegen Ameropa.
Der eine andere Ehrhart-Leser, mit dem ich Kontakt habe, war so freundlich, mir den alten Band mit der Erzählung zu schicken. Ich habe sie digitalisiert und präsentiere sie hier der interessierten Öffentlichkeit. Gut möglich, dass noch Tipp- und Umbruchfehler drin sind, ich freue mich über Hinweise.
Der gläserne Turm
Erzählung von Otto Ehrhart
Neu-Ameropa, Mai 6000.
Groß sind die Taten und Wunder des gewaltigen Inkarnierten Yêr Icho Rân! Sein Name ist heilig – heilig. Die Gärten der ameropischen Erde blühen wieder, und ihr Duft beglückt die Welt. Nur eine Landschaft ist verflucht! – Diese: Seht ihr den riesigen Turm, der die Bäuche der Wolken zu schlitzen scheint? Seht ihr, wie grün er schillert und leuchtet? – Das Land dort wird nie wieder fruchtbar sein! Vom Wahn der Hirne, von des alten Ameropas Verblendung und Ende erzählt der Turm uns also: Im Jahre fünftausendachthundert – demnach fünfhundertneunundneunzig Jahre nach der Zerstörung Ameropas durch die fliegenden Glasschiffe Yêr Icho Râns, nach der Vernichtung ihrer gewaltigen Vierzig-bis-achtzig-Millionen-Städte – stießen asinesische Forscher bei der Suche nach wieder bebaubaren Ödländern auf diesen Turm. Man stellte fest, daß er auf den Trümmern der ehemaligen ameropischen Gewaltstadt Centrocitta I, jener mächtigen Bautenmasse von rund hundertfünfzig Kilometer Umfang, ruhte. Diese aus Schmelzglaszement gegossenen Häuser waren dreihundert Meter hoch und zweihundert Meter tief unter der Erde verankert. Der Hauptverkehr fand unterirdisch statt; magnetische Zweisekundenblitzzüge und Personenschleuderkreisel dienten dem Verkehr. Die Oberstadt war lediglich dem Luftverkehr vorbehalten.
Jahrhundertelang waren die ameropischen Länder durch ätzende Erdgasausdünstungen, die alles Menschliche vernichtet hatten, nicht zu betreten gewesen. Allein der Turm, dieser steile, vierhundert Meter messende und aus dem zähen Material des elastischen, milchgrünen Glases hergestellte Hochbau, trotzte allem Verderben. Sämtliche Gelasse des ovalen, sich nach oben zu verjüngenden Gebäudes waren inwendig zerstört und enthielten nur noch ein Chaos verbogener, geschmolzener Apparate und Maschinenteile. Der letzte, oberste, mit einer durchsichtigen Kuppel überwölbte Raum war allein noch vollkommen erhalten, aber mit enormen, vier Meter dicken und acht Meter hohen Versenktüren verriegelt, die aus einer überstahlharten Materialmischung des Metalles „Diavjern“ und Neobenitblendplatten bestanden. Außerdem hatten sie dem Durchmesser entsprechende, gleich starke und etwa eineinhalb Meter im Quadrat messende Diamantglasdurchsichtsblöcke. Da die Zusammensetzung der vorerwähnten Stoffe der Forschung sich nicht erschloß, machte man sich daran, diese Blockfenster, deren Urstoffe hinlänglich bekannt waren, mittels magischer, zersetzender Lautformeln zu lösen. Eine Arbeit, die bald geschehen war.
Man drang durch die so entstandene Öffnung ein und stand vor einem unentwirrbaren Durcheinander verchiedenster Instrumente, Apparate und Maschinenteile. Gleichzeitig aber entdeckte man die auf dem Boden liegenden wohlerhaltenen Leichen von drei mumifizierten Ameropanern. Diese Menschen hatten dicke, kautschukartige Isolieranzüge an und waren mit Schalldämpfern, Sauerstofferzeugungspatronen und drahtlosen Kopfempfangsmembranen ausgerüstet. Einer der Männer hielt in den verkrampften Fingern einen kleinen, eigentümlichen Apparat, der durch mit Kohleseide umsponnene Platindrähte mittels Saugmembranen aus Meerkatzenschaumwolle immer noch an den vertrockneten Schläfen haftete. Die genauere Untersuchung der Leichen ergab, daß sie ungewöhnlich große, ja unförmige Gehirne hatten und haarlos waren. Sie besaßen aber künstliche, goldene, massiv gearbeitete und dehnbar konstruierte Schädeldecken. Ihr Knochenbau war überraschend schwach, weshalb die einzelnen Glieder durch sinnreiche versilberte Prothesen gestützt waren. Die falschen, anscheinend nur der Wortgestaltung und Verschönerung dienenden Zähne bestanden aus grüner, irisierender Saphritemaille.
Bisher wußten wir von den Ameropanern nur ungefähr folgendes: Sie bewohnten nach dem großen Erdbeben im Jahre dreitausend, bei dem die Weltteile Afrika und Australien völlig in neuentstandenen Ozeanen versanken, jene früher getrennten und nun durch neue Erderhebungen miteinander vereinten ehemaligen Länder Amerikas und Europas. Bei dieser Katastrophe trennten sich auch die bisher mit Europa verbundenen asiatischen Länder durch einen gewaltigen Einbruch des Meeres, das die gesamte ehemalige Breite des europäischen Rußlands samt Skandinavien bedeckte, vom Festland.
Wir wußten, daß die Ameropaner infolge Übernutzung der Erdfläche und ihrer gefährlichen, Schwefelsäure und giftige Gase entwickelnden Technik allen Pflanzenwuchs allmählich unmöglich gemacht hatten, daß aus diesem Grunde die Tiere eingegangen waren und sie sich ernstlich mit der Frage der künstlichen Ernährung befassen mußten. Mit unserem Mutterlande, Asinesien, hatten sie über dreizehnhundert Jahre keine Verbindung, da wir es verstanden hatten, einen schützenden Wall um unsere Inselküste zu legen. Aus vielen Gründen suchten wir keine Annäherung an das Gehirnland. Denn während sich unsere Kultur fast ausschließlichlich einer praktischen Erkenntnis der Naturgeheimnisse sowie Ergründung der im geistigen Menschen verborgenen einfachen Wunderkräfte widmete, versanken die Ameropaner in einem unaufhaltsamen, grauenvollen Chaos der Technik. Innere geistige Werte achteten sie nicht, dagegen wurd kühlem, scharfem Denken die höchsten staatlichen Ehren zuteil. Somit bevorzugten sie das absolute Gegenteil von dem, was wir erstrebten: Vertiefung des Gefühls bis zur Erweckung des „inneren Geistesmenschen“, dem Erkenntnis und Macht über alle Dinge aus der Urform überkam. Der Weg der Gehirnmenschen, durch Zerfaserung mit Maschinen und kompliziertesten Apparaten solches zu erreichen, hatte sich als verhängnisvoll erwiesen. – Die Geschichte des grünen Turmes zeigt es.
Seit seiner Auffindung ist es nicht nur den Eingeweihten, die alle Dinge aus sich selber wissen, sondern jedem von uns gegeben, Einblick in die geschichtliche Vergangenheit dieses merkwürdigen Landes zu gewinnen. Mit Schaudern lesen wir den Bericht eines Augenzeugen über die letzten Tage der Gewaltstadt Centrocitta I. Von einem Augenzeugen insofern, als man neben einer der vorerwähnten Leichen – die sich als die des Führers der zerstörten Stadt, James Thot Nescher erwies – ein auf blauer Glashaut geschriebenes Manuskript vorfand, das dechiffriert folgende Enthüllungen übermittelte:
Centrocitta I, 12. Oktober 5200.
Diese Aufzeichnungen erfolgen angesichts des sicheren Todes. Nach den gestrigen Kämpfen und der Zerstörung unserer Stadt sind wir drei hier in diesem Turm eingeschlossenen wohl die letzten Überlebenden und Todgeweihten Ameropas. Meine Gefährten sind die Genieingenieure Sir Adot Mercure und Sir Bras Bly. Alle andern Leute meines Stabes sind tot: verbrannt, in Atome zerrissen und zerstäubt.
Wir sind ruhig und gelassen, haben Ungeheures erlebt, und es ist mir reiner geistiger Genuß das Geschaute jetzt mit Hilfe des von einem meiner fähigsten Ingenieure erfundenen Gedankeninschriftübertragungsapparates (Geintrâpat 555) mühelos und automatisch, während ich sie denke, in klaren, rotgeätzten Kurven auf der blauen Glashaut entstehen zu sehen. In Erwartung des unvermeidlichen Todes ist dies die angenehmste, zeitkürzendste Beschäftigung, die denkbar ist. Die einzelnen Teile dieses feinnervigen, dabei handlichen leicht in der Tasche zu bergenden Apparates wurden in luftleeren Räumen mit edlen, bis auf ein tausendstel Millimikrometer reagierenden Instrumenten hergestellt. Kein Volk der Erde, vielleicht des ganzen Universums, hat je eine solche Höhe der Präzisionsmechanik erreicht.
*
Wir können noch zweiundsiebzig Stunden leben … Wir haben Sauerstoff für Wochen, Nahrungspillen für Jahre in unseren Taschen … Nach drei Tagen aber wird die elektrische Umdrosselung des Befehlsturmes nachgeben, die gefährlichen, infolge der Sprengungen freigewordenen Abgase werden die nach außen führenden Gewaltspannungsdrähte zerfressen, durch die entstandenen Öffnungen langsam eindringen und uns töten. Wir verfügen über keine Mittel, dem entgegenzuwirken, und wir möchten es auch nicht. Es wäre möglich, daß wir auch noch einen vierten Tag erleben, es könnte sein, aber es ist unwahrscheinlich. Unser Ende schreckt uns nicht, denn in der Stadt unter uns lebten achtzig Millionen Menschen, die nun alle tot sind. –
Bis zum letzten Atemzug erfüllt Stolz meine Gedanken, wenn ich mir unsere grandiose Vergangenheit vergegenwärtige. Man weiß, daß vor vierhundertvier Jahren unsere wenn auch karge Landschaft – als Antwort auf einen von uns im Jahre 4798 unternommenen Überfall – durch eine Glasflugzeugflotte asinesischer Mönche verwüstet wurde, und es ist ebenso bekannt, daß seitdem die ameropische Erde an giftigen Erdgasausbrüchen leidet, die wir jedoch mit Hilfe elektrischer Konzentrationsringe auf belanglose Gegenden verdrängen konnten. Was unsere Wissenschaftler, Chemiker, Ingenieure, Architekten, Militärs und vor allem auch unsere Chirurgen seitdem erfunden haben, ist unerhört.
Mit mir stirbt eine der größten Schöpfungen Ameropas, der größte Geist der Welt. Man wird dies erst recht verstehen, wenn ich das genauer erkläre. Vor achthundert Jahren ließ ich mir – die Bedeutung einer damals noch gewagten Operation klar erfassend – das Herz eines frischgefangenen Hais übertragen. Haiherzen sind die dauerhaftesten, zähesten und am kühlsten funktionierenden Blutmaschinen aller Lebewesen der Welt. Sie arbeiten kräftig, gleichmäßig und beruhigen Sinne und Nerven. Ihr Wachstum im menschlichen Körper ist gering; da sie, losgelöst von jedem Körper, noch volle zwanzig Minuten tätig sind, lassen sie sich leicht übertragen. Wir hielten sie zu Abertausenden bei leichter, sinngemäßer Durchblutung in unseren chirurgischen Herzstationen bedarfsbereit. Waren diese Operationen schon allgemein geworden, so wurden doch die Gehirnübertragungen nur den höheren Beamten, den bewährten, sogenannten Edelhirnmenschen mehrfach gewährt. Mein Hirn ist nun neunhundert Jahre alt und mit seinen genialen Ausbuchtungen bei einer Masse von sieben Pfund das beste je dagewesene. Es war der Stolz Ameropas, hat schon die ersten Kämpfe mit den Asinesen erlebt, und dauernd an seiner Vervollkommnung arbeitend, vermag ich heute mit drei Gehirnzentren gleichzeitig zu arbeiten. Den Wert dieser gespaltenen Denkfähigkeit ist man jedoch erst heute imstande ganz auszunützen, indem uns der „Geintrâpat“ eine gleichzeitige dreifache automatische Niederschrift ermöglicht. Leider muß bemerkt werden, daß die meisten Großgehirne, richtiger ausgedrückt Edelhirne, erst mit zwei Gehirnzentralen gleichzeitig arbeiten konnten.
Das normalhirnige Individuum erhielt von unseren Ärzten eine Lebensdauer von hundert Jahren zugeteilt. Die Regelung des Bevölkerungszuwachses, der auf ein Mindestmaß eingeschränkt wurde, organisierten wir nach dem von den Marsrepubliken angewandten System. Der Umgang mit den Staaten dieses Planeten hat uns überhaupt viel Gutes gebracht. Unsere Verbindung mit dem Mars würde demnächst zweitausend Jahre gewährt haben. Das erscheint fast unglaublich, wenn man bedenkt, daß es uns anderseits nie gelang, mit den auf dem gleichen Erdball mit uns lebenden Asinesen in nähere Verbindung zu kommen. Was wir von diesem Volk bisher wußten, bestand lediglich in den Angaben der Besatzung zweier unserer Großkampfraketenschiffe und dem wenigen, was uns beim letzten asinesischen Überfall abgeschossene Gefangene glaubhaft zu machen versuchten.
Bei diesen Kriegen, die vielleicht nicht unwichtig zu erwähnen sind, zerschellte die Hälfte unserer Panzerraketenflotte an dem – man wagte es damals kaum zu sagen – „Lautwall“ der asinesischen Küste. Wir mußten den Angriff aufgeben, indem es nur drei von unseren allerältesten Schiffsmodellen, die mit unerhört lauten Ausstoßknallgasen arbeiteten, gelang, den Lautwall, wenn auch mit starken Beschädigungen, zweimal zu durchdringen und dabei vierzig Lufttorpedos zu verfeuern, die von ungeheurer Wirkung gewesen sein mußten. Nach den Aussagen unserer Leute sollen zwei Drittel des im Innern unbefestigten Landes in Flammen aufgegangen sein. Die Mannschaften dieser drei Schiffe starben sieben Tage später an einer unerklärlichen übelriechenden Krankheit; die verwesten Glieder – Hände, Arme, Füße, Beine – Nasen und Ohren fielen ihnen stückweise vom Rumpf ab.
Der Angriff hatte uns gelehrt, künftig möglichst große, viele Sprengkörper fassende und laut lärmende Raketenkampfschiffe zu bauen. In dieser und der folgenden Zeit lag eine uns leider nicht bewußte Schwäche, allein in der Unkenntnis gewisser erdtiefer, sich an der Luft entzündender Abgase.
Vierhundertachtundvierzig Jahre später erfolgte endlich der lange erwartete Gegenangriff der Asinesen. Auf kleinen, maschinenlosen, aus seltsamen uns unbekannten Stoffen gebauten Flugkapseln überflogen sie zu Abertausenden Ameropa, indem sie aus silbernen Megaphonen ihre zersprengenden, hell klingenden Lautformeln gegen uns stießen. Der Erfolg war niederdrückend, ja ungeheuer. Ganz Ameropa und sämtliche Städtezentralen standen in Flammen. Berge loderten in Weißglut auf und zerfielen in Asche. Alle Flüsse vertrockneten und versiegten. Unsere zehn Weltstädte – die Ameropaner bewohnten schon seit nahezu fünfzehnhundert Jahren nur noch solche Zentren – blieben Jahrzehnte hindurch voneinander getrennt. Drei Städte: East V, East III und North VIII mit vierzig, fünfzig und siebzig Millionen Einwohnern verhungerten, verdursteten, wurden verätzt und verbrannten. In dieser Zeit war es uns nur auf aeroplasmakinetischem Wege möglich, mit den übrigen Städten zu verkehren.
Die besten Denkkräfte waren damals in Centrocitta I vereinigt. Deshalb wohl überwanden wir verhältnismäßig am raschesten die schweren Schäden, deren notwendige Entfernung neue, glänzende Erfindungen zeitigte. Erstens die schon erwähnte elektrische Umschnürung und Verdrängung der Erdätzgasflammenherde. Zweitens gingen wir endlich zur schon lange vorbereiteten künstlichen Ernährung über und lebten von wohlschmeckenden mit Wasser zu nehmenden Pillen. Diese Nährstoffe hatten die Eigenschaft, sich auf dem Verdauungswege gallertig zu erweitern, und wirkten auch gefühlsmäßig wie normal genossene Speisen. Drittens gelang uns das Wichtigste, die Herstellung von Wasser aus magnetisch herbeigezogener feuchter Luft. Wir waren bis gestern noch imstande, jederzeit künstlich herbeigerufenen Regen oder Gewitter über der Stadt zur Entladung zu bringen.
Bei dem gleichen Überfall kamen wir zum erstenmal mit gefangenen Asinesen in persönliche Verbindung, da es an verschiedenen Orten geglückt war, einige ihrer Flugkapseln durch Elektrofernprojektile abzuschleudern. Es zeigte sich dabei, daß die kleinen, kaum zwei Zoll starken Kabinen unversehrt und lediglich durch den enormen Luftdruck verschiedener aufeinanderfolgender Detonationen zu Boden geschlagen worden waren. In diesen eigenartigen, elastischen, wie aus milchgrünem Glas gegossenen Körpern fanden wir nichts als die für uns wertlosen silbernen Megaphone; weder Maschinen oder sonstige Fortbewegungsorgane enthielten sie. Die Bewegung dieser Kapseln erfolgte in einer Weise, die nach den uns bekannten Fluggesetzen unerklärbar blieb.
Die Sprache der Gefangenen verstanden wir nicht. Sie erfaßten mühelos durch „geistige Einstellung“, wie sie sagten, unsere Fragen, die sie auch beantworten konnten. Es waren harmlos aussehende, kindliche Leute mit langen, schwarzen Haaren, schräggestellten Augen, die mit kuttenartigen Überwürfen bekleidet waren. Ihr charakteristischer Zug war ,,Lächeln“. Dieses Lächeln trugen sie immer, sogar auf dem elektrischen Zwangsstuhl und im Tod, zur Schau. Wir hatten sie in mit Sauerstoff gefüllten Behältern untergebracht; was sie an frischer Luft verbrauchten, war, mit unseren Bedürfnissen verglichen, enorm. Die Erzählung eines jungen, offenbar intelligenten Asinesen hat auf mich damals einen zwar prahlerisch wirkenden, aber doch starken Eindruck gemacht. Den Aussagen dieses jungen Mannes verdanke ich hauptsächlich folgende Aufschlüsse über ihre Kultur.
Die Asinesen hatten sich seit unvordenklichen Zeiten von aller Technik und allem „äußeren“ Wissen, wie sie unsere Leistungen benannten, geschieden; ihr Ziel war „Beherrschung der Form im Geiste“. Damals wie heute noch und zu allen Zeiten sollte auf dem Berge „Lysnah“ eine heilige Schar von vierzigtausend Mönchen wohnen; ihr geistiges Oberhaupt, ihr Führer war Yêr Icho Rân.
Diesem „durch Verwandlung Wissenden“ sei es gelungen, alle Zustände und Formen restlos aus sich selbst zu beherrschen. Über ihm sei nur noch das Allbewegende, – „Einszwei“ genannt –, von dem er seine Weisungen für die Welt empfinge. „Einszwei“ sei reines Licht, allerschärfstes Blenden, in das zu schauen nur ein jahrelang geschultes „inneres“ Auge vertrüge. Yêr Icho Râns erste große Tat sei es gewesen, mit Hilfe seiner vierzigtausend Mönche in zwölfjähriger Konzentration den Lautwall um Asinesien zu schaffen. Dieser Wall sei unzerstörbar, nach Sonne-, Mond-, Ebbe- und Flutgesetzen auf der Basis sämtlicher geheimen, lufterschütternden Formeln gebaut und nur „geistig“, das heiße unter Loslösung vom irdisch sichtbaren Körper, zu begehen. Der normale Leib werde von der in unerklärlichen Schwingungen brandenden und mit geheimen Energien geladenen Luft in Atome zerschlagen. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang werde von allen Mönchen Asinesiens die Formel des Walles neu gebetet. Yêr Icho Rân – wenn sie seinen Namen oder den des „Einszwei“ nannten, verbeugten sie sich mit an die Stirn gelegten Fingerspitzen tief zur Erde – beherrsche alle Geheimnisse und Kräfte der Urstoffe. Er könne daraus jedes Mineral erzeugen; das Salz und die Erde, Edelsteine, Platin, Gold, Tellur, Silber, his herab zum einfachsten Erz. Die Tempel in Asinesien seien aus Platin und reinem Gold erbaut. Mit Gold heilten sie alle Krankheiten. Wir erschraken bei der Vorstellung solchen Reichtums. Wir erschraken deshalb, weil gerade die Herstellung des so dringend benötigten Platins und Goldes uns mehr als sein eigentlicher Wert kostete. Es wurde uns fast unmöglich, die dazu nötigen Substanzen herbeizuschaffen.
Von den Gefangenen hatten wir noch gehört, wenn Yêr Icho Rân wollte, wären wir längst vernichtet, und wir möchten uns doch an dieser „Strafe“ genügen lassen oder wie früher Stadt gegen Stadt, anstatt gegen fromme Mönche Krieg zu führen. Auf die solch bombastischen Reden gegenüber einzig mögliche Frage, warum ihr heiliger Kriegsherr uns dann nicht schon lange vernichtet hätte – antworteten sie ernst, weil es noch nicht an der Zeit sei! Solche Ansichten trugen sie mit kindlicher, fast lächerlich wirkender Würde vor; ja, es schien oft, als ob sie uns bemitleideten.
Ich fragte nach ihren Maschinen und erfuhr, daß sie keine hätten. Sie bauten ihre Häuser, trieben ihre Schiffe lediglich mit durch Lautformeln erzeugten Kräften. Jede mönchische Klasse beherrsche eine bestimmte Anzahl von Kräften, die dem Maße ihrer inneren Entwicklung entspräche. Die Gefangenen wären nur Mönche sechsten Ranges, das heiße also, niedere „Eingeweihte“. Ihre Beschäftigung käme im allgemeinen der meisten der übrigen Bürger ihres Landes gleich. Sie trieben Landwirtschaft, pflegten Blumen, hielten milcherzeugende Tiere und beschäftigten sich mit göttlichen Dingen, worunter sie Malen, Singen, Dichten oder Musizieren verstanden. Ihre Nahrung bestünde aus Erdfrüchten, Obst, Gemüse, aus süßen Säften, Milch und Honig. Sie töteten niemals; auch keine Tiere. Wenn aber, wie in diesem Falle, „Einszwei“ den Führern Befehl zum Töten gegeben habe, sei es heilige und ehrende Pflicht, weil man, um „Einszwei“ zu gehorchen, das Schwerste auf sich nähme. Sie empfahlen uns die Lehre Yêr Icho Râns, welche Ruhe, Friede mit allen und mit sich selbst bedeute. Ihr höchstes Ziel sei, „Licht“ zu werden, was man nur durch die Kraft des Glaubens erränge. Der erste Satz ihrer Glaubenslehre lautete deswegen: „Ich glaube!“ Glauben aber heiße: Kraft entfalten, um höhere Kraft zu entwickeln. Der wahre Glaube allein mache selig, versetzte Berge, Flüsse und Seen.
So lächerlich dies für uns klang, sie behaupteten fest, jeder der im wahren Glauben lebe, könne, wenn er wolle und dazu Befehl von den Führern erhielte, Berge versetzen, über Flüsse und Seen Gewalt erlangen.
Ich fragte: „Wenn ihr solch gewaltige Kräfte in euch habt, warum befreit ihr euch dann nicht aus der Gefangenschaft?“
„Wir könnten es wohl tun.“
„Warum tut ihr es dann nicht?“
„Weil wir keinen Befehl haben, Wir sind ja übrigens gar nicht gefangen. Bei uns gilt nur der Geist, und den habt ihr ja nicht gefangen. Könntet ihr uns im Geiste sehen, ihr würdet euch schämen.“
„Was nennt ihr schämen?“
„Man könnte es euch nicht erklären, da ihr es längst verlernt habt.“
Diese kühne Antwort gab mir der junge Asinese.
Ich fragte ihn weiter: „Womit habt ihr uns bekämpft? – Mit welchen Geschossen?“
„Mit gar keinen, nur mit einfachen Lautformeln. Euere Unkenntnis der Erdgasauflösungen sicherte uns den Erfolg.“
„Wie lauten diese Formeln?“
„Sie sind Geheimnis.“
„Du wirst sie sagen!“
„Niemals!“
Ich ließ den Gefangenen auf den elektrischen Zwangsstuhl schnallen. Er sollte die Formel bekennen.
Der Gefangene warf sich in wilden Zuckungen hin und her; seine Augen quollen weit aus den Höhlen, aber er lächelte.
„Mehr Strom! – Die Formel!“
„Niemals!“
„Vollstrom!“
In unserer Stadt folterte man drei Gefangene, in anderen Städten Dutzende zu Tode. Keiner gestand die Formel. Man schnallte ihnen Gedankenleseapparate an die Schläfen. Niemand von uns war imstande, die seltsam verwirrten Laute, die der Gedankenlautsprecher gab, zu enträtseln. Hätten wir die Erfindung, mit der ich dies jetzt niederschreibe, schon damals gehabt, vielleicht wäre dieser Krieg doch nicht der letzte gewesen.
Drei Tage nach diesem Verhör schienen die übrigen Gefangenen ungewöhnlich heiter und froh. Sie lächelten mehr als sonst, baten uns für den Ärger um Verzeihung und sagten, sie dürften jetzt heim.
„Wieso heim?“
Sie lächelten nur. Uns schienen sie irrsinnig geworden.
Wenige Minuten später geschah es – dies steht mir, als wäre es gestern erst geschehen, vor den Augen –, daß sich die Gefangenen an den Händen nahmen, in plötzlicher stürmischer Freude küßten und hierauf unter dem Ausspruch eines – ich kann mich nicht anders ausdrücken – „glutheißen“ Lautes entseelt zu Boden sanken. Wir stürzten hinzu, und unserxe Hände griffen in warme Erde! Dies ereignete sich mit allen asinesischen Gefangenen gleichzeitig – zur selben Stunde, ja zur gleichen Minute und Sekunde –, wie sofort angestellte Nachforschungen ergaben. Das merkwürdigste aber war, daß auch die zu Tod gefolterten und bis zu ihrer chemischen Zersetzung in den Leichengefrierhallen aufbewahrten Gefangenen ebenso verschwunden waren.
Ich gab den Staub einem Chemiker zur Untersuchung und erhielt das nichtssagende Ergebnis: Gewöhnliche weiße, pulverisierte Erde.
13. Oktober 5200.
Diese Aufzeichnungen mußten gestern unterbrochen werden, da ich meinen beiden Ersten Ingenieuren bei der wieder notwendig gewordenen Energiendrosselung, die eine Überaus umsichtige und komplizierte Handhabung fordert, behilflich sein mußte, Ich beginne nun wieder dort, wo ich das Thema verlassen habe,
Seit den aus diesem asinesischen Überfall herrührenden Erfahrungen bereiteten sich alle Städte auf einen neuen Krieg gegen Asinesien vor. Inzwischen hatten wir einige weitere empfindliche Schwächen des Gegners erkannt; wir wußten nun um seine Ohnmacht gegenüber starken, am besten sich überschlagenden Geräuschen; wir hatten erkannt, daß Luftwirbel imstande waren, die feindlichen Flugkapseln zu Boden zu schlagen und zu vernichten. Auf Grund dieser zweifellos richtigen Einsicht erfanden wir folgende Gegenwaffen.
Zuerst umgaben wir die Stadt mit normal in fünf- bis siebenhundert Meter Höhe stehenden elektrischen Energiefeldern. Es sind das sogenannte Kampfschlagringe; ihre Widerstandskraft war so stark, daß an ihnen unsere besten, gefährlichsten Waffen: Sprengstrahlenwerfer, Atommotoren und Riesenprojektile, wirkungslos vergingen. Weiter hatten wir unsere Gewittersaugmagneten so weit vervollkommnet, daß wir imstande waren, die Luft über der Stadt in ungeheure tornadische Wirbelbewegung zu bringen. Die unter und um die Wirbel lagernden, leergesaugten, fast luftleeren Räume wirkten als Fallen und mußten den Absturz auf die zermalmenden Kampfringe herbeiführen.
Unsere letzte Erfindung bestand endlich aus über drei Millionen ungewöhnlich kräftiger, etwa zehn Meter hoher und am Schalloch drei Meter messender Lauttrichter. Diese überall auf den flachen Dächern angebrachten „Lautformelabwehrsirenen“, welcher Name ihren Zweck bekundet, wurden nach einem besonderen, arrhythmischen und atonalen System gehandhabt, mit dem es gelang, die wirbelnde, brüllende Luft bis tausend Meter hoch in schlagartige, schleudernde, zersprengende Bewegung zu versetzen. Die eigentliche Wirkung der Sirenen begann also erst über den Kampfringen der Stadt. Die erstaunliche Kraft dieser Anlagen ging am besten aus einem an und für sich belanglosen Ereignis hervor. Ein bei den Proben vergeßlicherweise ohne Schalldämpfanzug, unbeschützt, aus dem Hause tretender Offizier wurde sofort erschlagen und mußte mit geplatzten inneren Organen weggetragen werden. Dies geschah in hundertfünfzig Meter Höhe vom Privatflugbalkon eines Offizierkasinos aus.
So wirkten unsere Abwehrmittel, zu denen noch meine eigene Erfindung, der in sechzig Jahren gebaute Glaskommandoturm gehörte. Hierzu sei kurz erklärt: Ich hatte die seinerzeit beim asinesischen Überfall abgeschossenen Flugkörper dem Kriegsmuseum überwiesen, dabei aber gleichzeitig zwei hervorragende Chemiker mit dem Auftrag der Analysierung des unbekannten, zähen Stoffes betraut. Nach einem Jahr übermittelten sie mir das Ergebnis ihrer Forschungen: eine amiantartige, elastische, aus vielen, schwer gewinnbaren Verbindungen bestehende, hauptsächlich aber glasartige Masse, die unter enormen Kosten wohl herzustellen sei.
Da beschloß ich, den Turm zu bauen.
Die Stadt weigerte sich anfangs heftig gegen das Problem, da die Kosten dafür nur durch eine achtzigjährige Luxusfahrzeugsteuer aufzutreiben gewesen wären. Schließlich siegte ich doch, wenn auch nur unvollkommen, indem die Stadt die eine Hälfte bewilligte und ich die andere aus meinen Privatmitteln aufbrachte.
Eigene Fabriken entstanden. Der Turm wurde gebaut. Aus durchschnittlich vier Meter großen, quadratischen, weichen, aber diamanthart werdenden Blöcken errichtet, ist er heute das einzige Gebäude Ameropas, das die letzten grauenvollen Tage überdauerte.
Vor zweihundert Jahren ließ ich in dieses Bauwerk das „Gehirn der Stadt“ verlegen. Jahrtausende noch wird dieses Denkmal, in dem ich die Ehre habe zu sterben, von der gewaltigen Größe unserer Zeit zeugen.
Unsere Angriffswaffen waren gleichfalls nach genialen Plänen verbessert worden. Es war uns ja auch klar, wofür dieser Krieg geführt wurde. Um Gold! Um Sein oder Nichtsein Ameropas! Wir mußten Asinesien besiegen! Dazu standen uns zur Verfügung: gänzlich veränderte, gewaltige, herrlich anzuschauende, mit Lärmknallgasen betriebene Gigantraketenpanzerschiffe. Diese waren mit bis zu dreihundert Kilometer Sprengradius reichenden Thjeltorpedos versehen. Die Füllung dieser Torpedos beglückte uns; sie verschleuderten brennende Luft, ätzende Gase in der hauptsächlichsten Verbindung mit der neuen Säure „Thjel“, die imstande war, alle Gegenstände: Steine, Metalle, Menschen – alles – ausgenommen Gold und Platin, über welchem sich sofort schleimige, später stahlharte Schutzdichten bildeten – in wenigen Minuten zu zersetzen, zu zerstören.
Gegen Ende der Kriegsvorbereitungen, am achten August dieses Jahres, erreichte uns ein Schreiben Yêr Icho Râns, das, auf eine weiße Seidenfahne geschrieben, unbemerkt nachts über Citta East II abgeworfen worden war. Die unachtsamen Nachtwachen ließ der Rat am andern Tage als abschreckendes Beispiel öffentlich verätzen und zerstäuben.
Das Schreiben lautete also:
Berg „Lysnah“.
An die vereinigten Städte Ameropas!
Ich weiß um Eure Absicht, Asinesien durch einen am 25. Oktober, morgens 6 Uhr 26 Minuten 12 Sekunden angesetzten Überfall zu zerstören. Der Urgrund aller Dinge hat beschlossen, falls Ihr von diesem Vorhaben nicht abstehen wollt, Ameropa durch uns vernicht zu lassen.
Yêr Icho Rân.
Was uns an diesem Schreiben verblüffte, war die nur mir und den anderen Statthaltern bekannte, streng geheimgehaltene Abschußzeit. Verrat war unmöglich, Es schien uns ein gut gelungener magischer Bluff, der gerade das Gegenteil bewirkte. Die Vorbereitungen wurden beschleunigt. Als die günstigste Abschußzeit errechneten wir den 11. Oktober, morgens 5 Uhr 25 Minuten 5 Sekunden.
Noch einmal traf eine neue Fahne Yêr Icho Râns ein. Diesmal wurde das Flugzeug, ein weißlich schimmerndes, konisches Gebilde, wenn auch zu spät, in großer Höhe gesichtet. Strahlenschleudern und nachgesandte Fernprojektile konnten es nicht mehr erreichen.
Das Schreiben lautete:
Berg „Lysnah“.
Ich ermahne Euch zum letztenmal zum Frieden. Andernfalls wird am 11., fünf Uhr nachmittags kein Ameropaner mehr leben. Wir werden die Welt wieder in blühende Gärten verwandeln.
Yêr Icho Rân.
Über diesen Brief lachten wir. Alle waren zur Überzeugung gekommen, daß der hohe Inkarnierte Angst habe und im Bewußtsein seiner militärischen Unterlegenheit uns auf so bombastische Weise zu bluffen versuche. Uns schien es ein gutes Zeichen zu sein, daß ee diesmal die genaue Abschußzeit nicht erwähnt, richtiger gesagt nicht erraten hatte. Der Überfall schien uns unbedingt sicher. Ohne irgend einen Zwischenfall traf uns der Morgen des 11. Oktober in nie dagewesener Gefechtsform.
14. Oktober 5200.
Gestern mußte ich die Aufzeichnungen unterbrechen, weil Sir Bras Bly sich in einem Irrsinnanfall die Isolierhandschuhe von den Händen riß und, ehe wir ihn hindern konnten, in die blanken Streben des Gewaltstromdroßlers griff. Er war sofort tot und, wir hatten Mühe, seine verkohlten Hände von
den Drähten zu lösen. Sir Bras Blys Vorfahren stammten aus den ehemalig germanischen Ländervereinigungen, und er litt wie fast die meisten dieser Leute an zeitweiligen Gemütsstörungen. Das mochte wohl daher rühren, weil sich diese Leute erst spät von den Haiherzoperationen überzeugen ließen. Sonst war er ein klarer, scharfdenkender und brauchbarer Ingenieur gewesen.
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Eben haben wir wieder die Turmdrosselung gemessen. Sie betrug noch dreißig Billionen Aektomenergien; morgen werden es zwanzig sein, übermorgen zehn. Das Alleräußerste! Wir könnten also tatsächlich noch bis zum sechzehnten leben. Der Lage nach sind wir zufrieden. Sir Adot Mercure zeichnet interessante, ihn sichtlich anregende Pläne, und ich habe schon früher bekannt, wie gelassen und wohl mir zumute sei. Ich setze meine Erklärungen fort:
Am 11. Oktober, früh fünf Uhr, war endlich alles so weit. Die mit Ametylotasbestpanzern bekleideten Führer wurden eben in die stoßsicheren, kardanisch eingebauten Lenkkabinen der Großkampfraketen eingeschraubt. In jeder der zehn Städte Ameropas stand jetzt ein Geschwader von dreißig solcher tausend Mann und hundert Offiziere fassender, vierhundert Meter langer und sechzig Meter breiter „Ultogiganten“ stoßbereit. In einer knappen halben Stunde sollte der größte, fürchterlichste Kampf, den die Welt wohl jemals gesehen, beginnen« E 2
Die Luft war voll Spannung. Man fühlte förmlich, wie sich das Denken Ameropas jetzt auf diesen einen Punkt – den Abschuß der Schiffe – konzentrierte. Ganz Centrocitta lag in grellstem Licht. Die metallenen Teile der Häuser, der Dachflugterrassen, Lautabwehrsirenen, die Luftverkehrspiegel und die spitzen, vergoldeten Kuppen der Aerokontrolltürme blendeten die Augen im Widerschein des strahlend grellen Lichtes. Seit einer Stunde war jeder Luftverkehr untersagt. Die östlichen Bezirke, in denen der Kriegslufthafen lag, waren abgeblendet und die Bürger bereits in die Untererdstationen gebracht.
Blaues gedämpftes Licht umgab die Abschußstelle. Ich sah gespannt hinüber. Langsam erst gewöhnte sich das Auge an die Dunkelheit, und allmählich sah man eine Reihe mattroter Lampen, die gleich glühenden Rädern in den gewaltigen Fischköpfen der „Ultogiganten“ saßen. Mehr und mehr erkannte man die Umrisse der schräg aufrecht in den dreihundert Meter hohen Abstoßrohren lagernden Flotte. Furchtbare Waffen! – In den nächsten Stunden war es sicher entsetzlich, Asinese zu sein.
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Der Admiralstab meldete: „Klar!“
Ich übernahm das Abschußkommando. Meine Ingenieure standen befehlsbereit an den Übermittlungsapparaten. Die Zeitgleichuhr wies 5 Uhr 9 Minuten, 5 Uhr 10 Minuten: „Centrocitta Achtung! Klar zum Abschuß!“
Maschinen klingelten. Tausende von Drähten, Rädern, begannen ineinander und hin und her zu gleiten, summend und surrend. Vielfarbige Lichter blinkten in bestimmten Intervallen auf, fanden ein leuchtendes Echo auf den Bezirksleitungstürmen über der Stadt, zuckten, morsten und erloschen wieder.
Rasch liefen nun Meldungen ein: „Zweihundertsechster, sechshundertster, hundertfünfundvierzigster, dreiundzwanzigster Bezirk klar! Ost klar, Nordwest klar!“ bis zur Gesamtmeldung durch den Generalingenieur: „Centrocitta abschußbereit!“
5 Uhr 15 Minuten. Befehl: „Alle Luftwiderstandsschotten schließen!“
„Sind dicht.“
5 Uhr 17 Minuten: „Abschußfelder räumen!“
„Sind geräumt.“
5 Uhr 18 Minuten: „Alle übrigen Bürger Schalldampfhelme auf und tief verfahren!“
„Sind verfahren und Helme auf.“
5 Uhr 22 Minuten: „Meldung von Ultogigantleitung, ob klar?“
„Flotte ist klar zum Stoß! Heil für Ameropa!“
Drei lange, schier endlose Minuten.
5 Uhr 25 Minuten – meine Stimme klang hell: „Abschußleitung! Achtung!“
Die Ingenieure griffen nach den Fernzündungstasten.
Ich zählte die Sekunden: „Zwei, drei, vier …“
Ehe ich „Los!“ rufen konnte, zerriß ein grausiger Blitz die Luft, die Stadt fiel in Dunkelheit, wir schlugen zu Boden und rasten wieder empor.
Beunruhigendes Knistern drang aus allen Geräten, grüne Flämmchen und bläuliche Blitze huschten zwischen den Leitungen hin und her.
In solchen Augenblicken ermißt man erst den Wert seines Haiherzens und klaren unbeirrbaren Denkens. Schlag auf Schlag befahl ich: „Reserveschaltung über Zentrale B.!“ – „Überspannungsleitungen prüfen!“ – „Meldung ob fremde Einwirkungen!“ „Abschußleitung sofort melden, wenn wieder klar!“
In wenigen Minuten setzte die Lichtversorgung ein. Die Maschinen wirkten, wie sie sollten. Den Fehler hatte man noch nicht gefunden. – Da brachte die noch ausstehende Meldung der Abschußleitung die konsternierende Nachricht: „Starke Störung durch zersetzende elektrische Fernwirkung! – Abschuß vorläufig unmöglich!“
Merkwürdig! – Was ich wenige Minuten vorher noch für lächerlich gehalten hätte, in diesem Moment wußte ich es sicher! Die Asinesen! – Hoffentlich gelang es, die Stadt zu retten.
„Kampfringe sofort spannen!“
„Sind ge–“ Der Rest des Wortes verlor sich in ohrenbetäubendem Dröhnen.
Keine Sekunde zu spät, denn eben verprasselte eine zweite Hochflut blitzender, krachender, brüllender Energien über unseren Häuptern an den Kampfringen der Stadt.
„Abschuß zurück! Alarm zur Stadtabwehr! Alle Bürger auf Gefechtsstationen! Meldung!“
In zwanzig Minuten verfügte ich über die Abwehrleitung vollkommen. Die entstandenen, meist geringen Schäden waren repariert. Die tornadischen Wirbel heulten. Mit unbeschreiblich hackendem Gebrüll, das den Turm erzittern ließ, setzten die Lautabwehrsirenen ein.
Wie ernst unsere Lage war, erkannten wir erst einige Minuten später, als ich mit dem wütend von den Abschußplätzen zurükgekehrten Gefechtsstab die zu treffenden Maßnahmen besprach. In diese erregte Versammlung brachte ein Läufer der Springlichtsignalabteilung ein Telegramm, das uns aller Annahmen enthob und das ich sofort laut vorlas: „Citta East III – asinesischer Luftüberfall! Sendet Hilfe oder wir sind verloren!“
Totenstille. Ohne weitere Entgegnung bestiegen die Herren vom Stab die Turmliftschleudern, die sie auf ihre Stationen brachten. – Wir warteten.
Jetzt war es nahezu sieben Uhr morgens. Vorher hatten wir durch die Lücke eines Kampfringes ein Dutzend Marsraketen abgeschossen, die auf die Bedeutung des bevorstehenden Kampfes und die möglicherweise eintretende Vernichtung aller Kulturverbindungen auf lange Jahre hinwiesen. In zwei Stunden hatten wir – zu unserem Glück – gelernt, die Asinesen ernst zu nehmen.
Der Turm schwankte. Der Himmel war grau und sichtlos. Im Westen stand der gewohnte Anblick von Gasen 18 – Riesengarben blauweißer Flammen, rotglühender Erdlandschaften, die von unseren unsichtbaren Konzentrationsringen festgehalten wurden.
Ein Fernlichtbild, das wir kurz nach sieben Uhr von den Oststädten zu erhalten versuchten, ergab helle Flecken und wellige Striche – Flammen!
Die Weststädte meldeten Versagen des Abschusses und schwerste unbekannte Störungen verschiedener Kraftstationen. Sie befanden sich erst seit zwanzig Minuten in vollkommenem Alarm, da sie unserer ersten Warnung nicht geglaubt hatten. Ich wußte, daß sie verloren waren.
Genau 7 Uhr 25 Minuten gewahrte ich durch die Periskopspiegel der Fernsichtübertragungsstation – also noch tief unter der Erdkimme – eine endlos scheinende, irisierende, helle Linie, die rasch wachsend näher kam.
Fünf Minuten später konnte man deutlich den riesigen, den ganzen Horizont umspannenden Lichtwurm der asinesischen Flotte erkennen. Es gelang, die Entfernung zu messen, und wir eröffneten mit schweren Großdistanzprojektilen das Gefecht.
Kreisende, ätzende Luftmeere, bis zweitausend Meter hohe Feuerregen wölbten sich ununterbrochen bis an die Nahgefechtszone der Stadt. Der ganze östliche Himmel war eine wildfarbige, Blitze, Gase und zersetzende Säuren speiende Empörung. Kaum glaublich, aber die Asinesen flogen mit nur geringenVerlusten hindurch.
Mit einem gewöhnlichen, dreihundertfach vergrößernden Fernrohre konnte man den Gegner schon genau erkennen, seine seltsamen, vielleicht vierzig Meter langen, schmalen, achteckigen Schiffchen, die aus zartem, schimmerndem Glas zu bestehen schienen. Gedankenschnell stießen sie vorwärts, brachen in langen, unabsehbaren, dreifach gestaffelten Reihen, ab und zu taumelnd sich überschlagend, stürzend und im Widerschein der tödlichen Feuer wie blanke Diamanten sprühend aus der Sperrlinie hervor.
Schätzungsweise dreitausend Schiffe formierten sich nun besonders und begannen die Berennung der Stadt. Die anderen, Legionen, stürmten an unseren Flanken vorbei, westwärts weiter. Ihr erster Versuch, die Stadt zu überfliegen, kostete sie gut über dreihundert Schiffe, die von den gewaltig wirkenden Wirbeln erfaßt, wie blitzende Fische tiefer gesaugt wurden, bis sie endlich, gegen die Kampfringe geschleudert, unsichtbar fast ob der Schnelle, vergingen.
Die Asinesen schienen verwirrt. Sie hatten jedenfalls ein ebenso leichtes Spiel wie bei den Oststädten erwartet. Immer noch trieben planlos fahrende Schiffe in die Wirbel hinein und versanken rettungslos in den luftleren Fallen. Das Gros aber schien die Gefahr erkannt zu haben; in steilem, schnellem Anstieg gewann es die sichere Höhe.
Inzwischen hatte man den Gegner gut beobachten können. Aus den Bäuchen der durchsichtigen, ohne jede Mechanik manövrierten Schiffe ragten zwölf – je sechs an beiden Seiten – lange, silberne Ausstoßrohre hervor. Von der Mitte des Schiffsrumpfes aber hingen zwei lose, zu einem einzigen Mundstück vereinte goldene Megaphone herab, womit sie offenbar die gefährlichen Lautformeln zu schleudern gedachten.
Vorläufig hatten sie sich in westnordwestlicher Richtung aus der Nahgefechtszone gezogen und schienen dort Kriegsrat zu halten.
Durch das Fernrohr konnte man die Schiffe genau beobachten. Die Führer waren fast durchweg würdige Greise, wie die übrige Besatzung gekleidet, nur trugen sie statt roter oder schwarzer weiße Kutten. Zehn etwas größere Boote, die durch bläulich schimmernde Leuchtstreifen und intensivere Strahlen auffielen, hielten sich in einem Halbkreis beratend nebeneinander, während der Chef der Flotte, ein hoher, schlanker, weißbärtiger Mann, ihnen mühelos, durch die Glaswände hindurch, seine Instruktionen gab. Wie wir bald darauf sehen konnten, waren sie verblüffend einfach. Zu ihren Flottillen zurückgekehrt, begannen die Führer aller Boote unter verworrenen Gesten und lediglich, indem sie in die geballte Hand hauchten, rote, runde, etwa meterhohe, elliptische Geschosse zu bilden. Diese wurden von der aus je zwölf Mann bestehenden Besatzung in die Rohre gelegt, worauf sich die Rohre mit sanftem, zunehmendem, rötlichem Glanz von innen zu erhellen begannen. Die Leuchtkraft der Schiffe nahm gleichfalls zu; sie spielten in den wunderbarsten Farben.
Der Feind bildete neue Formationen. Keilförmig gestaffelte Geschwader zu je zweihundert Schiffen mit dem Chefboot an der Spitze.
Der zweite Gefechtsabschnitt begann.
In unerhörtem Tempo schnellte die Flotte in die Höhe, weit über die Kampfring- und Wirbelzo[n]e hinaus und begann den neuen Sturmangriff auf die Stadt.
Diese Gefechtsweise war für uns die unbequemste, denn wir mußten, um steil nach oben zu gelangen, die Kampfringe über den Batterien schwächen. Dazu gehörte ein präzises Zusammenwirken der Batterien und der Kampfringleitung.
Wohl nie wird es zu klären sein, wie dieser Erfolg möglich war, ob es durch Versagen eines Kampfringes geschah oder dadurch, daß eine Batterie das Schußsignal zu spät gab. Genug, eines der mit singendem Ton herabschnellenden, rotglühenden Geschosse fuhr in die Stadt. Die Wirkung des Sprengkörpers war grauenvoll. Nach drei Minuten lagen zwei Stadtbezirke in Schutt und Asche.
Noch während des Einschlages, unsere augenblickliche Verblüffung gut nützend, richtete der Feind aus den hellen, zuckkenden Rohren einen wahren Regen von Geschossen auf die Stadt. Angesichts dieser verheerenden Treffer und um die entstandenen Blößen zu schützen, entschloß ich mich, obwohl es einen gewagten Übergriff auf die zur Verfügung stehenden Energien bedeutete, die Kampfringe auf das Höchste, auf fünfzehnhundert Meter Höhe, zu schleudern.
Der Erfolg kam damit wieder auf unsere Seite. Über fünfhundert Schiffe zerschellten in Atome. Die Asinesen stoben nach allen Richtungen auseinander und bemühten sich später in aussichtslosem Kleinkampf um die Peripheriebatterien. Das Gros, das wir mit allen Mitteln ausgiebigst beschossen, konzentrierte sich südwestlich der Stadt zu neuen Angriffen. Man konnte eine gewisse Müdigkeit bei dem Feinde, der in kurzer Zeit weit über tausend Schiffe eingebüßt hatte, gut erkennen.
Aber auch bei uns sah es stellenweise schlimm genug aus. Ich hatte die Kampfringe wieder zurückziehen lassen und hoffte auf eine längere Gefechtspause, die uns zur Reparatur der entstandenen Schäden nötig gewesen wäre, als mich ein jäher Aufschrei Adot Mercures erschreckt aufwärts starren ließ. Zu spät gewahrten wir sieben bisher unsichtbar gewesene Führerboote, die, sich gleichzeitig erhellend, in wuchtigem Drang nach unten stießen und genau über der vorher entstandenen Blöße hielten. Dicht über der Stadt liegend, warfen sie Salve auf Salve in die offene Wunde. Schlag auf Schlag folgten nun gräßliche Explosionen, die jedesmal mindestens einen Bezirk, ein Kraftwerk und vierzig- bis sechzigtausend Menschen das Leben kosteten.
Eine fünfzig Meter tiefe Zentralstation wurde mit einem einzigen Geschoß zerschlagen.
Die Lautabwehr versagte. Machtlos standen wir den rasch folgenden Geschehnissen gegenüber.
Grauenvolle Meldungen kamen aus allen Bezirken.
Immer stärker quellender Rauch verriet deutlich die wenigen noch funktionierenden Luftwirbel und Leeren, unter die der jetzt von allen Seiten andringende Feind unaufhaltsam Salve auf Salve verlegte. Man sah nichts mehr als Flammen und Rauch, himmelhohe Explosionen und dazwischen die hin und her sausenden funkelnden Glasschiffe, die feuernd und immer wieder feuernd Bezirk um Bezirk vernichteten. Die Kampfringe zerfielen und schlugen teilweise sogar in unsere eigenen Leute ein, die dabei umkamen, Aber auch mehrere gerieten in Brand. Der Feind, die Gefahr erkennend, stieg wieder höher.
Wilde Panik wühlte in der Stadt, Bürger und Frauen Offiziere und Mannschaften flohen nach den Ultogiganten. Es schien ihnen besser, sich hoffnungslos irgendwo ins All hinauszuschleudern, als so elend umzukommen. Die Turmbemannung, mein ganzer Stab, flüchtete, bis auf meine Genieingenieure. Niemand von ihnen konnte hoffen, nach der Oststadt zu kommen. Zu Tausenden zuckten sie unter der in den Straßen kreisenden losen Energie zu Boden. Zu Tausenden, im irrsten, phantastischsten Totentanz, den man in der Welt je gesehen, tanzten, wirbelten, zappelten, lachten, brüllten und heulten sie unter dem Anhieb der scheußlichen Erdätzgase und platzten, bestäubt von schnellfressenden scharfen Giften.
Ganz Centrocitta war ein einziger, berstender Aufschrei! An den Zugängen zu den Verkehrsschleudern watete man fußhoch in Blut. Gemordet, gestohlen und geraubt wurde für nichts! Denn die sich gerettet wähnten, schleuderten sich sicher in die nächste Explosion eines andern Bezirks hinein. Es gab keine Täuschung mehr. Wir waren verloren!
Der Feind hatte die Beschießung aufgegeben. Lautlos lag er schimmernd und gleißend über dem Rauchmeer der sterbenden Stadt. Er wußte so gut wie wir, daß Centrocitta vernichtet war. Während die Asinesen sich abwartend verhielten, beriet ich mich mit meinen Ingenieuren. Eine Messung der umgebenden Atmosphäre ergab noch ungeheure Mengen loser Energien; es gelang uns davon über vierzig Billionen Aektome um den Turm zu spannen. Nachdem dies geschehen war, schlossen wir die schweren Versenkschotten hinter uns ab und erwarteten gespannt das Schauspiel unseres Todes.
Die stark gelichteten feindlichen Geschwader fuhren bis auf sieben Führerschiffe wieder ostwärts ab. In schönen Spiralen glitten diese nun auf die Stadt herab und sammelten sich wieder nahe bei unserem Turm.
Wir betrachteten in Muße die hellen, durchsichtigen Glaskörper, die Besatzungen und die uns unverständlich einfache Einrichtung der Boote. Die nächstliegende Bemannung hatte inzwischen auch uns bemerkt und sah mit neugierigem Staunen herüber. Sie schienen sich zu wundern, daß wir noch lebten. Da richtete einer der jüngeren Mönche das Ausstoßrohr auf uns ein, schob gleichsam wie im Scherz freundlich lächelnd eine Bombe hinein und ließ die Abzugsvorrichtung laufen. Wir bemerkten den hellen, scharfen, rotglühenden Abstoß, sahen, wie das Projektil etwa zwanzig Meter vor dem Turm an den hochgespannten Energien abglitt, sich überschlug und auf die Straße stürzte, wo eben, wie wir deutlichst durch die Bodenspiegel sehen konnten, eine vieltausendköpfige Menge dabei war, den Turm zu stürmen, wahrscheinlich um uns zu lynchen. Erstaunlich war es, wie plötzlich alles – Menschen und Häuser – verschwanden, wie die Erde aufbrach und unter Flammenausbrüchen alles in sich hinunterschluckte, wieder ausspie und endlich verschlang, indes der Turm lange noch unter beängstigenden Schwingungen zitterte.
Die Feinde waren erstaunt, daß wir noch lebten und begeistert zu ihnen hinüberstarrten. In diesem Augenblick löste sich aus einer bisher im Hintergrund des Bootes ernst beratenden Männergruppe derselbe hohe, schlanke und scharfblickende Greis, den ich schon früher gesehen hatte, würdigte uns keines Blickes und schritt ernst der Bootsmitte zu. Mit einer leichten Armbewegung dirigierte er das Fahrzeug um eine Schiffslänge vor die andern. Die Mönche sämtlicher Boote, die sich inzwischen in eigenartiger Weise um ihre Führer gruppiert hatten, begannen schimmernde, rauchartige Worte zu beten, die gleich einem feinen, aber stark strahlenden Nebel das Boot erfüllten, das gleichzeitig leise zu zittern begann. Das Licht war blendend, überirdisch strahlend. Nun führten sie die Hände, die sie bisher lose über der Brust gefaltet hatten, an die Schläfen und sanken mit geneigtem Haupt in die Knie.
Nie in meinem Leben hatte ich Furcht empfunden, aber in der nun folgenden Zeitspanne, während der sich der hohe Greis dem Mundstück des Megaphons näherte, fühlte ich trotz meines Haiherzens Grauen. Ich ahnte Entsetzliches, sah mit Schrecken auf den Mund des Mönches, der seinen eigenen, fluchgebärenden Namen zerstörend in den Grund stieß: „Yêr Icho Rân!“
Wir schlugen besinnungslos zu Boden.
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Als wir nach vielen Stunden wieder erwachten, war von der Stadt nichts mehr zu sehen. Der Turm schien gewachsen. Steil und unbeschädigt erhob er sich aus meilenweiten Trümmern. Flammen, weißkochende Laven brachen aus der Tiefe, in der da und dort noch die Trümmer einer Maschine oder eines Ultogiganten in Weißglut vertropften. Man sah nichts mehr als brennende Erde, Ameropa, wie es in Glut, Gift und Gasen verging.
15. Oktober nachmittags 3 Uhr.
Seit dem frühen Morgen kämpfen wir vergebens, um die Energien zu halten. Sie nehmen rasend ab. Flammen! Überall Flammen! Die ganze Welt ein Feuermeer.
Wir sitzen wie in einem Glasofen der Hölle und verbrauchen unseren ganzen Sauerstoff. Adot Mercure ruft mich wieder …
4 Uhr 50 Minuten,
Nun ist es aus!
Die Apparate reagieren nicht mehr, die Leitungsdrähte sind zerfressen … Wir können nichts mehr tun. Nur noch warten …
Mein Turm aber hält stand. Mein herrlicher Turm!
Adot Mercure weint. Es sieht merkwürdig aus … Heiß ist es! Entsetzlich heiß!
Es wird … oh … die Gase …
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