Herbert Kranz, In den Klauen des Ungenannten (1953)

(12 Kommentare.)

Auf einer Party habe ich im Regal Band 2 dieser Reihe aus zehn Jugendromanen entdeckt, laut Wikipedia die bekanntesten Bücher von Herbert Kranz, und mir daraufhin diesen ersten Band besorgt. Der Auslöser waren die zwei Seiten Inneneinband, die mich sofort ansprachen:

Ubique Terrarum
Limited Company – Gesellschaft mit beschr. Haftung
Exploring and Researching of all Kind
Nachforschungen und Ermittlungen jeder Art

Dazu eine Londoner Adresse, eine Liste von Ehrenpräsident, Generaldirektor der Gesellschaft und so weiter, bis zum französischen gräflichen Expeditionsarzt („Ehrenritter des souveränen Maltheserordens“). Und dann noch eine Seite aus den Satzungen der Gesellschaft:

Die Gesellschaft übernimmt Aufträge für Expeditionen in alle Teile der bewohnten und unbewohnten Erde, soweit deren Ausführung nicht den Gesetzen des betreffenden Landes widerspricht. Sollten aber die Gesetze eines Landes den Gesetzen der Menschlichkeit widersprechen, so wird die Gesellschaft bereit sein, übernommene Aufträge auch dort auszuführen.

Das klang doch direkt interessant. Es erinnerte mich zuerst an die vielen Abenteuer um Doc Savage, den Mann aus Bronze, die ihn und sein Team in die nämlichen Ecken und Enden verschlagen. Seine Hidalgo Trading Company ist allerdings mehr Scheinfirma, er ist – anders als die Helden in Kranz‘ Gesellschaft – niemandem Rechenschaft schuldig. Aber auch er hat ein Team von fünf Gefährten. So richtig differenziert sind sie nicht: Ham (geckenhaft gekleidet) ist Spitzenanwalt und Monk (sieht grobschächtig aus) Spitzenchemiker,; Rennie (guckt sauertöpfisch, große Fäuste) ist Spitzeningenieur, Long Tom (sieht immer kränkelnd aus) Spitzenelektroniker; Johnny (nutzt gern Fremdwörter) ist Spitzengeologe und -archäologe.

(Lester Dent, Autor des weitaus größten Teils aller Doc-Savage-Geschichten, beschrieb im Aufsatz „Wave Those Tags“ seine Technik, erfolgreiche Serienfiguren zu erschaffen: Im Prinzip schon zweidimensional, aber jeder mit ein oder zwei charakteristischen Merkmalen, die man immer wieder hervorkramt.)

Im Außtenteam von Ubique Terrarum sind sieben Männer, auch alle mit Spitznamen, auch alle mit ein oder zwei charakteristischen Merkmalen, darüber hinaus verschieden charakterisiert:

  • „der Chef“, extrem wortkarg, Pfeife rauchend
  • Plumpudding, ein Ire
  • Neunauge, Franzose, der Koch, will eigentlich nie mit auf Expedition
  • „der Graf“, Franzose, adlig
  • GG (der Große Geist), Deutscher, kann viele Sprachen
  • Figur, Deutscher, eher blaß und später durch eine andere, äh, Figur ersetzt

Neu ist, dass diese Abenteurer einander erst einmal nicht gut kennen, sich auch entwickeln, Rivalitäten zugeben und ausgleichen müssen – Bildungsgedanken und deutscher Selbstzweifel, den man bei Doc Savage nicht findet.

Und dann hat mich das Grundkonzept an so manche Rollenspielrunde erinnert. Beim Horror-Rollenspiel Chill (1984, damals mehrfach gespielt) werden die Charakter im Auftrag von S.A.V.E. (Societas Argenti Viae Eternitata) auf Abenteuer rund um die Welt geschickt, und davor gab es natürlich U.N.C.L.E. und solche Vereinigungen.

Dennoch, so richtig schwungvoll war das Lesen nicht, der Realismusanspruch tut dem Abenteuer nicht so gut; es ist doch eher ein Jugendroman, während Doc Savage für Junggebliebene war. Aber immerhin habe ich mein Wissen um Kafiristan wieder aufgefrischt, das mir schon mal in einem Völkerkundemuseum begegnet war.

Das Finale spielt in einer Höhle; Männer kommen herein. „Zwei hatten Lichtdolche. […] Schüsse knallten, die beiden Lichtdolche erloschen.“ Danach haben wir einen Mann, „der mit dem weißen Schein seines Lichtdolchs zu [den Helden] herableuchtete.“ Das Wort kannte ich so gar nicht, es war klar, dass es um Taschenlampen ging. Im Web habe ich so gut wie nichts unter diesem Suchwort gefunden, aber hier ist ein Bild zur Einordnung:

Nicht ganz die absurden technischen Spielereien von Doc Savage, aber immerhin etwas.


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Kommentare

12 Antworten zu „Herbert Kranz, In den Klauen des Ungenannten (1953)“

  1. Ja, die Umschlagseiten machen das ganze Unternehmen auch so wunderbar glaubwürdig für den jugendlichen Leser, steckt doch eine echte Gesellschaft im echten (aber in den Fünfzigern eben noch so fernen) London dahinter! – Ich habe früher mal darüber geschrieben: https://www.ats20.de/blog/index.php?/archives/67-Herbert-Kranz-und-Ubique-Terrarum.html (hm, Linkerkennung funktioniert nicht ganz; die Endung mit »..html« müsste mit verlinkt werden …).

  2. Ich fand die Reihe auch immer sehr attraktiv. „Schuldlos unter Schuldigen“ fand ich hervorragend. Es handelt sich um die Gefangenenbefreiung von einer Strafinsel. Genau dieser Band kostet auf ZVAB oder ähnlichen Plattformen sehr viel mehr als die anderen …

  3. @Hanjo, Linkerkennung: Die zwei Punkte vor dem „html“ stören die Linkerkennung, auch wenn sie dazu gehören. Der Link funktioniert auch nur mit einem Punkt, deshalb habe ich den zweiten entfernt.
    Schön, so einen alten Artikel hervorholen zu können! Und „Mission impossible auf katholisch“, das trifft es sehr gut.

    „Schuldlos unter Schuldigen“: 36 Euro plus Porto, in der Tat, und im Gegensatz zu Band 1 nur einmal vorhanden. Da war mein Band deutlich billiger.

  4. Ergänzung: Manchmal hilft Lesen … ;-) Beim ersten Kommentar von @hanjo ist der Hinweis, dass die Bände bei Book on Demand erneut überarbeitet veröffentlicht sind. Dort ist dann „Schuldlos unter Schuldigen“ für 15,90 € zu bekommen.

  5. Was für Parties sind denn das, wo man durch das Bücherregal des Gastgebers stöbert? :-)

  6. Akademiker- und Künstler-Haushalt, da darf man das. Ältere erinnern sich, früher war das üblich; Douglas Adams und John Lloyd nannten das in The Meaning of Liff „ahenny: the way people stand when examining other people’s bookshelves“.

  7. Für uns mittlerweile ein Qualitätskriterium – Parties bei Menschen die keine Bücher mehr in ihrer Wohnung haben verlassen wir so bald als möglich unauffällig.

    Die Stories von Herbert Kranz hab ich das letzte Mal vor ca. 50 Jahren gelesen. Hab durch deinen Eintrag hier wieder Lust drauf bekommen und muss doch glatt mal in den BoD-Shop schauen.

    LG

  8. Weniger Bücherregale an der Wand: Das wird es wohl immer öfter geben, und ich verstehe das auch, lese doch selber immer mehr digital. Was es braucht, ist Ersatz: entweder ein Riesenmonitor zum Blättern, oder ein schweres, buchförmiges Ding, das auf dem Wohnzimmertisch liegt und das man in die Hand nimmt und in dem man die digitale Bibliothek der Gastgeber angenehm durchstöbern kann.

  9. Norman

    Einfach Calibre-Server 24/7 online. QR-Code mit URL ans Regal.

  10. @Norman: Ich möchte allerdings nicht, dass die Gäste aufs Handy schauen, das wäre mir zu unkommunikativ, jedenfalls viel unkommunikativer als der leichter zu beobachtende Gang entlang der Bücherregale. (Der Server müsste nicht nur Titelbild und Buch, sondern eventuell auch meine Notizen und Links zu Wikipedia zeigen; das wäre sicher irgendwie machbar.)

  11. Norman

    Einen Cluster E-Ink-Displays senkrecht ins Regal stellen und mit Buchrücken befüttern.

  12. […] Dem pedalbetriebenen Generator für die größere Funkanalage war ich vor kurzem tatsächlich in einer Lektüre […]

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