Laura Ingalls Wilder, By the Shores of Silver Lake

(5 Kommentare.)

Band 1 der Erinnerungen in Jugendromanform (Blogeintrag) spielt im abgeschiedenen Wald in Wisconsin, hier erfährt man am meisten Details über das Leben abseits der restlichen Zivilisation. Band 2 ist chronologisch anderswann, in Band 3 siedelt sich die Familie in der Prärie des Indianerreservats an und verlässt es, als die Regierung das doch nicht wie angekündigt legitimiert. In Band 4 spielen die Nachbarn eine größere Rolle als zuvor, dann macht eine Naturkatastrophe die Zukunftspläne zunichte, außerdem zieht der Vater der Familie gerne um. Deshalb nimmt er gerne in Band 5 das Angebot an, für eine Eisenbahngesellschaft weiter im Westen den örtlichen Zahlmeister zu machen. Am Ende wird die Stadt De Smet im heutigen South Dakota gegründet, zu deren Einwohnern schließlich – wenn auch außerhalb wohnend – die Familie Ingalls gehört. (Ein junger Bursche namens Wilder taucht nur einmal am Rande auf, aber wenn man an den Nachnamen der Autorin denkt, wird das kein Zufall gewesen sein.)

Dazwischen erfährt man viel darüber, wie die Eisenbahnstrecke entsteht, erst in Plänen und Vorstellungen, dann in der Vermessung, dann beim sehr organisierten und ausführlich beschriebenen Abtragen von Erhöhungen und Auffüllen von Senken, bevor dann irgendwann einmal die Schienen kommen können:

First, someone had thought of a railroad. Then the surveyors had come out to that empty country, and they had marked and measured a railroad that was not there at all; it was only a railroad that someone had thought of. Then the plowmen came to tear up the prairie grass, and the scraper-men to dig up the dirt, and the teamsters with their wagons to haul it. And all of them said they were working on the railroad, but still the railroad wasn’t there. Nothing was there yet but cuts through the prairie swells, pieces of the railroad grade that were really only narrow, short ridges of earth, all pointing westward across the enormous grassy land.

Und wenn die Eisenbahnlinie steht oder zu erwarten ist, wird die Stadt gebaut, Brett für Brett:

Men were busily working on the new buildings all up and down Main Street. Shavings and sawdust and ends of boards were scattered on the muddy and trampled young grass in the street, and wheels had cut deep ruts through it. Through the frames of buildings that did not have the siding on yet, and down alleys between the buildings, and beyond both ends of the street, the clean, green prairie rippled far away and quiet under the clear sky, but the town was troubled and noisy with rasping saws and pounding hammers and the thud of boxes and sharp crash of boards unloaded from wagons, and men loudly talking.

[…]

More and more wagons came in every day. Teams and wagons pulled along the muddy street, past the windows. All day there was the noise of hammers and of boots and voices. The shovel gangs were leveling the railroad grade, the teamsters were unloading ties and steel rails. In the evenings they were loudly drinking in the saloons.

Das erinnerte mich sehr an eine der Zwischensequenzen aus The Martian Chronicles von Ray Bradbury, dessen erste Geschichten nicht mal ein Jahrzehnt nach Wilders Erinnerungen erschienen. In diesem Buch ist die amerikanische frontier ja in vielen Geschichten auf den Mars verlegt. Hier ist der Text aus dem Computerspiel zum Buch, 1995 von der Byron Preiss Multimedia Company herausgebracht und von mir damals in einer Buchhandlung erstanden. Das Spiel selber ist leider nicht besonders, aber die Zwischensequenzen, immer wieder auf verschiedenen Monitoren innerhalb der Spielwelt zu betrachten, finde ich nach wie vor sehr schön:

Das gleiche Thema ist auch bei den Dire Straits behandelt, in den 14 Minuten 18 Sekunden von „Telegraph Road“:

He built a cabin and a winter store
And he ploughed up the ground by the cold lake shore
And the other travellers came walking down the track
And they never went further, no, they never went back

Then came the churches, then came the schools
Then came the lawyers, then came the rules
Then came the trains and the trucks with their loads
And the dirty old track was the Telegraph Road

In diesem Teil der fiktionalisierten Erinnerungen Wilders geht es nicht mehr wie insbesondere im ersten Band darum, alleine in der Wildnis zurecht zu kommen, sondern hier entstehen Städte. Den ersten Mord gibt es auch. Es ist auch das erste Buch der Reihe, in dem „taxes“, Steuern, auftauchen, wenn auch nur in der Redewendung „Nothing is certain but death and taxes.“ In den Folgebänden wird das immer mehr so sein. Die Regierung – der USA? der Proto-Bundesstaaten, in denen sie sich aufhalten? – tritt bisher nur auf, wenn sie explizit oder implizit Land zur Besiedelung ausschreibt.

(Von der Gründung von Städten habe ich zum ersten Mal bei George R. Stewart, Names on the Land, gelesen. Darin geht es um die Geschichte der Namen von Orten, Flüssen, Bergen in den USA, sehr viel interessanter, als man meint. Hier mein Blogeintrag aus dem Jahr 2008 zum Thema Ortsnamen in den USA.)

An einer Stelle rätsele ich noch herum. Laura und ihre Schwestern entdecken das Konzept Fortsetzungsroman in der Zeitung anhand einer Geschichte aus dem New York Ledger. Die Geschichte beginnt so:

Laura began to read to them all a wonderful story, about dwarfs and caves where robbers lived and a beautiful lady who was lost in the caves.

Und jetzt will ich natürlich wissen, was das für eine Geschichte ist. Sie muss vor 1880 erschienen sein. Eher doch ein europäisches Märchen, oder etwas aus Tausendundeiner Nacht?


Beitrag veröffentlicht am

in

,

Kommentare: 5

Schlagwörter:

Kommentare

5 Antworten zu „Laura Ingalls Wilder, By the Shores of Silver Lake“

  1. Katrin

    Klingt sehr nach Schneewittchen bzw. die Vorläufer. In irgendeiner Version, vielleicht die italienische, ich bin nicht sicher, kommt Schneewittchen bei Räubern unter. Ich habe mal etwas über die Ursprünge der Märchen der Gebrüder Grimm gelesen. Leider weiß ich die Quelle nicht mehr.

  2. Schneewittchen, gute Idee, hat aber noch nichts ergeben. Aktuelle Spur: Es gab in der zweiten (?) Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA wohl eine Fülle an Fortsetzungsgeschichten. Bisher hatte ich mich nur mit penny dreadfuls aus dem UK beschäftigt, nie mit den USA. Allein diese Autoren:

    https://en.wikipedia.org/wiki/Emerson_Bennett
    https://en.wikipedia.org/wiki/Mary_Andrews_Denison
    https://en.wikipedia.org/wiki/E._D._E._N._Southworth

    haben viele Dutzend an Forsetzungsroman geschrieben, mit Erbinnen, gefälschten Testamenten, Verrat, Räubern, Italien, dem ganzen Arsenal. Das dürfte auch die Art Roman gewesen sein, wo der Schurke die Frau aufs Bahngleis fesselt und den Schnurrbart zwirbelt.

  3. Interessantes Detail. Im Netz findet sich folgendes:

    In the chapter “Happy Winter Days”, Mary brings home some issues from the New York Ledger, a popular family journal, containing a serially published story:
    “So while Ma and Carrie got supper, Laura began to read to them all a wonderful story, about dwarfs and caves where robbers lived and a beautiful lady who was lost in the caves.”
    I can’t find anything online about this story, or whether it might be a novel. In “Pioneer Girl,” Pamela Smith Hill notes that the New York Ledger featured “verse, moral essays, and fiction by such writers as Harriet Beecher Stowe, Louisa May Alcott, William Cullen Bryant, Alfred, Lord Tennyson, and Charles Dickens” (page 123).

    Quelle: https://textflight.blog/bible-quotes-in-little-house-books/

  4. Vielen Dank! Ich gehe gerade allen solchen Spuren nach. Bei Stackexchange habe ich das als Frage eingestellt und Reaktionen bekommen:
    https://literature.stackexchange.com/questions/27671/laura-ingalls-wilder-by-the-shores-of-silver-lake-whats-the-wonderful-story
    Daraufhin habe ich einen Roman aus dem Jahr 1847 gelesen und gleich verbloggt: https://www.herr-rau.de/wordpress/2024/08/charles-e-averill-the-corsair-king-or-the-blue-water-rovers-a-romance-of-the-piratical-empire-1847.htm
    Das hat mich allerdings so erschöpft, dass ich eine Pause mache, bevor ich mich an den nächsten Kandidaten mache. Aber Schätze gibt es da draußen, Schätze!

  5. Susann

    Wie toll, dass Sie dem nachgegangen sind – meine Schwester und ich haben uns schon als Kinder darüber gewundert, warum im New York Ledger plötzlich diese Märchenreferenzen auftauchen. Endlich ein jahrzehntealtes Rätsel gelöst! :-)
    Was wir an diesem Band auch als Kinder ungerecht fanden, war, wie die arme Laura an die Frauenrolle herangeführt wird. Die Mutter findet Lena ja als Umgang nicht so ganz passend, wildes Ponyreiten ist auch raus, dafür heiratet die Tochter der Wäscherin mit 13 (Laura und Lena finden das full ack), aus dem Schuppen im Bahnarbeiterlager sollen die Mädchen möglichst nicht rausgehen. Wir haben das als unfaire Einschränkung empfunden, denn wir wissen ja aus den vorangegangenen Bänden, dass Laura wenig Spaß daran hatte, drinnen zu sitzen und zu nähen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert