Ich blogge meistens dann, wenn ich etwas mitteilen oder festhalten möchte. Aber wenn mir eine Woche lang die Muße dazu gefehlt hat (weil: passiert ist ja doch immer etwas, draußen oder in meinem Kopf), dann schreibe ich halt einfach so, was los war.
Nur: wenn ich das noch wüsste. Ich komme zurecht, fühle mich weder gestresst noch überarbeitet, aber die Woche Ferien, die jetzt vor mir liegt, ist nötig, einfach um mal wieder meine Gedanken zu sortieren und die zeit bis Weihnachten zu planen. (In Deutsch, in Informatik ergibt sich die Planung eher von selbst.)
In Deutsch 13 habe ich letzte Woche den Anfang von Metropolis gezeigt, wir hatten ja gerade Expressionismus, und der Film gar nicht so schlecht an. Leider haben wir keine Zeit, mehr davon zu sehen, oder Caligari noch dazu. Diese Woche machten wir noch etwas Kafka und Parabeln zu Ende, bevor ich mir – zum Thema Film, hier: Stummfilm – eine Dreviertelstunde freie Interpretation des Lehrplans gönnte. Und zwar zeigte ich nach einer kurzen Einführung Ausschnitte aus dem ersten kommerziellen Tonfilm, The Jazz Singer (1927).
Entstehungsgeschichte:
- 1917 Samson Raphaelson ist von Auftritt des Entertainers Al Jolson fasziniert
- 1921 Raphaelson veröffentlicht Kurzgeschichte „The Day of Atonement“ mit fiktionialisierter Biographie von Al Jolson, in der es um viel Musik geht
- 1925 sehr erfolgreiche Dramenfassung der Kurzgeschichte, ganz ohne Musik
- 1927 die Filmfassung, teilsynchronisiert und mit Musik, mit Al Jolson
Man hatte gezögert, ob man Al Jolson für die Rolle nehmen sollte; er war nicht mehr der Jüngste und nicht mehr so ein Megastar wie zehn Jahre zuvor. Auch auf der Bühne hatte nicht er diese Rolle gespielt. Mit dem Film wurde er wieder zum Megastar. Dabei ist der Film ja nur teilsynchronisiert: Es gibt acht oder so Musiknummern, der Rest ist klassischer Stummfilm, wenn auch erkennbar kein expressionistischer. Man muss ja auch mal andere als expressionistische Stummfilme zeigen, um den Unterschied zu sehen.
Inhalt:
- Jacob „Jakie“ Rabinowitz soll in Familientradition Kantor werden.
- Er will aber lieber Jazz-Sänger werden.
- Er löst sich von Eltern und beginnt eine Karriere als Jazz-Sänger.
- Zwischendrin erinnert ihn ein Besuch bei einem Konzert des berühmten Kantors Yossele Rosenblatt (der sich selber spielt) an seine Vergangenheit in der Synagoge.
- Große Entscheidung: Tritt Jakie in der Premiere der Revue auf oder singt er in Vertretung und auf Wunsch des sterbenskranken Vaters doch das Kol Nidre zu Jom Kippur in der Synagoge?
- Jakie singt; der Vater stirbt; die Mutter ist versöhnt; die Karriere geht dennoch weiter.
- Der Film endet mit Jolson signature number: in Blackface, mit weißen Handschuhen, auf ein Knie sinkend, in einer schwarzen Klischee-Rolle seine schwarze „Mammy“ besingend.
All das sehr erklärungsbedürftig und sehr fremd. Darauf gebracht hatte mich ein Medley mit jüdischen Mama-Liedern, das Teil des Konzerts des Jewish Chamber Orchestra Munich, bei dem ich am Wochenende zuvor war. – Die Tradition des Blackface habe ich nur angerissen; ein Schüler erkannte die weißen Handschuhe der frühen Mickey Mouse wieder.
Ich war schon mal erleichert, dass die Klasse bei den Musiknummern nicht irritiert lachte; man muss sich ja doch an die noch sehr expressive Mimik Al Jolsons, die noch aus dem Stummfilm kommt, gewöhnen. Bei „Toot, Toot, Tootsie“ lobten sie sogar seine moves. Bei der Liedzeile „And if you don’t get a letter then you’ll know I’m in jail“ erinnerte ich an das kurz zuvor gelesene „Eine kaiserliche Botschaft“ von Franz Kafka erinnern, wo diese Zeile sehr gut hinpasst.
Und eigentlich müsste man noch „Brother Can You Spare A Dime“ von Al Jolson machen, und die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre, und O Brother Where Art Thou und Sullivan’s Travels, oder dann noch mehr Richtung Blackface gehen, und die Rolle schwarzer Musik, und Lindy Hop; oder The Great American Songbook (wo doch gerade der Lorenz & Hart & Hammerstein-Film im Kino läuft), oder Immigration und Judentum in den USA. Aber das ist ja kein Englischkurs, und ja auch keine Zeit: Jetzt erst mal Ferien.
(Die ersten vier Tage bin ich wieder beim jährlichen Rollenspielen und freue mich auf Bilder davon, die ich danach an meine Bürotür hängen werde.)
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