Im aktuellen Süddeutschen Magazin steht ein langer Beitrag über eine Rollenspiel-Schule in Dänemark, ich bin noch nicht zum Lesen gekommen, hole das aber nach. Von der Schule selber weiß ich schon was, in einem Buch habe ich einen Aufsatz dazu gelesen, nachdem mich ein Artikel im Magazin LARPZeit darauf gebracht hatte (Blogeintrag 2010).
Aber hier soll es heute um das klassische Pen&Paper-Rollenspiel gehen, oder, wie es früher hieß, „Rollenspiel“. Das musste man damals zwar bei jeder Erwähnung abgrenzen von jenen Rollenspielen, die man aus dem Jugendarbeitsworkshop oder anderen Treffen in Pfarrheimen kannte, aber anderes gab es nicht. Heute denken viele an LARP, das zumindest unter Schülern bekannter sein dürfte als klassisches Pen & Paper. In meinem W-Seminar zu Horror und Grusel ging es – natürlich – auch um H. P. Lovecraft, und damit dann auch zumindest in einem Nebensatz um das Rollenspiel, das nach seiner bekanntesten Kurzgeschichte benannt ist (auch wenn es stilistisch eher zu „The Dunwich Horror“ passt) und das maßgeblich für die Allgegenwart von HPL in der heutigen Populärkultur verantworlich sein dürfte: Call of Cthulhu.
(Hier ein ausgezeichneter und ausführlicher Artikel zur Entstehungsgeschichte von CoC und dessen maßgeblichen Autor, Sandy Petersen, der zehn Jahre später eine große Zahl der Levels von Doom entwarf, und wir wissen ja alle, welche Rolle Doom in der Geschichte der Computerspiele spielt.)
Neu an CoC war vor allem der Gedanke, das Spielfiguren nicht nur sterben, sondern auch wahnsinnig werden können. Körperliche Verletzungen war man aus anderen Spielen gewohnt, die heilten spätestens bis zum nächsten Treffen wieder. Bei CoC verloren die Spieler bei jedem grausigen oder übernatürlichen Erlebnis ein wenig von ihrem Zustand geistiger Stabilität, und wieder auffrischen konnte man das nur teilweise. Generell war jede Figur nach einem Spiel ein wenig angegriffener als zuvor. Dazu kam, dass die Höchstmenge an geistiger Stabilität abhängig war vom Wissen über das Lovecraft-Universum: wer viel alte Bücher liest, lernt viel, und ist fragiler. Und so traut man sich als Spieler gar nicht erst in dunkle Zimmer hinein, zieht den Vorhang lieber nicht zurück, flüchtet lieber gleich als zu genau hinzusehen – sehr stimmungsvoll.
Jedenfalls wollten einige Schüler wissen, wie das so geht mit dem Rollenspiel, und fragten, ob wir nicht mal eine Runde spielen könnten. Also gut.

Vier Spieler, ich als Spielleiter, 120 Minuten. Call of Cthulhu, Spielzeit: 1928. Das reicht gerade mal für einen Einstieg, üblicherweise dauert eine Partie vier Stunden, oder sechs, und zwar auch eher zwei oder drei solcher Sitzungen, oder acht. Es geht bei CoC ja auch ganz langsam los: Die Figuren kriegen erste Anzeichen geheimnisvoller Vorgänger, recherchieren, kriegen eine erste Warnung, haben es mit den ersten menschlichen Gegnern zu tun (wahnsinnigen Kultisten etwa), dann vielleicht ein klitzekleines scheinbar übernatürliches Phänomen (vulgo: Monster), und ganz am Ende, nach einem halben Jahr Spielzeit, trifft man vielleicht auf eines der ganz großen Monster. Das ist bei HPL dann aber auch von der Art, das man nur einmal hinzuschauen braucht und mit großer Wahrscheinlichkeit eh unrettbar wahnsinnig wird. Das kann nur beim Finale sein, nicht vorher.
Also spielten wir sehr zügig. (Oder kam mir das nur so vor, bin ich inzwischen langsameres Spiel gewohnt? Es kann sein, dass wir früher auch sehr viel schneller waren und Situationen sehr viel weniger ausspielten.) Ich teilte vorbereitete Charakterbögen aus, kurze Vorstellungsrunde, dann rasch ins Spiel, beim Recherchieren etwas nachgeholfen, ein kleiner Einbruch – mit etwas Glück kam ich gerade noch zu einem ganz kleinen Sanity-Verlust am Ende. Geschossen oder anderweitig gekämpft wurde nie.
Mir hat es Spaß gemacht. Ich habe das Spiel in den Weihnachtsferien vorbereitet, gründlich, da ich das in diesem Schuljahr dann gleich mit ein paar Kollegen spielen werden, die sich auch schon lange dafür interessieren. Vorbereiten, das geht dabei anders als früher, vor dreißig Jahren, als ich zuletzt CoC-Spielleiter war. (Man kommt sehr schnell wieder rein.) Heute hatte ich für viele Personen, die auftauchen würden oder auftauchen könnten oder auch nur vielleicht eine Rolle spielen würden, Fotos besorgt. Von historischen Orten – Bibliothek, Krankenhaus, Rathaus – hatte ich zeitgenössische Fotos gefunden, Grundrisse, Stadtkarten von Boston aus den 1920er Jahren. Auch zu den wichtigsten fiktiven Schauplätzen gab es Bilder. Das macht Spaß und schafft Atmosphäre.
Für Insider: Ich hatte das erste Kapitel der klassischen Kampagne Shadows of Yog-Sothoth vorbereitet und gleichzeitig eines der kleinen Einzelszenarios am Ende des Bandes. So war ich flexibel. Klar war das übervorbereitet, aber es hilft ja auch im Unterricht, einen großen Vorrat an Wissen und Möglichkeiten im Hintergrund zu haben, um flexibel die Stunde dann doch umplanen zu können, wenn sich der Unterricht in eine andere, lohnenswerte Richtung entwickelt. „Railroading“ mögen Spieler genauso wenig wie Schüler; die Illusion von Freiheit und einem open world game ist wichtig. Und so hätte sich das Spiel in die eine Richtung entwickeln können oder in die andere, ich habe ein paar Haken gesetzt, an denen ich neue Geschichten einbauen kann, Personen, die erst später eine Rolle spielen würden, oder auch nicht. Ein späteres Spiel würde es zwar nicht geben, aber man ist ja auch Künstler.
Die Schüler selber, noch unerfahren (hatten nicht mal eine Taschenlampe dabei, oder ein Seil!), aber besser darin, in character zu spielen als wir damals. Das macht das ganze Improtheater, das diese jungen Leute so treiben; ist zumindest an meiner Schule sehr populär.
Jetzt bin ich gespannt, ob die Lehrerrunde zusammengeht. Dann vielleicht an einem gemütlicheren Ort und mit mehr Zeit. So wie damals, im Haus in der Goldammerstraße in Haunstetten, wird es natürlich nie wieder werden.
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