In der 9. Klasse mussten die Schüler zwischen drei kurzen, jeweils kurz im Unterricht besprochenen Gedichten von Robert Gernhardt wählen:
- „Jammer“,
- „Der Tag, an dem das verschwand“ und
- „Trost und Rat“.
Lauter schöne Gedichte, die natürlich noch urheberrechtlich geschützt sind.
Die Merkleistung ist gering, aber die Schüler merken hoffentlich, dass es nett sein kann, ein paar Zeilen Gedicht auswendig zu können. Gernhardt mögen die Schüler auch.
Alle Gedichte muss man flüssig vortragen; zumindest die letzten beiden enthalten einen Wechsel im Tonfall (ein eingeschobenes: „Nun gut“ oder „Na wenn schon!“), auf den man beim Vortrag nicht verzichten sollte.
Bei „Der Tag, an dem das verschwand“ ist es der Buchstabe l, der verschwunden ist; die Schwierigkeit besteht darin, die leere Hebung in zwei Versen mitzulesen und nicht einfach ohne Pause darüber hinweg zu gehen. Außerdem darf man sich nicht verhaspeln, wenn man dann etwa sagt:
Der Tag, an dem das verschwand
da war die uft vo Kagen.
Die letzten Verse muss man ganz gekonnt unschuldig laut sagen:
Soang das nicht wiederkehrt,
muß aes Fickwerk bleiben beiben.
Ich glaube, die meisten Schüler haben das Wort „Fickwerk“ gar nicht richtig erkannt, sondern automatisch „Flickwerk“ ergänzt. Ich musste sie jedenfalls erst darauf hinweisen.
Man könnte Parallelgedichte dazu schreiben, bei denen ein anderer Buchstabe fehlt. Ist aber schwer. Wenn es wieder das l sein darf, könnte der Schluss lauten: „Nicht keckern, sondern kotzen“ oder irgendwas mit „Busen“.
Bei „Jammer“ lauten die ersten zwei Verse:
Ja wer wird denn gleich verzweifeln
weil er klein und laut und dumm ist?
Trochäische Vierheber, viermal im Wechsel betont-unbetont, betont die wichtigen Wörter: klein, laut, dumm. Die überraschende Wendung zum Finale ist die, dass man dann doch wenigstens daraus seinen Stolz schöpfen darf:
Ich war klein u n d laut u n d dumm.
Die schon im Original vorliegende Sperrung deutet bereits einen metrischen Sonderfall an: Hier werden tatsächlich die metrisch unbetonten Silben betont, also eine Art der musikalischen Synkope, wie sie mir sonst in der Lyrik noch nie begegnet ist. (Das ist nämlich nicht einfach der Ersatz eines Trochäus durch einen Jambus, so was gibt’s ja oft.) Auch darauf muss man beim Vortrag achten.
Mehr Gedichte von Robert Gernhardt gibt es zumindest zur Zeit bei Lutz Görner (rezitator.de), darunter auch „Trost und Rat“.
Gehört in jede Deutschlehrer-Bibliothek: Robert Gernhardt, Gedanken zum Gedicht. Vergriffen. Vier vergnügliche Aufsätzchen zu Gedichten. Auch als Begleitlektüre fürs Colloquium, damit es nicht immer der Enzensberger sein muss.
Auch zu empfehlen: Gernhardt, Gesammelte Gedichte. Ein schönes kleines Buch mit über tausend Seiten. Hab’s schon oft verschenkt.
Schreibe einen Kommentar