Respizienz heißt das, wenn die Fachbetreuer sich die schriftlichen Prüfungen ihrer Kollegen (in Kernfächern nur die großen Leistungserhebungen) anschauen.
Das sieht so aus: Der Lehrer lässt eine Schulaufgabe (=Test, große Leistungserhebung) schreiben, korrigiert sie und gibt sie nach spätestens zwei, ab der 10. Klasse drei Wochen den Schülern zurück. Damit hat der Lehrer, wenn ich mal von mir selber ausgehen darf, das Gefühl, seine eigentliche Arbeit erledigt zu haben, und geht den restlichen verwalterischen Aufgaben mit meist nur mäßigem Eifer nach.
Derer sind zum Ersten das Einsammeln der Prüfungen. Bei manchen Klassen dauert das tatsächlich nur Tage, bei anderen läuft man noch nach Wochen einzelnen Schülern hinterher – das hängt davon ab, wie viel Druck der Lehrer macht, wie wichtig es ihm ist.
Danach reift der Schulaufgabenstapel noch beim Lehrer, während der dem zweiten Teil seiner Aufgabe nachkommt: die Schulaufgaben kommen in einen Umschlag, auf dem Klasse, Thema, Notenverteilung und dergleichen notiert werden. Das Datum der Schulaufgabe darauf, das Datum der Rückgabe (das sich kaum ein Lehrer merken dürfte, also nimmt man einfach das erste Datum und addiert 14 Tage), noch ein paar andere Felder ausfüllen und unterschreiben. Vielleicht haben andere Schulen auch weniger vollständige Formulare. Außerdem kommen noch ein oder zwei leere Schulaufgaben-Angaben hinein und – je nach Schule, Fach und Gepflogenheit – eine Musterlösung und ein Erwartungshorizont.
All das führt dazu, dass die Schulaufgabe bestenfalls etwa zwei Wochen nach dem Rückgabetermin beim Respizienten landet (blitzschnell, kommt aber vor), manchmal zwei Monate danach, manchmal auch erst nach neun Monaten, also zum Schuljahresende.
Dann schaut sich der Respizient die Schulaufgaben an – auch das bestenfalls möglichst schnell, damit er dem Lehrer bald Rückmeldung geben kann. Manchmal dauert das allerdings auch länger. Von früheren Fachbetreuern, auch in anderen Fächern, bin ich gewöhnt, dass man gar keine Rückmeldung kriegt. Heißt das, dass man alles schon halbwegs richtig gemacht hat? Oder dass sich niemand das Zeug überhaupt angeschaut hat? Manchmal gibt es auch in der Fachsitzung eine pauschale Rückmeldung für alle Lehrer: sorgfältiger korrigieren, mehr auf Zeichensetzung achten, bitteschön nicht zu sehr von der üblichen Punkteskala abweichen.
Bei mir – ich bin Juniorfachbetreuer Deutsch – sieht das so aus: Ich schaue mir pro Schulaufgabe eine kleine Menge an Schülerarbeiten an. Mindestens eine gute, eine schlechte, eine mittlere; meist noch eine dazu, manchmal auch zwei, aber keinesfalls eine von jedem Thema und jeder Note – dafür ist diese Arbeit dann doch nicht wichtig genug. Wenn ich die Klasse kenne und neugierig bin, sind es mehr Arbeiten; ebenso, wenn mir etwas auffällt oder unklar ist.
Außerdem rechne ich oft den angegebenen Durchschnitt nach. Man sollte nicht meinen, wie oft da falsch gerechnet wird.
Bei den Schülerarbeiten achte ich darauf, wie sorgfältig korrigiert wurde, ob die Note zum Aufsatz und zur Begründung passt, ob das Thema mit dem Lehrplan vereinbart werden kann. Außerdem stelle ich fest, aber das bislang nur so vor mich hin, welcher Kollege den Genpool des Aufgabenordners mit neuem Material befüllt und wer sich wieder nur an den alten Themen bedient. Es gibt da eine Zeichnung zur Textsorte „Unfallbericht auf Basis von Zeugenaussagen“, die ich in meinem ersten oder zweiten Jahr an der Schule angefertigt habe und bei der ich mich jedesmal wieder freue, wenn ich sie sehe.
Kommentare und Ergänzungen von mir sind in grün. Ah! Schon zu meiner Schulzeit hieß es immer, grün sei die Farbe des Direktors. Daher kommt das also.
Dann tippe ich meine Erkenntnisse in ein Datenbank-Dokument: Schuljahr, Klasse, Lehrkraft, Textsorte und dergleichen; die Notenverteilung, den Durchschnitt, einige Dropdownfelder (Rückgabe: „angenehm rasch“, „rechtzeitig“, „verspätet“, „so verspätet, dass Konzept Respizienz ad absurdum geführt“); natürlich auch einen frei geschriebenen Kommentar. Dann zwei Exemplare dieser Seite ausdrucken, eines wird mit „Rau“ unterschrieben und kommt zum Schulaufgabensatz, der dann an die Schulleitung weitergeht; das andere wird mit „Thomas“ unterschrieben, eventuell mit zusätzlichen handschriftlichen Ergänzungen versehen. Dieses Exemplar kriegt der Lehrer als Rückmeldung in sein Fach gelegt.
Warum der Zettelkram? Weil ich ohnehin eine Rückmeldung für die Schulleitung verfassen muss, auch wenn die nur aus ein paar handschriftlichen Zeilen bestehen könnte. Und vor allem, weil ich es aufgegeben habe, die vielen Kollegen abzupassen und ihnen zwischen Tür und Angel etwas von einem Spickzettelchen vorzulesen – ich bin immer wieder mal nicht da, die sind immer wieder mal nicht da; es kann sich ziehen, bis man sich wieder mal begegnet.
Warum die Datenbank? Zum einen, weil ich ich mit Datenbanken (Open Office Base, das Quasi-Äquivalent zu MS Access) üben möchte. Zum anderen, weil es nicht mehr Aufwand macht, meine Bemerkung da hinein zu tippen als in ein Textdokument. Und vor allem deshalb, weil ich so einen Überblick gewinne – zum Beispiel darüber, in welchen Jahrgangsstufen nie eine 1 oder 6 gegeben wird.
Warum überhaupt Respizienz? Damit es eine Instanz gibt, die wenigstens halbwegs einen Überblick hat, welche Themen zu oft dran kommen, welche vielleicht gar nicht lehrplankonform sind, wie unterschiedlich die Kollegen korrigieren (oder auch nicht). Als Ansprechpartner bei schwierigen Entscheidungen. Viel ist aber reine Formsache.
Nachtrag 2021: Formal hat sich nicht viel geändert. Allerdings wird nicht jede Schulaufgabe mehgr gründlich angeschaut, sondern manche nur oberflächlich – ehrlich gesagt: das war schon immer so. Es sind immer weitere Aufgaben auf Fachbetreuung und andere zugekommen, so dass bei der Respizienz gespart wird. Schadet auch nicht. Außerdem werden immer mehr Prüfungen parallel geschrieben, bei uns in Deutsch insbesondere in 10, 11 und 12 und teilweise 9 – da kann man davon ausgehen, dass die Kollegen und Kolleginnen sich ja ohnehin absprechen.
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