Anrechnungsstunden sind eine heimliche Währung der Schule. Es gibt sie auch außerhalb Bayerns, dort heißen sie so ähnlich.* Wenn eine Lehrkraft eine Anrechnungssstunde hat, muss sie dafür eine Unterrichtsstunde weniger geben – und hat dafür eben eine andere Aufgabe gekriegt.
Der Schulleitung – zumindest am Gymnasium, die Spielräume an anderen Schularten sind kleiner – steht eine bestimmte Anzahl von Anrechnungsstunden zur Verfügung, abhängig von der Schülerzahl. Genaue Daten sind schwer zu bekommen. Diese Stunden kann sie an Lehrkräfte verteilen. Von den Stunden sind einige verbindlich festgelegt. Die Schulleitung hat zum Beispiel feste Anrechungsstunden, so dass sie – abhängig von der Schulgröße – nur noch vier oder nur zwei Unterrichtsstunden halten muss. Weiterhin gibt es eine feste Anzahl von Stunden – wiederum abhängig von der Schulgröße – gemeinsam für die Mitarbeiter der Schulleitung (darunter den Stellvertreter) und die Oberstufenbetreuer. Das sind, sagen wir mal, um die 40 Anrechungsstunden, aber wie die auf die beteiligten Personen verteilt werden, liegt im Ermessen der Schulleitung. Auch für die Personalräte gibt es zusammen eine bestimmte Anzahl von Anrechungsstunden, ebenso für die Verbindungslehrkräfte. Feste Stunden gibt es auch für Seminar-, Praktikums-, Beratungslehrkräfte, wohl auch Schulpsychologen. Wer sonst ein explizites Anrecht auf Anrechnungsstunden hat, weiß ich nicht – diese Informationen sind teilweise in jahrzehntealten KMBeks vergraben.
Übliche Verdächtige für weitere Anrechungsstunden sind: Mitarbeitende beim Jahresbericht oder bei der Homepage, Suchtbeauftragte, Medienwart, Fachbetreuung, Systembetreuung, Bibliotheksbetreuung, Sammlungsleitung, Stundenplanung, Unter- und Mittelstufenbetreuung, Vertretungsplanung. Das kann man im Prinzip für jede Art Aufgabe verteilen, die so anfällt. Man kann manche dieser Arbeiten auch unhonoriert lassen, dann werden sie natürlich weniger fröhlich oder gar nicht erledigt.
Welche Aufgabe mit wieviel Anrechungsstunden honoriert wird, ist von Schule zu Schule teilweise sehr verschieden. Ein Grund ist sicher die jeweils unterschiedliche Situation vor Ort, aber auch die Tradition spielt eine gewisse Rolle. Klar ist natürlich, dass keine Anrechungsstunden für Aufgaben verteilt werden, die originär zur Schulleitung und deren Mitarbeitern gehören, denn die sind ja schon mit dem festen Pool abgegolten.
(Es gibt dazu gelegentlich noch Anrechungsstunden, die aus einem anderen Pool als dem der Schule stammen. Zum Beispiel haben die Ministerialbeauftragten in ihrem Etat auch eine Anzahl davon, die sie Mitarbeitenden an den Schulen für bestimmte Zwecke zukommen lassen.)
Allen Schulen gemein ist der begrenzte Vorrat an Stunden. Allen Lehrkräften gemein ist die Überzeugung, mehr zu arbeiten als man eigentlich sollte. Tatsächlich ist auch die Mehrarbeit, die man mit manchen Jobs hat, durch die dafür gewährten Anrechungsstunden nicht ausgeglichen. Das bringt mich – als wäre es zufällig – zu meiner eigentlichen Frage: Wieviel muss ich eigentlich arbeiten für so eine Anrechungsstunde? Wieviel Arbeit macht, so rein zeitlich, eine 45-Minuten-Unterrichtsstunde eigentlich im Jahresschnitt, deren Äquivalent die Anrechnungssstunde doch ist?
In meinem Referendariat war ich in einer Schule mit angeschlossenem Internat. Dort galten 120 Minuten Hausaufgabenaufsicht als Entsprechung einer Unterrichtsstunde. Sagen wir mal, 110 Minuten Arbeit pro Woche sollten schon drin sein. Das wären dann bei einer Lehrkradt, die nur Anrechungsstunden hat, 44 Stunden Arbeitszeit pro Woche – und das gilt größenordnungsmäßig schon einigermaßen auch für eine Lehrkraft, die gar keine Anrechungsstunden hat, passt also ungefähr. In den Ferien ist dann ja weniger Unterricht.
Aber so einfach rechnen kann man vielleicht nicht immer. Ich kriege zum Beispiel eine Anrechungsstunde dafür, dass ich in diesem Jahr Fortbildungen gebe, sagen wir acht Stück davon, ganztägig, diese vorbereite und die Teilnehmer im Blended-Learning-Verfahren online betreue. Außerdem fahre ich dafür selber auf Fortbildungen. Wieviel Arbeits-/Anrechungsstunden entspricht das? Hängt das davon ab, ob die Fortbildungen an einem ansonst freien Tag sind oder ob meine regulärer Unterricht ausfällt, was man ja bei der Planung noch nicht wissen kann?
Und zuletzt kann mit Anrechungsstunden theoretisch auch besondere Qualifizierung honoriert werden – da greift in ganz kleinem Rahmen die Marktwirtschaft: wenn nur einer an der Schule sich mit einem Arbeitsgebiet auskennte, könnte der den Preis dafür in Anrechungsstunden in gewissen Grenzen aushandeln.
* Zum Beispiel Abminderungsstunden. Oder in Österreich: Dort wird wohl allgemein mit „Werteinheiten“ gerechnet. Interessant, wusste ich noch nicht. Ein Lehrer muss, glaube ich, zwanzig Werteinheiten pro Woche leisten, dabei entspricht eine Stunde Deutsch oder Englisch 1,167 WE und eine Stunde Chemie 1,050 WE. Sport ist 0,955 WE und und Bühnenspiel und Chorgesang nur 0,875 WE. Warum erfahre ich das erst jetzt? Das ist differenzierter als in Bayern, wo man im Aufwand nur zwischen Unter-/Mittelstufen-Sport, -Musik, -Kunst auf der einen und allen anderen Fächern und Wahlunterrichten auf der anderen Seite unterscheidet. In anderen Bundesländern (und dem von mir frequentierten Lehrerforum) gilt sogar: Du Sollst Alle Fächer Gleich Behandeln.
Schreibe einen Kommentar