Der Haltungsturner beklagt, dass seine Kinder kein Schulfach Informatik haben. Er hält Smartboards und Tablets und Suchstrategien im Web für wichtig und wünscht sich mehr davon, bemerkt aber, dass das nichts mit Informatikunterricht zu tun hat.
Manche der Kommentatoren dort, wenn ich sie denn recht verstanden habe, sehen eher die Notwendigkeit für eine neue Art Medienerziehung. Dass die jungen Leute mit einem Wiki umgehen können. Sachen suchen können im Web.
Das halte ich alles auch für wichtig. Das sind moderne Arbeitstechniken, die man beherrschen sollte. Dafür ein eigenes Fach “Medienkunde” einzurichten, wie es gelegentlich gefordert wird, halte ich für überflüssig. Diese Techniken müssen – und werden früher oder später auch – Einzug in die anderen Fächer finden, oder eben auch nicht, wenn sie sie als doch nicht so notwendig herausstellen sollten.
– Obwohl: Könnte man nicht ein eigenes Fach “Kompetenzkunde” einführen, in dem all diese Kompetenzen gepackt werden, so dass die anderen Fächer nichts mehr davon hören müssen? Denn darum geht es doch, wenn man Informatik und Medienkunde/Lernen 2.0 gegenüberstellt: Das zweite betrifft Techniken, das erste Wissen in einem klassischen Schulfach.
So ein Schulfach Informatik gibt es nicht in allen Ländern, als Pflichtfach noch viel weniger. In Bayern haben alle Schüler am Gymnasium in der 6. und 7. Jahrgangsstufe Informatik, und im technologischen Zweig verpflichtend in 9 und 10 mit der Option, das in 11 und 12 weiter zu belegen. (An den Realschulen gibt es leider weniger Informatik, weniger als vor den letzten Reformen.)
Würde ich anderen Ländern raten, auch ein Schulfach Informatik einzuführen, das heißt: mehr oder weniger als Pflichtfach? Ja, würde ich. – Man kann natürlich gegen Schulfächer an sich sein. Warum muss jeder so viel Mathe lernen, warum so viel Deutsch, warum muss beides sogar verpflichtend im Abitur geprüft werden, wie es zur Zeit der Fall ist? Warum kann nicht jeder das lernen, was er will? – Das ist ein anderes, auch sehr interessantes Thema. Aber hier geht es erst mal um Schulfächer, das heißt um Pflichtunterricht zumindest für einen Teil der Schüler, je nach gewähltem Zweig.
1. Ist Informatik wichtig genug für die Schule?
Klar. (Kann man je nach Schulart noch differenzieren, wenn man möchte.) Es gibt allgemeinbildende Aspekte der Informatik; kann ich auf Wunsch zusammenstellen aus Hubwieser, Didaktik der Informatik und ähnlichen Büchern. Außerdem hilft sie, sich in der digitalen Welt zurecht zu finden und sie bewerten zu können, und das ist die Welt um uns herum. Nebenbei ist es noch ein kreatives und praktisches Fach, von denen es zu wenige gibt, und der deutschen Wirtschaft kann es auch nicht schaden.
2. Ist Informatik so wichtig, dass dafür andere Fächer – zumindest in manchen Zweigen – zurückstehen müssen?
Das ist schon schwieriger. Bei Einführung des Faches Informatik in Bayern mussten notgedrungen andere Fächer Stunden abgeben. Nicht unbedingt die Fächer, die ich mir ausgesucht hätte. Aber das muss man diskutieren, und da gibt natürlich kein Fach gerne Stunden ab, weil sich jedes Fach für das wichtigste hält und die eigenen Lehrpläne dementsprechend aufgeblasen sind. Selbst Sport rühmt sich explizit der Förderung von Studierfähigkeit und ist nötig für einen verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Umwelt.
3. Kann der Mathelehrer nicht nebenbei ein bisschen Informatik machen?
Nein, wirklich nicht. So war das zu meiner Schulzeit, außerdem noch mit einem ganz anderen Schulinformatikansatz, als er heute verfolgt wird. Aber nein, bitte nicht; nicht wenn es wirklich um Informatik gehen soll.
4. Kann der Informatiklehrer nicht nebenbei ein bisschen was mit Wikis machen?
Damit komme ich zurück zum Wunsch, die Schüler sollten mit dem Web arbeiten lernen. Sollten sie wirklich. Im Informatikunterricht können und sollen Schüler lernen, wie das Internet aufgebaut ist, welche Protokolle es gibt, was Client-Server-Modell heißt. Aber wie man sucht und findet im Web, ein Wiki benutzt, sich in der Weböffentlichkeit verhält, das gehört eigentlich nicht zur Informatik, das gehört in jedes Fach. Informatiklehrer bieten sich lediglich dafür an, weil Schüler im Informatikunterricht zur Zeit noch eher Zugang zu Rechnern haben als in anderen Fächern, und weil Informatiklehrer keine Scheu vor Rechnern haben. Ansonsten sind Informatiklehrer nicht wesentlich netzaffiner als andere Lehrer, glaube ich. Auf Informatik-Fortbildungen treffe ich jedenfalls auf die gleiche Menge Skepsis, was Facebook, Twitter, Blogs, neue Lernmethoden betrifft.
Also: Ja, er kann, aber auch nicht besser als andere.
Exkurs: Wozu programmieren?
Informatik ist mehr als Programmieren, aber Programmieren sollte Teil des Informatikunterrrichts an Schulen sein. Das ist keine so selbstverständliche Forderung, wie es vielleicht klingt. In einer Mailingliste hat der Informatiklehrer Karl-Heinrich Meyberg seine Antworten geteilt auf die Schülerfrage, warum sie Programmieren lernen sollen (“Braucht man das später?”), und mit seiner Erlaubnis veröffentliche ich sie hier:
Nein, das Programmieren braucht ihr später nicht, es sei denn, ihr wollt oder müsst Computer programmieren.
Warum sollte man dann aber das Programmieren lernen?
- Man lernt, Problemstellungen zu durchdringen und Lösungen für Probleme zu finden.
- Man lernt, dass ein Programm (oder Rezept oder …) nur das macht, was man programmiert hat. Fehler treten unmittelbar (oder manchmal auch nach längerem Testen – wie im alltäglichen Leben) zu Tage und können berichtigt werden.
- Man lernt, dass (fast) jede Suche nach Lösungen mit vielen Fehlern verbunden ist.
- Man lernt, dass “Fehler-Machen” nicht schlimm ist, sondern wichtiger Bestandteil des Lernens und Forschens ist.
- Man lernt, dass es manchmal sinnvoll ist, ein komplexes Problem in immer kleinere Teilprobleme zu zerlegen, die dann relativ einfach gelöst werden können (top-down).
- Man lernt aber auch, dass es manchmal sinnvoll ist, vorhandene Grundbausteine zu komplexen Gebilden zusammenzusetzen (bottom-up).
- Man lernt, dass es sinnvoll ist, jeden Gedankenschritt zu testen und bei komplexen Denkschritten auch zu dokumentieren.
- Man lernt, zur Lösung eines Problems nicht nur einen einzelnen Weg zu suchen, sondern alle (so weit es geht) Wege zu beachten.
- Man lernt, wichtige Teilergebnisse in Modulen zusammenzufassen und bei Gelegenheit (wenn es angebracht ist) wieder zu verwerten.
- Noch viel mehr kann man beim Programmieren lernen, aber wichtig ist neben dem Lernen auch zu erleben, wie glücklich-stolz-froh-zufrieden-… man sein kann, wenn man trotz aller Schwierigkeiten, die sich einem in den Weg stellen, ein Problem selbst bewältigt hat. Das stärkt das Selbstbewusstsein und macht Mut, auch andere schwierige Probleme (auch außerhalb der Informatik) anzugehen.
Hier die Webseite von Karl-Heinrich Meyberg mit Materialien zu seinem Unterricht.