Gestern entwickelte sich eine kurze Diskussion bei Twitter, angestißen durch die Frage, wie schlimm es ist, wenn man als Informatiker oder Informatiklehrer „Ordner“ statt „Verzeichnis“ sagt. (Was heißt schon Diskussion? Für mich funktioniert das auf Twitter nicht. Da gibt man Meinungen von sich, im besten Fall prägnant und pointiert, und bald bestehen die 140 Zeichen zur Hälfte aus Tags der Anzusprechenden. Endete dann auch fast schon mit einem Kellnerpunkt.)
Die Frage ist nicht ganz so unwichtig, wie sie scheint. In der Didaktik geht es darum, welche Begriffe optimal für den Lernvorgang sind – manche hemmen, andere fördern ihn. Bei „Ordner“, so die Didaktiktheorie, geht es um die Fehlvorstellung, die sich bei Schülern entwickeln kann, dass in einem Ordner ja nur Dokumente enthalten sein können, wie bei einem echten Leitz-Ordner, und keine weiteren Ordner. Bei dem Begriff „Verzeichnis“ entstehe diese Fehlvorstellung weniger.
(Hintergrund: Bei Windows heißen die Verzeichnise zum Beispiele „Ordner/Folder“, bei Linux „Verzeichnis/Directory“.)
Im Prinzip halte ich das mit den Begriffen schon für wichtig. Deswegen mag ich im Deutschunterricht auch nicht das Wort „Imperfekt“, sondern nur „Präteritum“. Mit dem ersten Begriff wird, zumindest für die Grundschüler mit Sprachgefühl, eine Bedeutung transportiert, die dieses Tempus im Deutschen nicht hat. Als wäre da etwas nicht abgeschlosssen, unfertig, zweitklassig. (Dabei heißt das doch – noch grauslicher – die „1. Vergangenheit“, muss also wiederum etwas Besseres sein.) Da halte ich es für einen Vorteil, wenn die Fachbegriffe ganz bewusst aus einer unverstandenen Sprache kommen – eben weil sonst die Fehlvorstellung unterstützt wird, Tempus sei das gleiche wie Zeit oder Vergangenheit wie Präteritum. Die Schüler sind regelmäßig irritiert, dass im Deutschen die Zukunft wohl häufiger mit dem Präsens ausgedrückt wird als mit dem Futur.
Bei der Informatik liegt das insofern anders, als die meisten Begriffe dort Metaphern sind. Ordner ebenso wie Verzeichnis. Wenn ich in Windows das Verzeichnis lösche, ist nicht nur das Verzeichnis weg, sondern auch dessen Inhalt – dieses Verhalten passt wiederum besser zum Löschen von Ordnern. Wenn ich ein Verzeichnis verschiebe, verschiede ich auch dessen Inhalt, was man eher bei einem Ordner erwarten würde – andererseits geschieht beim Verschieben innerhalb eines Laufwerks tatsächlich genau das nicht; die Dateien bleiben auf ihrem Platz, es sieht nur so aus, als würden sie bewegt. (Deswegen geht das Verschieben innerhalb eines Laufwerks ja auch viel schneller als das auf ein anderes Laufwerk. Oder eine andere Partition.) Und ein Alltagsobjekt kann gleichzeitig nur in einem Ordner sein, aber in vielen Verzeichnissen. Wie ist das bei Festplatten. (Antwort: Es ist kompliziert.)
Tatsächlich glaube ich, dass es für Sechstklässler überhaupt keinen Unterschied macht, ob man „Verzeichnis“ oder „Ordner“ sagt. Was diese gelben Dinger sind, wird schnell klar, egal wie sie heißen. Ich bin aber auch als Strukturalist sozialisiert: die Bedeutung der Wörter entsteht aus ihrem Verhalten und aus ihrem Verhältnis zu anderen Wörtern, nicht aus ihrer Form. Dass auf dem Speichern-Knopf ein Disketten-Icon ist, irritiert Schüler ja auch nicht. (Hier allerdings die Ergebnisse des Projekts „Speichern unter“ der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart.)
Das ändert nichts daran, dass Fehlvorstellungen Probleme machen können. Auf unserem Schulsystem war aus vermeintliche praktischen Gründen ein bestimmter Ordner auf zwei Wegen erreichbar, mit zwei verschiedenen Laufwerksbuchstaben vorne dran. Prompt hat ein Kollege eines der beiden Verzeichnisse gelöscht, weil es ja doppelt war, und war dann überrascht, dass das andere auch weg war.
Sage ich „Feld“ oder „Array“? Der zweite Begriff ist – gerade für Englischlernende – mit nichts verbunden, führt also zu keinen Vorstellungen. Der erste weckt eventuell Vorstellungen: sind es förderliche oder schädliche? Manchmal mache ich mir die deutsche Bedeutung zunutze und erkläre Felder mit diesen Bildern, nachdem wir vorher mit einer Klasse „Blume“ gearbeitet haben:
(Weitere Metaphern gibt es auch, von der Schubladenreihe und dem Kistenstapel.)
Andererseits verwirrt der Begriff „Feld“ dann wieder einige wenige Schüler, die dem Begriff schon als Übersetzung des englischen „Field“ begegnet sind, das bei uns dann wieder Attribut heißt. Und vielleicht ist es besser, mit einem Begriff zu arbeiten, mit dem man erst mal nichts verbindet, also „Array“.
- „Schleife“ oder „Loop“ oder „Wiederholschleife“ oder „Wiederholung“ oder „Zyklus“? „Zyklus“ wäre schön, ist aber als Wort den Schülern zu fern. Schleife vermutlich. Allerdings rückt das in die Nähe der gefürchteten „If-Schleife“, und da wollen wir gar nicht erst hin. In der Unterstufe spricht man von „Wiederholung mit Anfangsbedingung“ und „Wiederholung mit fester Anzahl“, das ist für die Praxis wiederum recht lang.
- „Zeichenkette“ oder „String“, oder „string“? Gerne Zeichenkette.
- Gleitkommazahl, Fließkommazahl, Kommazahl, float oder real? Mir reicht Kommazahl, ansonsten Gleitkommazahl. Aber was das ist, kommt ohnehin erst viel später.
- „NP-hart“ oder „NP-schwer“? Da hat sich das erste durchgesetzt. Das ist eine Fehlübersetzung, aber fürs Verständnis dürfte das das geringste Problem sein.
- „Zeichen“ oder „char“? Zeichen, sonnenklar, aber die Aussprache von „char“ ist offen. Die meisten Schüler (und wohl auch Englisch-Muttersprachler) sprechen es wie das englische Wort „char“ aus, was Zugehfrau oder Holzkohle bedeutet, oft in Zusammensetzungen. Hat nichts mit „charming“ zu tun, klingt aber genau so. Mich schüttelt es dann immer. Es gibt auch die Ausprachen „care“ und „char-„, also wie erste Silve von „character“, wo es ja auch herkommt.
Nachtrag 8.1.2015: Gerade habe ich gesehen, dass der Lehrplan auch von Ordnern spricht und nicht von Verzeichnissen. Aber das soll und muss uns als klugen und selbst denkenden Didaktikern erst mal egal sein. (Man ist ja nicht nur Beamter.)
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