Im W-Seminar, das die bayerischen Schüler in der Oberstufe besuchen, sollen sie wissenschaftspropädeutisches Arbeiten lernen: Wie schreibt man eine Arbeit, wie bibliographiert man, wie sind Quellen zu beurteilen. Das gilt auch für die Auswahl an Werken, die als Sekundärliteratur herangezogen werden. Wikipedia ist zum Beispiel eine tolle Sache, aber keine zu zitierende Quelle – schon mal, weil eine Bedingung für das Veröffentlichen von Inhalten dezidiert ist, dass dort eben keine eigene Forschung veröffentlicht werden soll: Wikipedia articles must not contain original research. Alles, was bei Wikipedia behauptet wird, stammt aus anderen Quellen (die auch angegeben werden sollen, sonst kommt gleich ein Merker „citation needed“). Diese Quellen sind es, die man zitieren sollte. Schön an Wikipedia ist ja, dass diese Quellen auch angegeben sind.
(Schöner Artikel bei Slate über die Probleme, die die Wikipedia-Regel „Verifiability, not truth“ mit sich bringt: in Wikipedia gehört rein, was belegt ist, nicht was stimmt.)
Wie sieht es aus mit Experten, die man zufälligerweise privat kennt? Kann man die nicht einfach fragen und das dann in die Seminararbeit schreiben? Ja und nein. Macht schon was her. Aber wenn der Experte wirklich ein Experte ist, dann hat er auch, sagen wir mal, ein Buch zu einem Thema geschrieben oder Aufsätze dazu veröffentlicht, und sich mit den Behauptungen darin der kritischen Öffentlichkeit ausgesetzt. Ich als Laie kann meist nicht beurteilen, ob wissenschaftlich klingende Aussagen Quatsch sind oder nicht; deshalb muss ich mich darauf verlassen, dass es eine wissenschaftliche Gemeinschaft gibt, die sich gegenseitig kritisch beurteilt und korrigiert. Deshalb sind Aussagen dann wertvoller, wenn sie öffentlich zur Diskussion gestellt werden, also veröffentlicht.
Allerdings ist die Veröffentlichung noch keine Garantie dafür, dass ein Text zitierenswert ist. Spiegel online beschreibt hier ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass man alles veröffentlichen lassen kann. Slate amüsiert sich tränenden Auges über Zeitschriften, die gegen Geld unkontrolliert alles veröffentlichen, unter anderem einen seit Jahren kursierenden Fake-Aufsatz, der nur aus einer paar sinnlosen Grafiken und der steten Wiederholung von „Get me off Your Fucking Mailing List“ besteht. Es bleibt also schwierig.
Und dann muss man unterscheiden zwischen Monographien, Aufsätzen in seriösen Zeitschriften, Dissertationen, Masterarbeiten, Bachelorarbeiten und was es noch alles gibt. Das alles, finde ich, sollten Schüler in einem W-Seminar lernen.
Zum Üben bietet sich dieser Text an: „Zusammenfassung der wissenschaftlichen Referenzen“ zu Life Kinetik. Dort hat Horst Lutz die wissenschaftlichen Untersuchungen zu Life Kinetik zusammengefasst. Life Kinetik kommt, soweit ich das beurteilen kann, aus der Sportmedizin; durch bestimmte Übungen mit Jongliermaterial werden Gehirnzellen besonders trainiert (meine eigene unwissenschaftliche Paraphrase). Auch viele Bildungseinrichtungen setzen das ein. Für manche hört sich das toll an (Jürgen Klopp wird als Befürworter zitiert), andere sind skeptisch. Egal ob das Ganze nachvollziehbar klingt oder unglaubwürdig – ich kann nicht so einfach beurteilen, ob das funktioniert oder nicht, obwohl ich natürlich Vermutungen habe. Ich muss mich auf Aussagen oder noch besser: Untersuchungen von Fachleuten verlassen, am besten veröffentlichte. Diese Referenzen hat Horst Lutz zusammengestellt, und die könnte man jetzt sein W-Seminar anschauen lassen. „Soll Life Kinetik an unserer Schule eingeführt werden?“, wäre die Themenfrage, und man müsste sich anschauen, welche Arbeiten es gibt, die bei einer Antwort helfen können.
Ich habe mir die Untersuchungen jedenfalls mal angeschaut.
— Nachtrag: War vielleicht zu subtil. Ich habe jedenfalls keine Veröffentlichung gefunden, aus der hervorgeht, dass Life Kinetik unserern Schülern etwas Sinnvolles bringt. Es gibt etliche Untersuchungen, die bestätigen, dass das für die Ausübung eines Sports vorteilhaft ist – die habe ich mir nicht angeschaut, mir das nicht wichtig genug für die Schule ist. Zur kognitiven Entwicklung gibt es eine Untersuchung an Förderschülern (n=35) und eine Studentenarbeit, die allerdings sensationelle Erfolge vermeldet (n=42, davon zur Hälfte Kontrollgruppe, Grundschulalter – ob Seminararbeit, Zulassungsarbeit, Diplomarbeit konnte ich nicht herausfinden, die Arbeit ist unveröffentlicht). Das scheint mir ein wenig dünn.
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