Eine der ersten Unterrichtsstunden, die ich als beginnender Referendar mitansah, war bei meinem Seminarlehrer für Deutsch. Es ging um das, was damals in der 8. Klasse „Begründete Stellungnahme“ hieß und eine einfache Form des sachlichen argumentativen Schreibens war. Eine These, drei Argumente, die die These stützten, dazu Einleitung und Schluss. In dieser Stunde ging es konkret darum, wie man ein Argument aufbaut. (Die Dateien damit zählen zu den selbst erstellten Dateien auf meinem Rechner mit dem ältesten Änderungsdatum, März 1996.) Dazu gab es auf einem Arbeitsblatt eine Art vorgefertigte Stoffsammlung, und die Schülerinnen und Schüler mussten herausfinden, was sich als Behauptung eignet, was als Begründung, was als Beispiel.
Eine Folgestunde hielt dann ich in dieser Klasse und machte nach dem gleichen Prinzip weiter. Dazu gab es dieses Arbeitsblatt:
These: „Wir wollen eine Theatergruppe für die Mittelstufe“ (Brief an den Schulleiter)
(Unvollständige) Stoffsammlung:
- man lernt literarische Texte kennen
- den Eltern würden die Aufführungen auch gefallen
- Schüler würden lernen, schönes Deutsch zu sprechen
- Schüler würden lernen, sicher und selbstbewusst aufzutreten
- es würde uns Spaß machen
- wir könnten zeigen, was in uns steckt
- der Deutschunterricht wäre nicht mehr so langweilig
- wir würden lernen, Verantwortung zu übernehmen
- unser Selbstwertgefühl würde gesteigert
- man lernt, mit der Technik umzugehen oder Flugblätter zu entwerfen
- wer einmal ein Stück aufgeführt hat, vergisst es nicht so leicht wieder
- Die Eltern wären stolz auf uns
- Bereicherung des Schullebens
Ideen für:
Einleitung: Theatergruppe der Oberstufe, Aufführung am Donnerstag (28.3.96)
1. Argument: bringt viel für den Deutschunterricht
Überleitung: Doch schließlich lernen wir für das Leben, und nicht für die Schule. Wichtiger scheinen mir deshalb die vielfältigen Vorteile…
2. Argument: bringt viel für Entwicklung unserer Persönlichkeit
Überleitung: Davon haben nicht nur wir etwas, das wünschen sich auch unsere Eltern für uns. Eine Theatergruppe der Mittelstufe stellt eine Bereicherung des Schullebens dar. Unsere Eltern würden sich über die Aufführungen sehr freuen…
3. Argument: Bereicherung des Schullebens, Eltern freuen sich
Schluss: Ich hoffe, Sie von den vielfältigen Vorteilen einer Theatergruppe so dass…
(Redigiert insofern als ich: neue Rechtschreibung verwendet und Unterstreichungen durch andere Art der Hervorhebung ersetzt habe.)
Was mir in der Stoffsammlung ein wenig fehlt, sind noch konkretere Beispiele, die man einbauen kann. Froh bin ich allerdings, dass die Art Beispiel völlig fehlt, die ich immer und immer wieder lese und die von Kollegen auch munter propagiert wird: „Bei meinem Freund an der Nachbarschule gibt es auch eine Theatergruppe, und die sind sehr froh darüber.“ Häufig auch als: „Mein Freund war auch mal bei einem Schüleraustausch und seitdem sind seine Noten in Englisch viel besser geworden.“
Ein Beispiel dient meiner Meinung nach in einem Argument dazu, einen Sachverhalt zu illustrieren, damit man besser versteht, was gemeint ist. Nicht ganz klar? Dann nenne ich ein Beispiel: Die Behauptung „bringt viel für den Deutschunterricht“ könnte man begründen mit „man setzt sich mit einem Stück auseinander“, zum Beispiel „man überlegt sich genauer, was eine Person im Stück fühlt, wenn man überlegt, ob sie an einer Stelle laut oder leise reden soll.“ Noch konkreter ist ein Beispiel, wenn der Name eines möglichen Stücks genannt wird.
Oft sehe ich aber andere Beispiele, die tatsächlich eher ein verkapptes argumentum ad auctoritatem (oder ad verecundiam) sind: Bei meinem Nachbarn hat das auch funktioniert. Meine große Schwester hatte auch Erfolg damit. Nein, nein, dreimal nein.
Schreibe einen Kommentar