Zwei Gedankenaustausche bei Twitter letzte Woche, der erste zum Thema Aufsatzdidaktik: Schülerinnen und Schüler schreiben in allen Bundesländern Interpretationsaufsätze zu Dramen, Erzählungen, Gedichten. Dazu gehört dann jeweils eine Beschreibung der wichtigsten Phänomene – Erzählverhalten, Figurenkonstellation, Art der Äußerungen, Form, und die bekannten sprachlichen und stilistischen Auffälligkeiten. Das alles soll aber münden in eine eigenständige Deutung des Textes: Was bedeutet das alles denn nun? (Das ist eine ganz andere Frage als die, was der Autor damit wollte, wird aber oft damit verwechselt.)
Im Lehrplan heißt das: „Vor dem Hintergrund der Mehrdeutigkeit literarischer Texte entfalten die Schülerinnen und Schüler ein eigenständiges Textverständnis und begründen dieses textnah und plausibel.“
Vorgesehen ist das Arbeiten so, dass man zuerst eine Stoffsammlung anlegt, also – am besten schon strukturiert – Notizen macht. Dann legt man eine Gliederung des ganzen Aufsatzes an. (Die muss in Bayern mit bewertet werden.) Und dann schreibt man den Aufsatz.
Das an meiner Schule eingeführte Schulbuch sieht dazu vor, dass Schülerinnen und Schüler am Anfang des Hauptteils des Aufsatzes, also nach einer kurzen Einleitung, Ihre Deutungshypothese schreiben, und sie im Lauf der Analyse zu beschäftigen, um dann am Abschluss noch einmal (uh, glaube ich) zu bestätigen. Die Deutschlehrer an meiner Schule empfehlen dagegen, erst die Analyse vorzunehmen und diese am Ende in eine Deutung münden zu lassen.
Bei Twitter habe ich gefragt, wie andere Lehrer das halten:
Deutschdidaktik-Frage: Wohin soll man SuS empfehlen, die Deutungsthese bei Interpretationsaufsatz zu setzen?
— Thomas Rau (@Herr_Rau) 31. Mai 2016
Wenn ich die Deutungsthese nur am Schluss bringe, vermeide ich eine Wiederholung, und vor allem riskiere ich weniger, mich zu früh auf eine Deutung festzulegen, die nicht haltbar ist und auf die dennoch alles folgende hin mechanisch ausgerichtet wird. („Gedicht stammt aus dem Jahr 1918, ist also garantiert expressionistisch“ oder „das Wort ‚Vernichtung‘ taucht auf, es geht also um eine Warnung vor dem Dritten Reich“). Denn die eigentliche Interpretation eines Gedicht entsteht – vielleicht – ja erst beim Analysieren und beim Verschriftlichen der Gedanken, siehe auch Kleists Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“.
Andererseits: Wenn ich die Deutungsthese bereits am Anfang nenne, ist die Gefahr geringer, dass ich danach ziellos und mechanisch Beobachtungen aneinanderreihe, die letztlich mit der späteren Deutung nichts zu tun haben. „Im Gedicht überwiegen männliche Kadenzen.“
Hauptberufliche Didaktiker haben sich bei der Umfrage leider nicht zu Wort gemeldet, die sagen vermutlich nur so wenig Hilfreiches wie „Man muss die Schülerinnen und Schüler dazu bringen, dass sie selbst entscheiden können, wie sie ihren Aufsatz aufbauen und wo sie ihre Deutung platzieren.“
Ganz früher war ich ein Vertreter der Deutung-nach-vorn-Schule. Dann die letzten Jahre über: Deutung nach hinten. Inzwischen kehre ich wohl wieder zurück. Es ist wohl doch nicht so, dass Schülerinnen und Schüler ihre Gedanken beim Schreiben entwickeln; die Analyse hat dann doch zu wenig mit der darauffolgenden These zu tun. Zwingt man sie, am Anfang ihre Hosen an den Mast zu nageln (uh, gibt diese Redewendung nur auf Englisch? bin schon, uh, sehr im Feierabend), dann überlegen sie vielleicht tatsächlich schon lange vor dem Schreiben, worauf sie hinauswollen.
– Zweitens eine kurze Diskussion zu Schulwebseiten. (Gibt es dazu eigentlich schon Forschung? Sollte leicht zu machen sein und klingt interessanter als die Befragungen, die im Lehrerforum immer wieder auftauchen.) Adressaten von Schulhomepages sind: die eigenen Schüler, die eigenen Eltern, die vorgesetzte Behörde, fremde Eltern und Schülern, die eigenen Lehrer. Für wen sind die Beiträge auf der Homepage jeweils gedacht, und wen erreichen sie wirklich? Ich bin ja sehr skeptisch, was die Reichweite von Homepages betrifft. Vertretungsplan und Mensa-Speisezettel sind für Schüler interessant, sonst eher nichts. (Allerdings: Umfrage mit Kommentarmöglichkeit wird tatsächlich gut genutzt.) Was interessiert die Eltern der eigenen Schule; wie groß ist der Werbe-Effekt im Vergleich zu anderen Schulen wirklich? Ist es gut oder schlecht, wenn Schulen über ihren Webauftritt in Wettbewerb miteinander treten, oder passiert das gar nicht? Ich denke manchmal, am ehesten interessieren sich noch die vorgesetzten Behörden für Homepages. Jedenfalls werden die bei Ministerialbeauftragten und externer Evaluation regelmäßig angeführt.
Schreibe einen Kommentar