Das Abitur in Bayern: Es wird zentral gestellt, aber an den Schulen vom jeweiligen Fachlehrer korrigiert; eine zweite Lehrerin an der Schule ist Zweitprüferin der Klausuren; die beiden einigen sich auf eine Note. (Können sie sich nicht einigen, wird ein dritter Prüfer herangezogen.) Es gibt in drei Fächern schriftliche Klausuren, im Anschluss daran mündliche Prüfungen in zwei Fächern. Die erste der schriftlichen Prüfungen war traditionell Deutsch, vielleicht aus historischen Gründen, vielleicht weil die Korrektur dieser Aufgaben am längsten dauert.
Inzwischen ist die Reihenfolge aber offen, und das liegt daran, dass immer wieder Teile der Aufgaben bundeslandübergreifend gestellt werden. Und damit müssen diese Prüfungen natürlich am selben Tag stattfinden, und das wird erschwert durch die unterschiedlichen Ferien- und Schuljahrestermine in den veschiedenen Ländern.
Und so begab es sich, dass die Abiturprüfungstermine für 2017 so festgelegt wurden:
- 03.05.2017 Mathematik
- 09.05.2017 Deutsch
- 12.05.2017 3. Fach (häufig und zum Beispiel Englisch)
- 22.05. – 26.05.2017 1. Mündliche Prüfung
- 29.05. – 02.06.2017 2. Mündliche Prüfung
Damit hätten die Lehrer und Lehrerinnen in Bayern je nach Fach etwas mehr oder etwas weniger als drei Wochen Korrekturzeit gehabt; an diese hätten sich die Pfingstferien angeschlossen, in denen die Zweitkorrektoren die Klausuren bearbeitet und mit den Erstprüfern besprochen hätten.
Denn als Termin für die Bekanntgabe der Noten war der Montag nach den Pfingstferien festgelegt und mitgeteilt worden: der 19.06.2017.
Das ist jetzt aber nicht mehr so. Am Freitag, 10.02.2017 hat das bayerische Kultusministerium die Gymnasien informiert, dass die Ergebnisse bereits am 02.06.2017 am Nachmittag mitgeteilt werden müssen, das ist der Freitag vor den Pfingstferien. Hier die Pressemitteilung des Kultusministeriums: Nach „eingehender Prüfung“ habe man „pädagogische Erwägungen“ vorgenommen und danke jetzt „allen, insbesondere den betroffenen Lehrkräften, für die Bewältigung der mit der Terminverlegung verbundenen Auswirkungen.“
Denn die Lehrer und Lehrerinnen sind alles andere als begeistert. Für eine reguläre Klausur hat man laut Schulordnung drei Wochen Korrekturzeit, und für diese Abiturprüfung hat man jetzt weniger als das – obwohl die Prüfungen umfangreicher und wichtiger sind und nach der Korrektur noch die Korrektur durch den Zweitprüfer erfolgen und mit diesem besprochen werden muss.
– Was waren das für „pädagogische Erwägungen“ des Kultusministeriums, die zu dieser Entscheidung geführt haben? Ich vermute, dass es keinesfalls nur solche waren. Vielmehr gab es eine vom Kultusministerium nicht erwähnte Petition, die am 05.02.2017 um eben diese Terminverlegung bat:
https://www.openpetition.de/petition/online/abi-nomtenbekanntgabe-am-2-juni (Tippfehler bereits im Original).
Die Petition wurde etwa 25.000 mal unterschrieben, zum Großteil von Bürgern aus Bayern. Eingereicht wurde die Petition von Schülerinnen und Schülern; den Text der Petition und Pro-Contra-Kommentare dazu kann man durchaus mal lesen. Die Kurzfassung: Wenn man erst nach den Ferien seine Noten erfährt, und danach erfährt oder entscheidet, dass man in die mündliche Ergänzungsprüfung in einem oder mehreren Fächern muss, dann bleibt zu wenig Zeit zur Vorbereitung darauf – diese Prüfungen finden tatsächlich in der Woche nach den Ferien statt. Sie sind verpflichtend für die Schülerinnen und Schüler, die bei den schriftlichen Abiturprüfungen zu schlechte Ergebnisse hatten und sie verbessern müssen, um das Abitur überhaupt zu bestehen. Und im Vergleich zu früheren Jahrgängen fühlen sich die Petitionseinreicher dadurch benachteiligt.
Meine Beurteilung des Verhaltens der Petitionsunterzeichner:
Den Vergleich mit früheren Jahren halte ich für zu simpel; in früheren Jahren war die Gewichtung schriftlicher zu mündlicher Noten auch 2:1 statt wie jetzt 1:1 – da hat sich auch keiner beklagt, dass es jetzt leichter ist, gute Noten zu kriegen und überhaupt bis zum Abitur zu kommen. Mich stört, dass die Ergänzungsprüfung, die eigentlich als Maßnahme für den Notfall gedacht war, jetzt schon bereits vorher mit eingeplant wird. Ich kenne keinen Statistiken, wie viele Schüler in Bayern in diese Prüfungen gehen, ich nehme mal an, Tendenz steigend. (Dazu passt auch, dass immer mehr Schüler schon sehr früh planen, die 11. Jahrgangsstufe als Versuchsballon zu besuchen – deren Wiederholung wird schon eingeplant, bevor sie nötig ist.) Allerdings finde ich es gut, wenn Schülerinnen und Schüler Werkzeuge wie Petitionen kennen und nutzen.
Meine Beurteilung des Verhalten des Kultusministeriums:
Pädagogische Erwägungen, my foot. Es ist Wahljahr und man will nichts riskieren, und die Rechtsabteilung warnt sicher davor, irgendwem irgendwas zu geben, was irgendwie der Anlass zu einer Klage sein könnte. Bloß nicht noch mehr schlechte Presse in der Bildungspolitik.
Meine Beurteilung des Verhalten der Schulleitungen:
Man wünschte sich, die würden wenigstens beim Kultusministerium anrufen und sich beschweren. Aber Behördenleiter denken da realistisch, fürchte ich. (Mit meiner Schulleitung habe ich noch nicht gesprochen, versteht sich.)
Wie es weitergehen wird:
(Reines Raten meinerseits. Ich bin eh nur am Rande betroffen.) Die Verbände werden darauf hinweisen, dass das aber nicht schön ist. Das Kultusministerium wird den Schulen erlauben, den korrigierenden Lehrkräften falls nötig einen Tag frei zu geben für die Korrektur, wobei der Unterricht dieses Tages dann von anderen Lehrkräften zu vertreten ist. Diese werden sich ärgern. Die Lehrkräfte werden ein wenig schneller und weniger sorgfältig korrigieren als sonst, die Noten werden zum Ausgleich nicht schlechter werden, die Zweitprüfer werden nur pro forma kurz über die Arbeiten schauen. Das lässt sich alles schon irgendwie regeln. Man wird mit dem Gedanken spielen, die mündlichen Ergänzungsprüfungen dann besonders schwer zu machen, aber das natürlich nicht umsetzen. (Ernsthaft und völlig unironisch.) Der Respekt der Lehrer vor dem Kultusministerium wird nicht weiter sinken, weil das nicht geht, und dem Kultusministerium wird das egal sein und egal sein dürfen.
Schreibe einen Kommentar