Wenigstens weiß ich jetzt, was mich dazu bringt, mich auf Twitterdiskussionen einzulassen. Hintergrund ist vordergründig die Diskussion um den Datenschutz, im Mittelgrund geht es um die Frage, ob man an Schulen mit Microsoft Teams arbeiten soll oder nicht (in Bayern eine durch Entscheidungen des Kultusministeriums akute Frage), und tatsächlich geht es ums Rechthaben und Haltungen.
Auslöser war dieser Tweet des geschätzten Tobias Schreiner, Schulleiter, Bayern, mit digital sehr aktiver Schule:
Die Aufforderung, irgendetwas zu facen, reizt mich oft und reizte mich auch hier zum Widerspruch, und wir diskutierten mittel- oder vielleicht nur viertelheftig. (Also, eigentlich streitet man auf Twitter und diskutiert weniger, aber das Wort hält sich aus historischen Gründen.) Mich störte das pauschale: „Ohne die Nutzung kommerzieller Tools wäre das nicht möglich gewesen.“ Wer weiß? Traue ich Tobias zu, das zu wissen? Es gibt gute Gründe, auf Microsoft oder Google zu setzen. Aber dass es ohne nicht geht, dass kann ich mir nicht vorstellen. Und ja, es stimmt auch: vom Temperament her mag ich mir das auch nicht vorstellen, und das Temperament kommt zuerst und danach die Rationalisierung. Aber wenn der Tweet gelautet hätte: „Da schaut her, was wir mit kommerziellen Lösungen schaffen“, dann hätte ich ihn vermutlich überlesen, oder neidvoll auf die Leistungen geschaut – die mich inspiriert hätten, es Tobias‘ Schule gleich zu tun.
Tatsächlich reizen mich alle bildungspolitischen Vorschläge zum Widerspruch, die Alternativlosigkeit propagieren, und das oft nicht nur für die eigene Schule, sondern für das gesamte Schulwesen oder eine ganze Generation von Schülern und Schülerinnen oder Kollegien. Schulen sind aber unterschiedlich. An meiner Schule arbeiten wir seit zehn Jahren mit einem Onlinesystem zur Notenverwaltung und Kommunikation. Auch Mebis (und vorher Moodle) ist relativ stark vertreten, wir arbeiten mit Online-Vertretungsplan und -Absenzenverwaltung (in der Oberstufe). Und wir fluchen heftig über all diese Systeme, ich auch.
Aber das führt halt auch dazu, dass wir es halbwegs gewohnt sind, mit verschiedenen Systemen zu arbeiten. Je ein Passwort für Mebis, lokale Rechner/Schulcloud, Kommunikationsportal, Vertretungsplan… und die Schulhomepage hat auch noch eines… wir fluchen, aber es geht. Nach und nach geht man dazu über, die Passwörter halt doch irgendwo und irgendwie zu verwalten… uns kann man da vielleicht eher noch ein weiteres Passwort zumuten. Andere Schulen finden andere Lösungen: Gerne.
Ich halte das Umgehen mit verschiedenen Accounts übrigens für ein Kennzeichnen informatischer Bildung. In der Praxis habe ich auch kein Problem damit, im Web bei vielen verschiedenen Diensten und in vielen Foren angemeldet zu sein. Allerdings muss ich mich schon fragen, ob ich mich lediglich einem schlechten System angepasst habe, und ob nicht ein zentrales Identitätsmanagement mir lieber wäre. Ich denke noch darüber nach.
Unabhängig davon halte ich die Möglichkeit, viele verschiedene Programme verwenden zu können, für wichtig:
Wenn ich ein Bild mal eben bearbeiten möchte, nehme ich GIMP oder Paint oder Picasa (so alt bin ich) oder was auch immer auf dem Handy gerade da ist. Für Spezialfälle habe ich spezielle Programme, und Vorlieben, aber ich käme nie auf die Idee, mir ein Programm zu wünschen, das alles kann, so dass ich dann nur dieses Programm brauche.
Hauptsache praktisch!
Die Frage ist nur, beim Identitätsmanagement wie bei den Programmen, wie man das auf die Schule herunterbrechen soll: Sollen die Schüler und Schülerinnen erst mal mit dem vorgegebenen Werkzeug möglichst schöne Sachen machen können, oder sollen sie möglichst unter verschiedenen Werkzeugen auswählen können? Man muss sicher keine Extremposition einnehmen, irgendwo dazwischen geht auch. Und auch wenn das Ziel die Souveränität über das Werkzeug ist, heißt das nicht, dass man nicht am Anfang die Auswahl eng beschneiden kann.
Freie Fahrt für freie Lehrer!
Tobias‘ Tweet oben war ja eine Unterstützung von diesem Tweet:
Der vergleicht die Pingeligkeit mancher Lehrkräfte, was Datenschutz oder Markenabhängigkeit oder kommerzielle Software betrifft, mit der Automobilindustrie: Da wäre es absurd, ähnliche Bedenken zu tragen. Wenn man da auch diese Ansprüche hätte, gäbe es vielleicht sicherere Autos, aber viel zu wenige und zu spät; die Menschen müssten vorerst zu Fuß gehen und man könnte mit dem Auto nicht ins Ausland fahren.
Ich vermute, dass sich der Tweet über die Bedenkentragenden unter den Lehrkräften lustig macht? Ich bin aber nicht gut mit Ironie. Der Tweet liest sich dann so wie „Freie Fahrt für freie Lehrer“, wir brauchen keine Bevormundung durch Datenschutz und Besserwisser. Tatsächlich finde ich den Gedanken gar nicht so reizlos. Denn ja, ich glaube, wir denken immer noch zu wenig über Autos und Individualverkehr nach, und wenn wir mehr zu Fuß gingen – oder Fahrräder und ÖPNV nutzten -, dann wäre das vielleicht nicht die absurde Idee, als die sie hier dargestellt wird.
Worauf mit einem anderen Twitterer eine kurze, freundliche, friedliche Diskussion über die Zukunft des Individualvekehrs begann – friedlich wohl auch deshalb, weil beide alle Argumente schon gehört hatten und sie nicht wiederholen mussten und keiner Pauschalurteile treffen wollte. Aber da fiel mir die Ähnlichkeit zwischen Computernutzung an Schulen und Autos erst richtig auf, insofern ist der Ausgangstweet ein Glanzstück:
Ich habe und brauche … weil die so gelobten [Alternativen] …. in keinster Weise meinen Anforderungen und Fortbewegungsszenarien entsprechen. Deswegen könnte ich gar nicht darauf verzichten, selbst wenn ich wollte.
Das passt auf Alternativen zum Privat-PKW wie zu Alternativen für Schul-Microsoft. Ich will nämlich keinem sein Office 365 wegnehmen und keinem seinen Privat-PKW, ehrlich nicht! Manche brauchen das eine oder andere ganz sicher, und können nicht darauf verzichten! Aber ich habe den Verdacht, dass das nicht für alle Autobesitzer und Teamsbefürworter in meiner Umgebung gilt. Und ja, das bedeutet, dass man Städte anders planen und den ÖPNV verbessern muss (und ja, nochmal, ganz ehrlich, ihr dürft euer Auto behalten, wo der ÖPNV nicht funktioniert) und ja, auch seine Fortbewegungsszenarien anpassen muss. In beiden Fällen muss man wählen zwischen „Hauptsache praktisch“ und einer Perspektive, die auch auf die Zukunft gerichtet ist. In beiden Fällen gehöre ich eher nicht zu den Pragmatikern – Temperamentsache, wieder.
(Microsoft und Teams steht hier nur stellvertretend für anderes auch, Google ist nicht besser; aber Teams ist halt gerade aktuell – das Kultusministerium hatte es freigegeben, während der Schulschließungszeit, für ein halbes Jahr, und jetzt wird gestritten, ob es trotz Datenschutzbedenken weiter zu verwenden ist oder nicht. Das war abzusehen.)
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