
Als Kind habe ich irgendwann eine Schablone wie diese in einer Schublade im Wohnzimmer entdeckt, ähnlich in Umfang und Anordnung und in der gleichen Farbe, und ich habe sie munter für eigene Zeichnungen verwendet, bis sie dann wohl doch einmal kaputt war. Erst jetzt weiß ich, wofür die war und wo die herkam. Meine Mutter war so etwas wie Programmiererin. Warum die Einschränkung? Weil ich zu wenig darüber weiß, und das sicher wenig mit heutiger Programmierung zu tun hat. Aber ja, das hieß so. Und das will ich in ein paar Blogeinträgen erklären.
Die Jahre meiner Mutter mit den Buchungsmaschinen
- Nach der Handelsschule (die, glaube ich, der heutigen bayerischen Wirtschaftsschule entspricht) absolvierte meine Mutter eine kaufmännische Lehre und arbeitete bei zwei alteingesessenen Augsburger Firmen, von denen es eine noch heute gibt, in der Buchhaltung. Grundbegriffe der Buchhaltung (Soll, Haben, Konto, Saldo) lernte sie bereits in der Schule.
- 1960 wechselte sie als “Instruktionshilfe” für 337 DM Tariflohn + 38 DM Leistungszulage zur National Registrier Kassen G.m.b.H, der deutsche Tochter von NCR. Augsburg war “‘Stadt der Registrierkassen’, das Werk in Kriegshaber war das größte seiner Art in Europa.” (Wikipedia)

- 3 Monate Probezeit, danach Kündigungsfrist bis Monatsende; Verpflichtung auf 2 Jahre
- gleich danach 5-6 Wochen Lehrgang: dafür 3 DM Spesen an Wochentagen, 7 DM an Sams-, Sonn-, Feiertagen; Hotel und Mittagessen Mo-Fr zahlt die Firma
- Ihre Aufgaben waren am Anfang diese – was Buchungsmaschinen sind, versuche ich später zu klären:

- 1964 wurde meine Mutter auch wegen ihrer überdurchschnittlichen Leistungen in die zentrale Programmiergruppe im Werk Augsburg versetzt. Dort ging es um die “Programmierung von Datenerfassungssystemen mit Lochkarten- und Lochstreifenausgabe, sowie von mittleren Datenverarbeitungsanlagen.” Mittlere Datentechnik, das hört man heute auch nicht mehr viel: Das waren nicht die zimmergroßen Großrechner für die Forschung, sondern die schrank- oder schränkchengroßen Geräte für Banken und Mittelstandsfirmen, jeweils spezialisiert auf bestimmte Aufgaben.
- 1967 wurden mein Bruder und ich geboren, meine Mutter schied aus dem Beruf aus.
- 1970 – 1974 (wir waren inzwischen im Kindergarten) Wiederaufnahme der Arbeit in der Abteilung “MDT/Programmierung und Software als Senior-Systemprogrammiererin”, Arbeiten vor allem mit der NCR 399 – zu diesen Geräten später mehr.




Fußnote: Das erinnert mich alles ein bisschen an den Film The Desk Set/Eine Frau die alles weiß (1957; Wikipedia) mit Katherine Hepburn und Spencer Tracy – er als Verkäufer von Computersystemen, sie als Leiterin einer Abteilung, die dadurch bedroht ist. Für mich die Erstbegegnung mit einem lateral thinking puzzle (Romeo und Julia) – mein Erstbeleg bisher ist Robert Benchley 1936.
Jetzt aber endlich zu den Buchungsmaschinen
Es gab einmal ein Zwischending zwischen Rechenmaschine und Computer: die Buchungsmaschine (Wikipedia). Eine Rechenmaschine kann addieren und vielleicht noch weitere Rechenarten, sie kann mechanisch oder elektromechanisch oder elektronisch sein, ist letztlich ein mehr oder weniger vielfältiger Taschenrechner. Ein Computer zeichnet sich dadurch aus, dass er programmierbar ist und demnach verschiedene Programme ausführen kann. Er macht die Berechnungen dann automatisch. Nach modernem Verständnis erfolgt die Programmierung, ohne dass man irgendwelche Kabel umstecken muss, also allein durch Software, und der Computer sollte außerdem alles berechnen können, was man überhaupt berechnen kann. (Das gilt nämlich nicht für frühe Geräte.) Und eine Buchungsmaschine ist eine Art Kombination von Drucker und Taschenrechner, oder eher ein eingeschränktes Tabellenkalkulationsprogramm: man gibt vorher festgelegte Daten ein, die Maschine berechnet sie auf vorher eingestellte (aber technisch anpassbare) Weise und gibt jeweils das Ergebnis aus.
Verwendet wurde so ein Gerät zum Beispiel für die Buchhaltung (verschiedene Arten von Einnahmen und Ausgaben, Saldo, Zwischenrechnungen) oder die Verwaltung von Gehaltskonten. Eine Broschüre beschreibt die dafür nötigen mühsamen Schritte ohne die Verwendung des Geräts:

- Die Arbeitsstunden (regulär und premium, also etwa Nachtarbeit) des Monats eintragen.
- Stundenlohn und reguläre Arbeitsstunden im Taschenrechner multiplizieren und Ergebnis eintragen.
- Premiumstunden in Taschenrechner eingeben und berechnen, Ergebnis eintragen.
- Irgendetwas berechnen und eintragen, das ich nicht verstanden habe.
- Alles in die Akte eintragen.
- Diverse Sonderregeln beachten.
- In der Tabelle nachschlagen, was das an verschiedenen Steuern macht, die wiederum abziehen und eintragen.
- Ebenso Versicherung.
- Name des Angestellten eintragen.
Das Ergebnis ist dann einmal die Aufzeichnung für die Buchführung und zweitens der Lohnzettel für den Angestellten. Mit der Buchungsmaschine lassen sich nun weite Teile davon automatisieren. “Reduces manual operations by 58 1/3 %”, wie es in der Broschüre für die Compu-Tronic heißt.
Außerdem kann es In- und Output geben. Man will den Namen der Angestellten ja nicht immer von Hand eintippen, der soll irgendwoher kommen, ebenso wie der ganze Buchungsvorgang, zum Beispiel auf Lochkarten. Und das Ergebnis kann ein Stück Papier sein (wie dieser Lohnstreifen aus dem Jahr 1966), oder etwas zur automatisierten Weiterverarbeitung, also Lochkarten oder Lochstreifen oder, später, Magnetstreifen am Papier (Magnetkonten-Computer, Wikipedia).
So eine Buchungsmaschine kann man sich als übergroße Schreibmaschine vorstellen.. Es gibt oft eine Volltastatur (“Full Keyboard”), das heißt zum Beispiel, die Ziffern 0 bis 9 separat für 100.000er, 10.000er, 1.000er und so weiter bs zu den 1ern. Die 3 im 1.000er-Block bedeutet also “3.000”, und man kann mehrere Tasten gleichzeitig drücken. (Vor- und Nachteile laut Befragung.) Ein Konto, das kommt aus der Buchhaltung, betrifft einen Kunden, oder ein Thema; das sind die Sachkonten. Das Journal enthält die Menge aller oder bestimmter Buchungsvorgänge eines Tages (oder einer Woche oder eines Monats, je nachdem), wobei jede Buchung zu mindestens einem Konto gehört. Buchungen müssen nach dem Prinzip der doppelten Buchführung in mehreren Konten stehen.
Das Gerät wird je nach Kundenwunsch konfiguriert, so dass Einträge für Soll und Haben und Saldo an jeweils bestimmen Stellen stehen, also Kundenverbuchungen und Lieferantenverbuchungen oder was halt gewünscht war. Und meine Mutter hat eben in den 1960er und frühen 1970er Jahren solche Maschinen konfiguriert – “programmiert” hieß das damals, und vielleicht ist das gar nicht das falsche Wort. Ich habe sie nach ihren Erfahrungen gefragt und das als Grundlage für diesen und die nächsten Blogeinträge genommen.
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