Meine Mutter als Programmiererin 1: Werdegang

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schablone_f%C3%BCr_Programmablaufpl%C3%A4ne_%E2%80%94_Standardgraph.jpg

Als Kind habe ich irgendwann eine Schablone wie diese in einer Schublade im Wohnzimmer entdeckt, ähnlich in Umfang und Anordnung und in der gleichen Farbe, und ich habe sie munter für eigene Zeichnungen verwendet, bis sie dann wohl doch einmal kaputt war. Erst jetzt weiß ich, wofür die war und wo die herkam. Meine Mutter war so etwas wie Programmiererin. Warum die Einschränkung? Weil ich zu wenig darüber weiß, und das sicher wenig mit heutiger Programmierung zu tun hat. Aber ja, das hieß so. Und das will ich in ein paar Blogeinträgen erklären.

Die Jahre meiner Mutter mit den Buchungsmaschinen

(1960) Lehrgang, meine Mutter mit dem weißen Oberteil.
(1960) Ein kurzer Ausflug während des Lehrgangs.
(1962) Kundenbesuch am Faschingsdienstag.
(1962) Mit einer Kunden-Firma im Demonstrationsraum bei NCR. Im Hintergrund eine 32er, rechts vorne die Beine meiner Mutter. Zigaretten und Wein allerseits.

Fußnote: Das erinnert mich alles ein bisschen an den Film The Desk Set/Eine Frau die alles weiß (1957; Wikipedia) mit Katherine Hepburn und Spencer Tracy – er als Verkäufer von Computersystemen, sie als Leiterin einer Abteilung, die dadurch bedroht ist. Für mich die Erstbegegnung mit einem lateral thinking puzzle (Romeo und Julia) – mein Erstbeleg bisher ist Robert Benchley 1936.

Jetzt aber endlich zu den Buchungsmaschinen

Es gab einmal ein Zwischending zwischen Rechenmaschine und Computer: die Buchungsmaschine (Wikipedia). Eine Rechenmaschine kann addieren und vielleicht noch weitere Rechenarten, sie kann mechanisch oder elektromechanisch oder elektronisch sein, ist letztlich ein mehr oder weniger vielfältiger Taschenrechner. Ein Computer zeichnet sich dadurch aus, dass er programmierbar ist und demnach verschiedene Programme ausführen kann. Er macht die Berechnungen dann automatisch. Nach modernem Verständnis erfolgt die Programmierung, ohne dass man irgendwelche Kabel umstecken muss, also allein durch Software, und der Computer sollte außerdem alles berechnen können, was man überhaupt berechnen kann. (Das gilt nämlich nicht für frühe Geräte.) Und eine Buchungsmaschine ist eine Art Kombination von Drucker und Taschenrechner, oder eher ein eingeschränktes Tabellenkalkulationsprogramm: man gibt vorher festgelegte Daten ein, die Maschine berechnet sie auf vorher eingestellte (aber technisch anpassbare) Weise und gibt jeweils das Ergebnis aus.

Verwendet wurde so ein Gerät zum Beispiel für die Buchhaltung (verschiedene Arten von Einnahmen und Ausgaben, Saldo, Zwischenrechnungen) oder die Verwaltung von Gehaltskonten. Eine Broschüre beschreibt die dafür nötigen mühsamen Schritte ohne die Verwendung des Geräts:

  1. Die Arbeitsstunden (regulär und premium, also etwa Nachtarbeit) des Monats eintragen.
  2. Stundenlohn und reguläre Arbeitsstunden im Taschenrechner multiplizieren und Ergebnis eintragen.
  3. Premiumstunden in Taschenrechner eingeben und berechnen, Ergebnis eintragen.
  4. Irgendetwas berechnen und eintragen, das ich nicht verstanden habe.
  5. Alles in die Akte eintragen.
  6. Diverse Sonderregeln beachten.
  7. In der Tabelle nachschlagen, was das an verschiedenen Steuern macht, die wiederum abziehen und eintragen.
  8. Ebenso Versicherung.
  9. Name des Angestellten eintragen.

Das Ergebnis ist dann einmal die Aufzeichnung für die Buchführung und zweitens der Lohnzettel für den Angestellten. Mit der Buchungsmaschine lassen sich nun weite Teile davon automatisieren. “Reduces manual operations by 58 1/3 %”, wie es in der Broschüre für die Compu-Tronic heißt.

Außerdem kann es In- und Output geben. Man will den Namen der Angestellten ja nicht immer von Hand eintippen, der soll irgendwoher kommen, ebenso wie der ganze Buchungsvorgang, zum Beispiel auf Lochkarten. Und das Ergebnis kann ein Stück Papier sein (wie dieser Lohnstreifen aus dem Jahr 1966), oder etwas zur automatisierten Weiterverarbeitung, also Lochkarten oder Lochstreifen oder, später, Magnetstreifen am Papier (Magnetkonten-Computer, Wikipedia).

So eine Buchungsmaschine kann man sich als übergroße Schreibmaschine vorstellen.. Es gibt oft eine Volltastatur (“Full Keyboard”), das heißt zum Beispiel, die Ziffern 0 bis 9 separat für 100.000er, 10.000er, 1.000er und so weiter bs zu den 1ern. Die 3 im 1.000er-Block bedeutet also “3.000”, und man kann mehrere Tasten gleichzeitig drücken. (Vor- und Nachteile laut Befragung.) Ein Konto, das kommt aus der Buchhaltung, betrifft einen Kunden, oder ein Thema; das sind die Sachkonten. Das Journal enthält die Menge aller oder bestimmter Buchungsvorgänge eines Tages (oder einer Woche oder eines Monats, je nachdem), wobei jede Buchung zu mindestens einem Konto gehört. Buchungen müssen nach dem Prinzip der doppelten Buchführung in mehreren Konten stehen.

Das Gerät wird je nach Kundenwunsch konfiguriert, so dass Einträge für Soll und Haben und Saldo an jeweils bestimmen Stellen stehen, also Kundenverbuchungen und Lieferantenverbuchungen oder was halt gewünscht war. Und meine Mutter hat eben in den 1960er und frühen 1970er Jahren solche Maschinen konfiguriert – “programmiert” hieß das damals, und vielleicht ist das gar nicht das falsche Wort. Ich habe sie nach ihren Erfahrungen gefragt und das als Grundlage für diesen und die nächsten Blogeinträge genommen.

(Fortsetzung folgt.)


Kategorien:

Schlagwörter:

Veröffentlicht am:

Kommentare

20 Antworten zu „Meine Mutter als Programmiererin 1: Werdegang“

  1. Elbwiese

    Toll! Ich hatte mit Buchungsmaschinen während meiner Ausbildung zwischen 1989 und 1991 zu tun, mit DDR-Exemplaren. Ich durfte zuschauen! Begriffen habe ich erst viele Jahre später, was da passiert und wie genial das war. Das Ergebnis waren in dem Fall übrigens >1m breite Journale mit unendlich vielen, jeweils saldierten Spalten als Sachkonten.
    Ich hab viel zugeschaut. Und später begriff ich, was für ein Tanz der Zahlen sich da vollzog. Es gab noch andere Journale, dazu Geldkonten, Kontobücher, in die alle Geldbewegungen eingetragen wurden. Ein sehr komplexes System. Und am Ende stimmte IMMER ALLES, es war überprüfbar, man konnte Fehler suchen und finden.
    Freue mich auf die Fortsetzung und darüber, dass endlich mal jemand der breiten Öffentlichkeit von Buchungsmaschinen erzählt.

  2. Gudrun Thäter

    Das klingt nach einer Konstellation wo Podcast Gespräche mit der Zeitzeugin super wären.

  3. Podcast: Ich glaube, das wäre ihr zu viel Gewese, und auch sonst zu privat. Gibt schon auch Anekdoten und interessant wäre es sicher, auch mit ihrer einen Kollegin zusammen, die noch lebt. (Mein Gespräch habe ich tatsächlich aufgenommen.)

    Buchungsmaschinen: Oh wie schön, jemand, der sich daran erinnert! Ich verstehe ja nicht wirklich ganz, was es damit auf sich hat, stehe auch vor Videos, die es da und dort gibt und wo ich hoffentlich eines zeigen kann, reichlich verwirrt. Ich verstehe einfach zu wenig von Buchhaltung. Im nächsten Eintrag zeige ich nach und nach die Geräte, mit denen meine Mutter zu tun hatte.

  4. Michael

    Das erinnert mich lebhaft an meine Lehrzeit um 1970. Der große Industriebetrieb hatte zwar schon »richtige« Computer (die aber niemand so bezeichnete; in dem Unternehmen wurde auch eher Französisch gesprochen), einen Bull Gamma 30 und einen Siemens 4004, aber es gab in der Materialwirtschaft noch einen IBM Kartensortierer, der per Stecktafel programmiert wurde und eine riesig große Buchungsmaschine (Fabrikat weiß ich nicht mehr) in der Betriebsbuchhaltung, mit der Kontenblätter im Format A3 beschrieben wurden. Die Kollegin dort war die heimliche Chefin und raste über die Tastatur, dass einem Hören und Sehen verging.
    Freue mich auf die nächsten Folgen!

  5. Welch wunderbarer Beitrag! Als Schüler und Student bekam ich auch solche Lohnstreifen.
    Das sollte auch unbedingt in das Techniktagebuch.
    Oh – ich sehe gerade, Du bist schon dort unterwegs …

  6. Debora Weber-Wulff

    Wir haben im Computermuseum der Hochschule eine DDR Buchungsmaschine stehen: https://computermuseum.htw-berlin.de/object/345

  7. Dirk Moebius

    So eine PAP-Schablone (PAP – Programmablaufplanung) hab ich, allerdings in grün, noch in der Schublade.
    Damit malte man so Sachen wie auf diesem Bild
    https://de.wikipedia.org/wiki/Programmablaufplan#/media/Datei:Flowchart_de.svg
    bevor man sich tatsächlich an die eigentliche Programmierung machte. O tempora, o mores.

    Danke für den Exkurs in die Vergangenheit!

  8. Wie spannend!
    Ich bin mit buchhalterischen Fragestellungen aufgewachsen und habe sie auch im eigenen Haushalt, ohne dass es mich groß interessiert hätte.
    Ich kann mich gut an endlose Kassenbücher und Lohnzettel erinnern, aber dass es da ausser der Rechenmaschine was anderes gegeben hätte, weiß ich nicht.
    Vermutlich hätte es mich dann interessiert.

  9. Ohne zu klugscheißerisch daher zu kommen, aber der Begriff “Taschenrechner” ist ein wenig irreführend. Die ersten elektronischen Rechner, die aber auch nur die 4 Grundrechenarten konnten, waren so groß wie ein Laptop heute (oder ca. DIN A4) und sehr teuer. Mir wurde 1970 so einer gezeigt, der über tausend DM gekostet hatte.
    Sehr verbreitet waren mechanisch-elektrische mit einem Papierstreifen zur Dokumentation des Rechenvorgangs oder rein mechanische wie diese hier:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Rechenmaschine_Walther_WSR_160.JPG
    Auch sie konnte die 4 Grundrechenarten (auch dividieren, wenn man wusste, wie), addieren war umständlicher und dauerte länger als bei denen mit Papierstreifen, aber zum multiplizieren waren sie sehr geeignet.
    Danke für den interessanten Bericht, ich bin gespannt auf die Fortsetzungen!

  10. carola

    und ich ergänze mal in dem zusammenhang: Fakturiermaschine >>> https://de.wikipedia.org/wiki/Buchungsmaschine.
    einer unserer Lieferanten hatte so ein teil mit über1,20 m breitem Wagen (Schreib/Druckbreite). damit wurden Rechnungen geschrieben und gleichzeitig Umsätze erfasst, außerdem konnte damit der aktuelle Warenbestand (Inventurwert) erfasst werden. Das machte aber nur für eine firma mit sehr begrenztem Lieferumfang sinn. Für uns im Verkauf/einzelhandel mit über 20tsd verschiedenen Artikeln ging so etwas nicht.
    bei uns ging es erst mit dem VC 64, und kilometerlangem selbst programmiertem BASIC los. aber auch nur sehr eingeschränkt für das Adressieren und Summieren von einzeln erstellten Rechnungen.

  11. @Michael: “Die Kollegin dort war die heimliche Chefin und raste über die Tastatur, dass einem Hören und Sehen verging.” Ich kenne nur Filme, wo diese Geräte bedient werden, eher einhändig, aber mit breit gespreizten Fingern und in einer Geste über drei Oktaven, sozusagen. Beeindruckend.

    @Dirk Moebius: Ja, ich habe vergessen zu erwähnen, was diese Schablone überhaupt mit Programmierung zu tun hat, danke für die Ergänzung.

    @Ulrike: Ich wollte nicht despektierlich sein. :-) Die Taschenrechner der 1950er und 1960er waren keine, stimmt, sondern große mechanische Maschinen – kein Wunder, dass man Prozentsätze aus Tabellen abgelesen hat, statt sie zu berechnen. Der erste elektronische Taschenrechner kam 1971 (Web sagt aber: Produktion ab 1972) in unseren Haushalt – ca. 9×15 cm, bei Quelle für 400 Mark gekauft, eine Texas-Instruments-Variante, der “Privileg electronic 2000”. Er existiert noch. Mein Vater war sehr früh an Computern interessiert.

    @carola: Fakturierungsmaschinen erwähne ich im nächsten Beitrag zumindest in einem Nebensatz. Überhaupt, viele Nebensätze, weil ich all diese Geräte nicht wirklich kenne. Und: der VC64 im produktiven Einsatz? Klar, logisch, ich kenne ihn nur als geliebten Spielcomputer – aber man kann natürlich auch wirklich damit arbeiten.

  12. […] Im vorherigen Beitrag habe ich etwas über den Werdegang meiner Mutter erzählt; in diesem und dem folgenden geht es um die Buchungsmaschinen, mit denen sie 1960 – 1974 mit Unterbrechung gearbeitet hat. […]

  13. Zur Handelsschule: die jetzige Wirtschaftsschule in Bayern ist von der Fächertafel anspruchsvoller als die damalige Handelsschule. Andere Fächer kommen gar nicht vor.

    Anfang der 1970iger Jahren hatte die Handelsschule in Bayern folgende Fächer: Religion, Deutsch, Englisch mit kaufmännischem Schwerpunkt, kaufmännisches Rechnen, Buchführung, Wirtschaftskunde, Stenografie, Maschinenschreiben und kaufm. Schriftverkehr, Wirtschaftsgeographie, Sport.
    Wahlfach: Französisch

    Es war ein ähnliches Profil wie der Zweig 2 der Realschule, nur daß diese auch noch allgemein bildende Fächer hatte.

  14. Vielen Dank, @N. Aunyn! Ich bin ja schon froh, dass ich überhaupt von der heutigen Wirtschaftsschule weiß. (Frau Rau hat gelegentlich mit Abgehenden von dort zu tun, ist sehr angetan.) Handelsschule: Das war in den 1950ern, wird aber ähnlich gewesen sein. Französisch gab es ein bisschen, aber nicht viel, Wahlfach passt also.

  15. Andrea Stock

    Vielen Dank für den interessanten Einblick. Bin schon gespannt auf die Fortsetzung.

    Bin Jahrgang 1963 und habe nach der Höheren Handelsschule eine Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht (im Anschluss hatte man dann die Fachhochschulreife). Ich habe in einem Metallbetrieb gelernt. Dort gab es zwar auch schon eine EDV-Abteilung, aber auch eben noch die sogenannte Maschinenbuchhaltung. Da durften wir als Azubis aber nicht an die Geräte. Nach der Ausbildung (und bis heute) bin ich bei einer großen Einzelgewerkschaft. Da gab es in den ersten Jahren in den Geschäftsstellen vor Ort noch diese kleineren Buchungsmaschinen, die aussahen wie bessere Rechenmaschinen. Die bediente man einhändig, konnte sie auch austricksen, wenn man sich mal vertippt hatte. Außerdem konnte man an ihnen irgendwie auch seinen Frust auslassen, indem man auf die Tasten hämmerte….

    Vielen Dank für das Auflebenlassen der Erinnerung.

    Andrea Stock

  16. […] dreiteilige Serie von Herrn Rau über „Meine Mutter als Programmiererin“ (mit Teil 1: Werdegang, Teil 2: Die frühen Maschinen, Teil 3: Spätere Maschinen„. Also wie kann mensch solche […]

  17. […] Rau hat eine dreiteilige und detailreiche Reihe über seine Mutter als Programmiererin geschrieben: Teil 1, Teil 2, Teil […]

  18. Justina

    Die Schablone weckte bei mir diffuse Kindheitserinnerungen – ich zeigte Ihren Beitrag meinem Vater. Er (Jahrgang 39) erklärte mir, dass es damals solche Schablonen für alle Berufsgruppen gab, in denen Formen gezeichnet werden mussten (z.B. für Architekten…)

    Lese übrigens seit 1-2 Dekaden nicht nur als Kollegin gerne bei Ihnen, sondern weil Sie durch Ihre Beiträge immer mal Kindheitserinnerungen in mir wecken. Danke, weiter so, viel Gutes für 2023!

  19. @Andrea Stock: Das Austricksen, wenn man sich vertippt hat – da gab es bei den größeren Maschinen auch Korrekturmöglichkeiten. Aber ich habe nicht begriffen, wie genau das ging. Wenn ich wo mal eine gebrauchte Buchungsmaschine finde, die noch funktioniert, werde ich zumindest sehr darüber nachdenken, mich mit ihr vertraut zu machen. Und: Sehr gern geschehen, freut mich!

    @Justina: 1-2 Dekaden, das ist schön und ehrt mich, vielen Dank fürs Mitlesen. Zeitzeugen und Zeitzeuginnen für das Internet von früher sind wichtig. :-)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das:

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen