Bei Hauptschulblues gelesen, dass Keith Reid gestorben ist, der die Texte von Procol Harum geschrieben hat. Meine Best-of-Doppel-LP gibt es schon lange nicht mehr, aber das eine Lied habe ich natürlich: A Whiter Shade of Pale. Es ist ein sehr gutes Lied. Ich habe es auch in zwei Cover-Versionen, einer schlechten und einer sehr schönen, die letztere ist von Psychograss.
Ein Grund, warum mir das Lied schon in jungen Jahren nicht aus dem Kopf ging, ist der kryptische Text.
And so it was that later
As the miller told his tale
That her face, at first just ghostly
Turned a whiter shade of pale
Welcher Müller, welche Geschichte, wieso und was? Klar ist es immer noch nicht, aber aufgrund des Liedtexts habe ich „The Miller’s Tale“ von Geoffrey Chaucer (Blogeintrag) schon vor dem Englischstudium gelesen, wenn auch nicht verstanden, obwohl neuenglische Übersetzung. Das hat das Lied aber nicht weniger kryptisch gemacht.
We skipped the light fandango
Turned cartwheels ‚cross the floor
Dass Fandango eine Art Tanz ist, das wusste ich, oder erschloss es vielleicht auch, jedenfalls war das klar. Dass „to trip the light fantastic“ sozusagen Tanzen heißt, das wusste ich nach Wörterbuchrecherchen. Aber dann tauchte in einem Katalog für Rollenspiele das Horror-RPG „Stalking the Night Fantastic“ (1983) auf. (Wiedergefunden über die Wikipedialiste mit Horror-Rollenspielen. Ich habe zwar auch ein Lexikon aller größeren Rollenspielsysteme und Szenarios bis Ende der 1980er Jahre, hätte es dort aber nie gefunden, weil ich den Namen nicht mehr genau wusste, nur dass es eben eine parallele Konstruktrion war.) Und in Tom Waits‘ „On the Nickel“ hieß es: „you can skip the light with Grady Tuck on the nickel over there“. Was bedeutete das alles? Der Waits-Text ist ohnehin voll alten Wendungen, die mir damals unklar waren. – Ich merkte mir all die Light-Fantastic-Fundstellen, aber die Recherchemöglichkeiten damals waren beschränkter als heute.
Heute kann ich bei Wikipedia den Eintrag „Trip the light fantastic“ nachschauen: Das geht zurück auf John Milton 1645, „Come, and trip it as ye go, / On the light fantastick toe.“ Dort sind light und fantastic noch Adjektive, die sich auf den Zeh beziehen. Dem Liedtext „Boys and girls together, me and Mamie O’Rourke / Tripped the light fantastic / On the sidewalks of New York“ (1894) mochte ich auch schon begegnet sein; die erste Zeile wurde zum Titel eines Romans von William Goldman. Der zweite Discworld-Roman heißt The Light Fantastic, weitere Varianten siehe Wikipedia. Für „to trip the light Fandango“ wird dort ein Vorläufer genannt, aber citation needed, ich habe selber auch keine gefunden. Hier gibt es eine ganze Podcast-Episode zu diesem Ausdruck, wenn auch nur als Transkript. Gleich mal abonniert.
Noch einmal zurück zum Miller und seinem Tale: Die Lagerfeuer-Liedersammlung meiner Jugend, von meinem jüngeren Bruder in die Familie eingeführt, glaube ich, hatte den Text als „as the mirror told his tale“. (Nachtrag: Nein, dieses Buch hatte es korrekt, ein anderes falsch.) Wir hatten ja nichts zum Nachschlagen damals. Diese Liedersammlung war ein recht dickes Buch mit Klebeheftung, mit schreibmaschinengetippten Texten und handgemalten Noten, ohne jegliche Berücksichtigung von Urheberrechten.
Im Germanistikstudium musste ich an dieses Buch denken, als es um mittelalterliche Liederhandschriften mit Minnesangtexten ging. All die Fehler, die es bei diesen Handschriften gab, gab es auch bei der Liedersammlung. Falsch verstandene Texte, Fehlzuschreibungen, Verwechslung von Interpret*innen mit Autor*innen, doppelte Einträge, vertauschte Seiten beim Binden – war alles da.
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