(Gerne überspringen, es ist ein untypischer Beitrag, mit dem ich gehadert habe.)
Herr Mess hat über Politik geschrieben, viel beachtet. Da steht, nicht überraschend, Vernünftiges: Gegen Spaltung der Gesellschaft, für Mäßigung in der Sprache, gegen Populismus und Beschwörung des Volkszorns. Der Blogeintrag beginnt mit einer Entschuldigung dafür, also für das Schreiben über Politik. Ich kann nie ganz nachvollziehen, woher das kommt. Ich lese gerne, wenn jemand über Politik schreibt; ich halte es für wichtig, dass man darüber redet. Auch in Blogs. In Comics, in Fiktion, in den Nachrichten, in Zeitungen. Der Gedanke ist ohnehin naiv, es gäbe unpolitische Nachrichten. Allein die Auswahl, was wo unter welcher Überschrift in der Zeitung erscheint, ist politisch. Die absolute Neutralitätforderung („nur die Fakten, eine Meinung bild ich mir selber“) kenne ich als Vorwurf eher aus konservativen Kreisen, nämlich dann, wenn Zeitungen zu woke oder zu klimabesorgt sind; aus der anderen, linken Ecke wird zwar moniert, dass etwa die Springer-Presse verfälscht und einfärbt, aber keine ideale Neutralität postuliert.
Ich ergänze kurz meine Meinung darüber, was eine politische Partei nicht darf, weil es den Diskurs vergiftet und die Demokratie gefährdet:
- Nicht-Akzeptieren von Gewaltenteilung, insbesondere von Entscheidungen einer unabhängigen Justiz.
- Berufen auf Volkswillen und schweigende Mehrheiten. (In einer repräsentativen Demokratie drückt sich der Volkswille in Wahlen aus. Anderen Volkswillen zu postulieren ist Populismus.)
- Pressebashing, und zwar nicht bei einzelnen Zeitungen oder Sendungen, sondern gegen Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk und Mainstreammedien allgemein.
- Sich als die Normalen präsentieren, im Gegensatz zu den anderen.
- Abwertende Sprache, auch in der Metaphorik.
Sachen angreifen und nicht Personen.Andersherum natürlich: Personen angreifen statt Sachen (ist nicht zu tun!)
Das sind Gedanken, die ohnehin gerade so kursieren, ich habe nur zusammengestellte, was mir wichtig scheint. Darüber hinaus wäre natürlich schön, wenn eine Partei das Richtige tut und konstruktiv und ehrlich ist. Aber darüber kann man leichter verschiedener Meinung sein.
Mike Graf hat in seinem Blog auf Herrn Mess geantwortet, ebenfalls mit der Erklärung, eigentlich nicht gern über das Thema zu schreiben. Obwohl Herr Mess keine Parteien genannt hat, fühlt sich Mike Graf nicht repräsentiert; die Beispiele dort sind ihm zu einseitig und er bietet als Ergänzung einen Angriff auf die Grünen an. Dabei ist er „kein Freund von Bashing und eindimensionaler Kritik.“ Allerdings scheint mir sein Blogeintrag ein Musterbeispiel von Bashing und eindimensionaler Kritik. „Spalten, Diffamieren, Unterstellen, Pauschalieren“ wird kritisiert, aber dann geht es nur um grüne Themen und die Grünen, er macht die Verlogenheit der Grünen sogar zum Leitthema des Blogeintrags. So richtig mit Ich bin ja kein, ich stelle ja nur Fragen, mit Bashing des Öffentlich-Rechtlichen Journalismus, „es muss doch erlaubt sein“, gegen Gewalt von links wie von rechts, Winnetou-Witzchen, dem Vorwurf, dass da welche dem „Normalo“ Sprache und Ernährung vorschreiben wollen. Das sind so viele Alarmsignale, dass ich mich frage, ob das Absicht ist. Wie bringt man das zusammen, kein Bashing betreiben zu wollen und gleichzeitig den Grünen Verlogenheit als Prinzip zu unterstellen? Man macht es nicht gerne, aber die Umstände nötigen einen dazu?
Inhaltlich bin ich auch anderer Meinung als Mike, das überrascht sicher nicht. Vieles stimmt schlichtweg nicht, was er schreibt, aber da werden wir uns schwer einigen können. Aber der Tonfall? Zugegeben: Herr Mess nennt einen ehemaligen US-Präsidenten „eine prollige Mixtur aus Misogynie, Narzissmus, Dekadenz und Fremdenfeinlichkeit“, das ist nicht sachlich, oder jedenfalls nicht freundlich, aber damit habe ich kein Problem. Ich habe auch kein Problem damit, wenn der Bild Verlogenheit unterstellt wird, hier etwa beim Atomstrom aus Frankreich. Habe ich mit Mikes Blogbeitrag nur ein Problem, weil ich die Grünen anders sehe? Das glaube ich nicht, aber das wäre ein Diskussionsansatz.
Mikes Meinung will ich ihm gerne lassen. (Also, vorerst. Langfristig wünsche ich mir da schon eine Änderung, nicht bei ihm speziell, aber bei möglichst vielen anderen, die das so sehen; anderes Thema.) Könnte man sich nicht aber vorher im Diskurs mäßigen? Es unterlassen, zu diffamieren, unterstellen, pauschalieren? Oder ist das ein hoffnungslos bourgeoises Ansinnen? Von der Meinung her holt man viele nicht mehr zurück, glaube ich.
Mikes Schlusssatz stimme ich völlig zu „Ich hoffe, dass irgendwann die Erkenntnis die Oberhand gewinnt, dass uns Framing, Spalterei, Klüngelei und Besserwisserei nicht weiterbringen.“ Allerdings meint er damit wohl weiterhin nur die Grünen, das vergiftet den Satz etwas für mich.
Man möge die beiden Blogartikel lesen. Der eine wünscht sich gemäßigteren Austausch, der andere ist weniger eine Ergänzung als ein Beispiel für das, was kritisiert wird.
Kurze Fußnote zu Kant, weil Mike schreibt, dass er „Immanuel Kant’s kategorischen Imperativ für eine geeignete Grundlage des Zusammenlebens hält.“ Mir liegt die Besserwisserei im Blut, deshalb muss ich ergänzen, warum ich das nicht für eine geeignete, jedenfalls nicht für eine ausreichend Grundlage halte. Mike meint damit sicher nicht die Goldene Regel „Was du nicht willst, das man dir tu“, die gerne mal damit verwechselt wird und die etwas anderes ist und schon einmal deshalb keine solche Grundlage sein kann, weil es darin nur um persönliche Vorlieben geht. Der kategorische Imperativ kann vielmehr so formuliert werden: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Erstens reicht das nicht, weil es manchmal Einigung jenseits der persönlichen Vorliebe geben muss. „An unmarkierten Kreuzungen links vor rechts“ erfüllt Kants Kriterien ebenso gut wie „rechts vor links“, dennoch sollte nur eine der beiden Maxime gelten. „Ich halte mich an die Verkehrsregeln“ ist außerdem gut, reicht aber nicht, um sich sicher im Verkehr zu bewegen: auch die anderen müssen sich daran halten, und ich müsste mich darauf verlassen können, dass sie sich daran halten. Wenn alle dem kategorischen Imperativ folgen, und alle wissen, dass alle ihm folgen, dann reicht das als Gesetz. Aber in dieser Welt leben wir nicht. Wenn ich finde, dass alle langsamer fahren sollen, und deshalb langsamer fahre, führt das nicht zu einem Tempolimit. Wenn ich der Maxime folge, weniger Fleisch zu essen oder weniger Müll zu produzieren, ändert das nichts an der Gesellschaft; das hat etwas vom Wunschdenken von: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ Nicht schlecht, aber auch nicht ausreichend. Natürlich muss sich die Gesellschaft Regeln und Gesetze geben.
Zweitens hilft er bei vielen Fragen überhaupt nicht, etwa ob schwule Ehen erlaubt sein sollen. Ob Crossdressing in der Öffentlichkeit erlaubt ist, ob Drag-Queen-Lesungen vor Kindern stattfinden dürfen. Darf ich als erkennbarer Mann in Frauenkleidern durch die Stadt laufen, weil jeder das dürfen sollte, oder darf ich das nicht, weil niemand das dürfen sollte, oder weil sonst alle das müssten? Welche Maximen ich als allgemeines Gesetz möchte, das kann von Mensch zu Mensch verschieden sein. Der kategorische Imperativ hat ein bisschen was von: „Der Markt regelt das“. Wenn schon nur eine Regel, dann die mit der Nächstenliebe.
Meine Diskurswünsche, auf Bildungstwitter (wo ich früher war) und am Stammtisch:
- Ansichten des politischen Gegners oder Gegenübers nicht ins Lächerliche ziehen, keine Witzchen reißen. Humorlosigkeit als Ziel.
- Keine Übertreibungen. Das heißt dann meist auch: keine Metaphorik. Sachlich bleiben. Keine Andeutungen, kein Drama, kein Cherrypicking.
- Keine Beleidigungen. Keine verbalen Angriffe auf Personen, sondern auf Inhalte.
Das ist doch nicht übertrieben?
Nachtrag: Mike hat in seinem Blogeintrag ein bisschen ergänzt, wie er zu seiner Meinung kommt. Wenn ich ihn richtig verstehe, sieht er auch Spaltung und Streit in der Gesellschaft als Problem. (Fußnote: Mastodon-Thread zur Spaltungs-Metaphorik und warum die Spaltung vielleicht gar kein Problem ist. Bin nicht überzeugt, aber lesenswert.) Nur dass er als Auslöser oder Ursache den Aufstieg der Grünen sieht und impliziert, dass das mit einem Abstieg der Grünen wieder weggeht.
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