Woher dieser Mangel an Belehrsamkeit?

(8 Kommentare.)

Unter Architekt*innen, bei Zahnärzt*innen, bei der Bauleitung: oft haben Lehrkräfte als Kunden einen schlechten Ruf. Besserwisserisch seien sie, zu allem eine Meinung hätten sie.

Aber Lehrkräfte selbst sehen sich vielleicht ganz anders. Neulich gab es an der Kaffeetheke ein kleines Gespräch, warum man sich nicht gegenseitig mehr erklärt, zum Thema Technik etwa. Der Gedanke, dass man etwas, das man selber kann, anderen im Kollegium einfach so beibringen könnte, ist aber wohl ungewöhnlich. Das… gehört sich nicht? Also, so ohne offiziellen Auftrag, ohne Fortbildungstermin, einfach so? Ist das überhaupt legitimisiert? Klar kann man warten, bis man explizit um Hilfe gebeten wird, aber man kann sie doch auch vorher anbieten.

Im Wechselspiel der Tweets konkretisierten sich meine Überlegungenund ich formulierte so:

Zu mir: Ich bin ein Klugscheißer, immer schon gewesen; muss ein mitunter enervierendes Kind gewesen sein, wenn auch nicht ohne Charme. Ich wusste viel, oder eher: ich fand so viel interessant und wollte alle Welt daran teilhaben lassen. So kam es ja auch zu diesem Blog. Ich lerne gerne und leicht, aber ich erkläre auch sehr gerne. Abends werde ich müde, nach einem Glas Wein sowieso, aber wenn mich dann jemand bittet, ein paar Worte über amerikanische Radiosendungen der 1930er bis 1950er zu verlieren, dann spule ich glockenwach mein Programm ab, angemessen variiert, oder darf‘s irgendwas mit Informatik sein? Ich warte ja darauf, dass ich Frau Rau endlich mal Chemie erklären darf, also nur anorganische, und auch nur, halbscharig – beim Erklären lerne ich das selber neu, auch nach dem Glas Wein, auch abends. Kurz: Ich bin nicht zufällig Lehrer geworden.

Und dieser Erklär- und Belehrwunsch schreckt auch vor Erwachsenen nicht zurück. Beim Arzt bleibe ich still, von Viren verstehe ich nichts, aber wenn ich mich bei etwas auskenne, dann ist zumindest das Kollegium fair game. Das scheint aber nicht allen so zu gehen. Wieso eigentlich? Da ist so viel Expertise in einem Kollegium, so viele verschiedene Sachen, warum nutzt man nicht die Gelegenheit, das loszuwerden? Nicht völlig ungefragt, das mache nicht mal ich, aber wenn man mir den kleinen Finger reicht, gibt es einen Wortschwall zurück. Warum halten das nicht mehr so, der kommentierend mitlesende Kollege vielleicht ausgenommen?

Vermutungen, via Twitter:

  1. Man will nicht als Klugscheißer dastehen.
    Das gilt vielleicht vor allem für Frauen? Da ist Besserwissen sozial noch weniger akzeptiert.
  2. Man hat Angst, sich zu blamieren, weil man sich nicht sicher ist, ob das auch stimmt, was man weiß.
    Mag sein.
  3. Man will Wissensvorsprung für sich behalten, weil man sich Vorteile davon erhofft.
    Ich glaube nicht, dass das viel passiert, bewusst schon gleich gar nicht, aber auch sonst nicht.
  4. Man hat das Gefühl, man darf das einfach nicht. Es steht einem nicht zu.
    Schon eher. Erwachsenen darf man nichts beibringen, das ist belehrend. Lebenslanges Lernen schön und gut, aber darum muss man sicher selber kümmern. Ich war mal in einer Arbeitsgruppe am ISB, also, in mehreren, aber in einer davon reichten die Teilnehmenden Texte ein, die gemeinsam bearbeitet wurden. Und wenn da jemand zwar einen Text abgegeben hatte, aber selber in der Sitzung nicht da war, dann hieß es: können wir nicht bearbeiten, weil wir können ja nichts an dem Text ändern, ohne um Entschuldigung zu bitten und Verständnis zu heischen. So ein Unfug.
  5. Man verstößt gegen die ungeschriebene Regel: „Solange ich dir nichts beibringe, muss ich auch nichts selber von dir lernen.“
    Ich glaube, da ist etwas dran. Eine Krähe bringt der anderen keine neuen Tricks bei. Wenn ich jemandem etwas erkläre, riskiere ich, selber etwas erklärt zu bekommen.
  6. Es ist nicht mein Job. (Soll sich doch die für die Fortbildung verantwortliche Person darum kümmern!) – Ergänzung via Twitter.

Meine Aufgabe als Lehrkraft ist es, Schülern und Schülerinnen beim Lernen zu unterstützen. Das nennt man dann wohl auch Erziehung. Will ich meine Kollegen und Kolleginnen erziehen? Nein, weil, weil – weil Erziehung sagt man nur bei Kindern und Heranwachsenden, ja? Sagen wir: wir wollen einander gegenseitig erziehen und von einander lernen. Wie schreibt schon Kant: „Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich.“

Kurze Begriffsklärung, gerne überspringen:

Lernen: Das heißt in der Lernpsychologie, oder hieß es zumindest zu meiner Studienzeit, die Möglichkeit haben, ein anderes Verhalten zu zeigen. Wenn man etwas gelernt hat, kann man danach andere Antworten aufs Papier bringen als vorher. (Man muss das aber nicht tun; das macht es ja so schwierig, einen Lernfortschritt zu messen.) In vielen Gesprächen über das Lernen wird das reduziert auf Wissenserwerb, aber Lernen umfasst viel mehr, etwa das habituelle Verhalten: Man lernt Essverhalten, lernt Ausweichverhalten, lernt Verhalten bei Problemen, lernt soziales Verhalten. Man kann nicht nicht lernen. Außer beim Laufenlernen, das ist nämlich gar kein Lernen, sondern natürliche Entwicklung.

Erziehung: Keine Ahnung, in welche Disziplin das ein Fachausdruck ist und was man darunter versteht. Es geht wohl nicht um Wissen, sondern nur um Verhalten, Werte, Einstellungen, aber auch das ist natürlich Lernen, und es ist auf Kinder und Jugendliche reduziert, und das macht den Begriff etwas arbiträr. Niemand spricht von „lebenslanger Erziehung“, alle von „lebenslangem Lernen“. Erziehung impliziert ein Erziehungsziel hin, Lernen ist ein neutralerer Audruck.

Lessing spricht in „Die Erziehung des Menschgeschlechts“ davon, dass auch die Menschheit erzogen wird, aber das ist Metaphorik: Er vergleicht darin explizit die Menschheit mit einem Schüler, und Altes und Neues und Neuestes Testament mit Büchern für Grundschule, Sekundarstufe I und Sekundarstufe II oder darüber hinaus.

Sowohl Erziehung als auch Lernen heißt: Änderung lenken. Lebenslanges Lernen heißt lebenslanges Ändern. Blogeintrag; „Ich will ihre Kinder ändern!“ – das ist mein Beruf und meine Aufgabe. Da waren ein paar Eltern geschockt, das damals zu lesen.

Bildung: Was Herr K. tat, in der kleinen Geschichte von Bert Brecht, wenn er einen Menschen liebte (aus dem gedächtnis paraphrasiert): Er machte sich ein Bild von ihm und sorgte sich dann darum, dass der Mensch dem Bild möglichst ähnlich würde. – Bildung impliziert ein Menschenbild, dementsprechend sich jemand enwickeln soll. Ob man so werden soll, wie Gott es wünscht, oder ob man herausholen soll, was in der Natur des Menschen angelehnt ist, das ist dann wieder Ansichtssache.

Oder liegt dieser Mangel an Belehrsamkeit daran, dass sich ein modernes Kollegium eher als Lernbegleitung sieht und weniger als Belehrende? Das würde mich wundern, zumindest auf Twitter ist es ja so, dass die erklärtesten Lernbegleiter gerne die direktesten Instruktionen geben. Die Bildungsbesserwisser-Bubble dort hat keinerlei Hemmungen beim Belehren.

Möglicherweise bin ich auch einfach zu penetrant, und nicht ich brauche das Sabbatjahr, sondern die Schule braucht mal ein Jahr Pause von mir. Manchmal habe ich bereits den Verdacht, dass nicht alle meine digital versendeten Nachrichten gründlich gelesen wären werden.


Beitrag veröffentlicht am

in

Kommentare: 8

Schlagwörter:

Kommentare

8 Antworten zu „Woher dieser Mangel an Belehrsamkeit?“

  1. Papman

    Am Bau gelten in der Tat Lehrer und Juristen als Problembären. Beide haben eine unangenehme und kleinkariert bürokratische Art mit den allfälligen Unwägbarkeiten und Qualitätsproblemen umzugehen. Juristen neigen zum rechthaben und klagen, Lehrer zum pedantischen und kleinlichen Besserwissen und ausgeprägter Fehlerintoleranz. So wie in Deutsch in der Schule. Egal wie gut man war, es gab immer reichlich rot zu Satzzeichen, Grammatik oder Ausdruck und eine vorbehaltlose 1 nur höchst ausnahmsweise. Wer so konditioniert ist, tut sich am Bau naturgemäß schwer (Ausnahmen natürlich ausgeschlossen).

  2. Schöne Beobachtungen zu dem Thema! Bei jedem sind das vermutlich Vermischungen aus allen Erklärungen, die du genannt hast – beim einen mehr, beim anderen weniger. Für viele ist Fortbildung tatsächlich eine Einzelkämpfersache gewesen, für die man selbständig sorgen muss. Das ist oftmals auch noch systemisch bedingt. Welche Schulleitung lässt zum Beispiel zwei Lehrkräfte untertags zur selben Fortbildung zu? Da fallen ja zwei Leute auf einmal aus, die vertreten werden müssen? Noch dazu ist in vielen Kollegien das Thema SchiLf Neuland oder selten praktiziert, weil sich in diesen Veranstaltungen die Rollen ändern. Aus Kollegen werden auf einmal Referenten und Zuhörer. Bestenfalls sitzt unter letzteren auch noch jemand aus dem Direktorat – und der Rollenkonflikt ist komplett. Vielleicht wäre etwas Niederschwelliges ein Format, das den Leuten die Angst nehmen würde. Ich probiere dieses Mal mal das My-One-Best-Thing-Format aus, das ich an der Eduswabia oder in Gauting oftmals gesehen habe: Jeder stellt für 3 Minuten eine Sache vor, die er in seinem digitalen Unterricht nutzt. So ist jeder für seine Sache für einen kurzen Zeitraum Experte, in den anderen Vorträgen Zuhörer. Die Veranstaltung ist so dezentriert und jeder schlüpft mal in die Rolle des anderen. Mal schauen wie das klappt!

  3. Krawall-Cheval

    Nicht nur in der Arbeit am Jahresbericht habe ich gesehen, dass für Punkt 4 – 6 besonders viel zu sprechen scheint. Ich habe oft den Eindruck, dass wenn miserable Beiträge übermittelt werden, die Urheber dafür auch noch beklatscht werden wollen. Das kommt auch davon, dass im professionellen Zusammenhang eine falsche Dankbarkeits- statt eine realistische Anerkennungskultur gepflogen wird. Das wiederum ist das äquivalente Gegenstück zur Mühsal-Note („Ich habe mich doch so bemüht…“), die Schüler und viele Eltern favorisieren. Wir sind halt eine Lernkultur, die Fehler nicht zu tolerieren gelernt hat, die eigenen nicht und die anderer auch nicht.

  4. Sehr nachdenklich geworden. Die Kommentare haben meinen beinahe ganz vorweg genommen.
    Im alten Verein von den Jüngeren manchmal als „schulmeisterlich“ apostrophiert.
    Von Frau H. manchmal als „oberlehrerhaft“ bezeichnet (wobei sie die „Oberlehrerin“ ist; H. ist ja nur Hauptschullehrer).
    Und – ich wiederhole mich sehr oft.

  5. „… gründlich gelesen werden“ ?

  6. Zefix, Pointe versemmelt. Danke!

  7. Elisabeth

    Bei unserem jährlichen Schnupperabend für Viertklässler (von meinem Mann in Bezug auf seine eigene Schule frech „Prostitutionsveranstaltung“ genannt) ist es ein Riesenspaß, sich die Ausstellungen und Versuche der verschiedenen Fachschaften anzusehen. Immer mal wieder kommt es auch beim Mittagessen oder in einer Pause zu anregenden Gesprächen, bei denen man (jedenfalls ich?) viel lernt. Vielleicht braucht es deshalb gar kein spezielles Lern-Setting, weil der Mensch ja auch so im Alltag voneinander lernt? Vom Lehr- und Lerntyp her sind wir uns wohl recht ähnlich…ich war sicher oft ein nerviges Kind, das neu erworbenes Wissen schnellstmöglich an das nächstbeste Opfer weitergeben musste.

  8. […] war das eine Twitter. Das andere… ich fragte mich neulich, wo die ganzen Besserwisser und Lehrerbelehrer im Kollegium hin sind. Jetzt weiß ich es: die sind […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert