Das Büffet wird hundert: Live zusehen, wie ein Möbel zur Antiquität wird

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Nach hundert Jahren wird etwas zur Antiquität, jedenfalls altersmäßig. Ich beobachte die Datumsgrenze gespannt.

Meine Großeltern haben das Büfett zu ihrer Hochzeit am 26.07.1923 erhalten, jedenfalls um diese Zeit herum, also setze ich ihren Hochzeitstag als Jubiläum für dieses Möbelstück. Es ist mit ihnen von Heilbronn nach Frankfurt gezogen und nach Westheim und nach Augsburg. Dort habe ich es kennengelernt, in der Wohnung nebenan. Da war es ein normales Möbelstück, ganz regulär im Einsatz, ordentlich erhalten, gut fünzig Jahre alt. Es stand im Wohnzimmer, ich weiß nicht mehr, was darin aufbewahrt wurde, Geschirr, glaube ich. Nach dem Tod meiner Großeltern kam das Büffet in den Keller, aus dem ich es in die drei Wohnungen holte, in denen ich in Augsburg gewohnt habe – Spenglergäßchen, Elias-Holl-Platz, Hoher Weg:

Spenglergäßchen 1994

Dann zog es mit mir nach München um, erst in die untere Wohnung, in der Küche, später in einem manchmal „Wintergarten“ genannten Raum, weil unbeheizt, ein ehemaliger großer Balkon, irgendwann als zusätzlicher Raum abgeteilt. Gut zwanzig Jahre später in die obere Wohnung, wo es jetzt steht:

München 2023

Links oben am Büffet kann man eine kleine Stange herausziehen, um etwas aufzuhängen, vorne kann man eine Art Tablett herausziehen. Das untere Teil ist 72 cm tief, also mächtiger, als es vielleicht aussieht.

Das Kruzifix oben gehört original dazu, ist allerdings einmal abgebeizt oder geschliffen worden, so dass das Kreuz heller ist. Daneben stehen eine Opiumpfeife und ein Buddha, Thailand 1975, aus einem Nachlass. Meine Wappentiere Plüsch-Cthulhu und Katta. Drinnen sind jetzt nur noch selten verwendete Sachen, und so freigeräumt ist es auch nie.

Die Schubladen sind unten mit dickem Bleistift (?) beschriftet. Bei Klick kriegt man das Bild in groß, wer’s zu lesen vermag, wir haben es mal halb entziffert.

(Was alles schon drin war: Spirituosen, Comics, DVDs, Gläser, Geschenkpapier, Geschirr, Kartons leer und voll, Geschenkpapier, Küchenkleinkram, Kleidung.)

Über meine Großeltern und insbesondere meinen Großvater muss ich auch noch schreiben, aber dazu muss ich erst Material sichten. 1910 die Volksschule abgeschlossen (noch im Königreich Württemberg), dann Lehre bei einer großen, noch heute existierenden Papierfabrik, Erster Weltkrieg, Aufstieg zum Prokurist, Nationalsozialismus: Ernennung zum (ehrenamtlichen) Bürgermeister, Entnazifizierung, Arbeitslosigkeit, Bahnangestellter, Bürgermeister (gewählt). Mittleres Bürgertum, recht katholisch; einmal im Jahr kam die Weißnäherin, um beim Ausbessern der Bettwäsche zu helfen – alte Laken wurden getrennt und neu zusammengenäht, so dass die alten Außenseiten jetzt innen und die durchgelegene Innenseite an den Rändern war. Zwei Söhne, der älteste im Krieg gefallen, vier Töchter. In meiner Kindheit und Jugend gab es dann auch viele Familienreisen und -treffen, in Augsburg, Berlin, Ascona, New York.


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6 Antworten zu „Das Büffet wird hundert: Live zusehen, wie ein Möbel zur Antiquität wird“

  1. Schönes Möbelstück, mit Buffets aufgewachsen, hatten wir das irgenwann über. Dafür ist unser Esstisch, rund, mit innenliegenden Platten zum Oval ausziehbar, wohl inzwischen auch eine Antiquität.

    Weißnäherin, ein nicht mehr erlernbarer Beruf heutzutage. Die Welt ist im Wandel

  2. Working Man’s Pony

    Genau: ein bürgerliches Ehepaar hat selbst an die Enkel noch etwas zu vererben, z.B. Möbel. Als Definition für ererbte Bürgerlichkeit ist das sicher noch nicht ausreichend, aber doch ein starkes Indiz. Dergleichen gibt es zu beiden Seiten meiner Abstammungslinie nicht, nur eine Handvoll Papiere und Fotos. Zu erben gab es einfach nichts, was das Aufheben wert gewesen wäre.

  3. Henry

    So ein Büffet kann eine Familiäre Zeitkapsel sein! Es gab früher eine Zeit, in der war Aussteuer wichtig. Wäsche, Geschirr und Möbel zum Beispiel.
    Ich bin Teil einer Tischlerfamilie und passend zu dem Büffet-Thema hier kurz die Vita unseres Büffets.
    1928 als Meisterstück von meinem Urgroßvater gebaut, wurde es als Hochzeitsgeschenk an Fremde verkauft. In
    unsrer Familie ging diese Info irgendwann verloren. Erst vor zwanzig Jahren sprach ein Nachfahre der Kunden uns deshalb an.
    Nun ergab sich, das die Kinder der Familiengründung von 1928 verstarben und niemand von der Familie an dem Büffet interessiert war. Es wurde uns, der Tischlerfamilie, angeboten.
    Es steht seit diesem Jahr wieder bei uns, hat einen Ehrenplatz. Ästhetisch und handwerklich ein echter Hingucker.
    Für solche Möbel gibt es zur Zeit keine wirkliche Nachfrage. Der Wert besteht hauptsächlich Ideell.
    Die Beschriftung unter den Schubladen deute ich so: Das Büffet wurde in Serie von mindestens zwei Stück gebaut und die Schübe eingepasst, gekennzeichnet. Bei der Oberflächenbehandlung zu Schluss wurden alle Teile einzeln gestrichen. Damit alles wieder zurückfindet, wurde beschriftet. Es könnten demzufolge auf der Rückwand oder einer Tür unten eine römisch zwei zu finden sein.
    Beste Grüße, Henry

  4. Diese Geschichte gefällt mir sehr gut, Henry. Ehrenplatz klingt richtig!
    Und vielen Dank für die Erläuterungen zur Beschriftung, wenn sich Gelegenheit ergibt, will ich nachsehen.

  5. Sehr schönes Stück. Wir haben von meinen Großeltern einen wunderschönen Kirschholz Sekretär von Hessen mit nach München genommen. Baujahr 1921 steht innen auf einer Schublade. Außerdem hat er 5 Geheimfächer, ich kenne sie alle.

  6. Geheimfächer! Kann man je wissen, ob man alle kennt? Im Buffet sind keine, und in schönem Zustand ist es auch nicht, ich könnte es vielleicht mal herrichten lassen.

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