Lehrpläne entschlacken, wieder mal, mal wieder

(9 Kommentare.)

Was der Lehrplan im Leistungskurs Deutsch (gehobenes Niveau) in 12/13 in meiner Schulzeit vorschrieb (und was wir auch lasen):

  • Ein Schiller-Drama (Maria Stuart)
  • Sturm-und-Drang-Drama von Goethe oder Schiler (Götz von Berlichingen)
  • Wolfram von Eschenbach, Parzival (Auswahl, Übersetzung) (nur kurz)
  • Iphigenie auf Tauris
  • Faust I
  • Faust II (Auszüge) (na ja, sehr wenige Auszüge)
  • Ein Drama entweder von Kleist, Grillparzer, Büchner, Hebbel oder Hauptmann (Woyzeck, und Agnes Bernauer)
  • Eine Novelle von Eichendorff, Keller, Stifter oder Hauptmann (Die drei gerechten Kammacher)
  • Eine Novelle von Hofmannsthal oder Thomas Mann (Tonio Kröger, Mario und der Zauberer)
  • Ein Drama und ein Roman der zeitgenössischen Literatur (Dreigroschenoper, Ansichten eines Clowns)
  • Eine griechische Tragödie oder eine Tragödie von Shakespeare (Macbeth)
  • (tatsächlich stand im Lehrplan von 1976 noch ein wenig mehr, aber das galt zu meiner Schulzeit vielleicht schon nicht mehr)

Was der aktuelle Lehrplan (gleichfalls gehobenes Niveau) in 12/13 für die Schüler und Schülerinnen als Lektüre vorschreibt:

  • Jenny Erpenbeck, Heimsuchung
  • Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug
  • 3 weitere Werke (eines davon kann durch Graphic Novel oder Film ersetzt werden)

Ja, früher hatte man mehr Unterrichtsstunden für das Fach. Nein, die Schüler und Schülerinnen lernen dafür heute nicht mehr Kommunikations- oder Sprachtheorie oder sonstwas. Vielleicht haben sie dafür mehr und besseren Unterricht in einem anderen Fach; ich glaube es eher nicht. Vermutlich gibt es gute Gründe für die Unterschiede, und geht es einfach nicht anders; ich will nur daran erinnern, dass es mal anders war.

Das Kultusministerium kündigt ansonsten schon wieder an: Lehrpläne entschlacken, und unangekündigte Prüfungen abschaffen. (Buschtrommel: Dramenanalyse im Abitur abschaffen, mündliche Schulaufgabe verstärken.) Nichts gegen Reformen. Aber:

Erstens ist ein guter Teil des Lehrplans ohnehin Kosmetik und wird nicht gemacht, und der Teil wird nie entschlackt.

Zweitens ist der Lehrplan Deutsch besonders irreführend; was tatsächlich zählt, ist das Aufsatz-KMS, das unter dem Politikradar fliegt und herauskommt, wenn sich sämtliche Lehrplanänderungswogen geglättet haben..

Drittens habe ich nichts dagegen, unangekündigte Prüfungen abzuschaffen. Mit unseren Prüfungen läuft so viel falsch, da ist das auch schon egal, in die eine wie in die andere Richtung. Unredlich finde ich nur, wenn man argumentiert, dass die Noten bei angekündigten statt unangekündigten Prüfungen gleichbleiben. Noten bleiben natürlich immer gleich. Interessanter wäre die Frage nach dem Leistungsvermögen, oder den tatsächlichen Kompetenzen, aber die stellt man nicht.

Nachtrag: Die Beispiel-Stoffverteilungen des Kultusministeriums (Link) gehen alle von 6 gelesenen Werken aus. Nun ja.


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9 Antworten zu „Lehrpläne entschlacken, wieder mal, mal wieder“

  1. Kanonpony

    Ergänzend wäre dem hinzuzufügen (und keinesfalls in der Absicht, die Erbärmlichkeit des angestrebten Niveaus zu rechtfertigen):
    Etwa die Hälfte des zukünftigen Oberstufenunterrichts widmet sich in Unterricht und Prüfung theoretisch der Sachtextanalyse und dem Erörtern (ausweislich der im schriftlichen Abitur abgeprüften „Kompetenzen“).
    Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche Abiturientinnen und Abiturienten von der neuen Wahlmöglichkeit Gebrauch machen werden, die Abiturprüfung in Deutsch als Kolloquium zu bestreiten (50%?). Das war auch im alten G9 (Grundkurs) so bzw. da lag die Anzahl der Deutsch-Kolloquien sogar noch höher als die der schriftlichen Prüfungen, wenn auch nicht alle in Deutsch eine Abiturprüfung ablegen mussten.
    Folglich sollte auch die mündliche Abiturprüfung alle gelehrten Inhalte (grob vereinfacht: Literaturgeschichte, Argumentation und Sachtextanalyse) abdecken. Im alten G9 beschränkte sich die Kollquiumsprüfung typischerweise auf literaturgeschichtliche Inhalte. Das sollte m.E. in der neuen Prüfung nicht mehr der Fall sein.
    Daraus kann sich dann aber schon auch die Forderung ableiten, dass in der 10. oder 11. Jgst. wenigstens einmal eine mündliche (schulaufgabenwertige?) Prüfung abgehalten werden soll, weil analog zu den Fremdsprachen (E,F) ja auch mal erfahren werden muss, wie so eine Prüfung abläuft, schon allein deswegen damit die Schülerinnen und Schüler bei ihrer Entscheidung über ihr individuelles Prüfungsprogramm ausreichend informiert sind. Dies würde insbesondere dann gelten, wenn das inhaltliche Prüfungsspektrum auf die anderen Bereiche (Sachtextanalyse, Argumentieren) erweitert wird.

  2. Im Leistungskurs 12./13. Klasse habe ich in Hamburg zwischen 1989 und 1991 in Deutsch das Glück gehabt, dass der Lehrplan gerade geändert wurde und die Lehrerin uns vor die Wahl gestellt hat, das 1000. Mal Faust zu unterrichten oder ob sie mal was ganz neues machen darf und wir hatten alle Lust aufs Neue. Stattdessen gab es für uns Exilliteratur: Allende/Das Geisterhaus, Marquez/Chronik eines angekündigten Todes und eins von jemandem, der aus der DDR in die BRD geflüchtet war. Auch die anderen Halbjahre waren spannend, da war Das Beil von Wandsbek dabei und tolle Projektarbeiten zu Rhetorik und eine von uns selbst zu schreibende Geschichte. Goethe haben wir als lustiges Theaterstück abgehandelt mit einer Persiflage (Goethe spielt Goethe und hat keine Ahnung von seinem Leben und dem Hype darum). Den Text gab es schon, den Titel kenne ich nicht mehr.

    Danke für die schöne Erinnerung daran durch den Beitrag!

  3. Susann

    Die Schule meines Vertrauens lebt weitestgehend ohne unangekündigte Prüfungen mit dem Argument, dass die Schüler eh nicht „kontinuierlich mitlernen“, d.h. die Steuerungsfunktion der unangekündigten Prüfung („Ich muss lernen, ich könnte ja geprüft werden!“) nicht mehr funktioniert, und die Ergebnisse dann dermaßen erbärmlich ausfallen, dass nachkorrigiert werden muss, um einen Schnitt unter 4 zu erhalten, was dort gewünscht wird.
    Mich würde interessieren, wie das anderswo gehandhabt wird – gibt es unangekündigte Prüfungen anderswo im selben Ausmaß wie früher? Oder gehen die langsam den Weg alles Irdischen?

  4. @Ines: Das war wohl „Goethe im Examen“, ein Sketch von den sehr erwähnenswerten Egon Friedell und Alfred Polgar. Auxh bei Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=TqI-huNujlQ

    @Susann: In Bayern wird seit bestimmt zehn Jahren propagiert, keine unangekündigten Prüfungen mehr zu schreiben, oder auch nur unangekündigte mündliche Noten zu machen. Auch das Kultusministerium signalisiert immer wieder, dass es das gut findet – letztlich, sage ich, weil Eltern und SuS sich das wünschen. Aktuell deutet das Ministerium eben auch nach, das quasi so vorzuschreiben. Tatsächlich ist an den Schulen, die ich kennen (es sind nicht viele, aber vermutlich typische), die Zahl an solchen prüfungen zurückgegangen. Die Fächer unterscheiden sich dabei wahrscheinlich (es gibt Fächer, die Grundwissen erfordern, und andere) ebenso wie die pädagogischen Ansichten der Lehrkräfte.

    Auswirkung: Auf jede schriftliche Prüfung wird viel mehr Zeit zu Hause aufgewendet, so dass für nichts anderes mehr Zeit bleibt, und nach der Prüfung wird alles vergessen. Die Stimmung ist dafür friedlich.

  5. @Goethe im Examen Ja genau das war das!

  6. Eule

    Mein Deutschlehrer meinte damals, Deutschlehrer erkenne man daran, dass sie wüssten, dass es „Der zerbrochne Krug“ heißt, nicht der „zerbrochene“… 😉

    Wie man sieht, habe ich vom damaligen Unterricht etwas behalten!

  7. Sehr gut erkannt, und passt auch metrisch besser. Dieser Spruch wird jetzt für ein paar Jahre wiederbelebt, denke ich.

  8. Ich erinnere, daß der Deutsch-Leistungskurs (wie alle anderen) sechs Wochenstunden unterrichtet wurde. Wieviele Stunden sind es denn heute?

  9. Deswegen schrieb ich: „Ja, früher hatte man mehr Unterrichtsstunden für das Fach.“ Es waren in der Tat 6, heute sind es 4 Deutschstunden pro Woche. Es sind also auch prozentual weniger Werke geworden.

    Allerdings galt damals in Bayern, oder kurz nach meiner Zeit, das Minium von 116 Semesterwochenstunden in der Kursphase der Oberstufe, heute sind es 126 Stunden (124 bei Vertiefung in M oder D). Man könnte also behaupten, heute werde weniger tief, aber dafür breiter gelernt; so weit würde ich ohne weitere Betrachtung nicht gehen, aber möglich wär’s schon.

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