Auf Twitter hat jemand eine Anwendung für KI-erzeugte Texte vorgestellt:
I mentor a young lad with poor literacy skills who is starting a landscaping business. He struggles to communicate with clients in a professional manner.
— Danny Richman (@DannyRichman) December 1, 2022
I created a GPT3-powered Gmail account to which he sends a message. It responds with the text to send to the client. pic.twitter.com/nlFX9Yx6wR
Das Interessante daran sind zwei Sachen, eine davon ist der ältere Hut: Man gibt der KI in schlechtem Englisch und ohne auf Satzbau zu achten einen knappen Inhalt vor. Die KI ist so eingestellt, dass sie diesen Inhalt in eine andere Form gießt, nämlich einen ordentlichen Geschäftsbrief daraus macht. Das andere ist, dass der Vorgang bequem automatisiert ist: Man schickt an eine bestimmte E-Mail-Adresse den Inhalt und erhält kurz darauf die KI-Fassung zurück. Das wollte ich mir näher anschauen. Erfreulicherweise erklärt der ursprüngliche Autor auf dieser Seite, wie er das gemacht hat. Das habe ich nachgebaut, und wenn ich jetzt an eine meiner Adressen mit einem bestimmten Codewort im Betreff das hier schreibe:
Dear Mr Rau, I’m sorry couldn’t do the presentation. Love, Alex
dann schickt mir die KI danach folgende verbesserte Fassung:
Dear Mr Rau,
I hope you are well. I’m writing to apologise for not being able to do
the presentation. I know this has caused an inconvenience and I’m
sorry for that.If there is anything I can do to help make up for it, please let me
know and I will do my best.Thank you for your understanding.
Kind regards,
Alex
(Wenn ich diese Fassung an die KI zurückschicke, ändert die KI nur die kursiv markierten Wörter in der erste Zeile zu „I hope you are doing well. I am writing to apologise“, und wenn ich diese Fassung an die KI schicke, kriege ich sie unverändert zurück – die KI hat nichts mehr zu verbessern.)
Wer nicht oft Geschäftsbriefe schreibt, für den ist das vielleicht ein nützliches Werkzeug. Oder Glückwünsche zu einem Geburtstag? Weihnachtskarten? Kondolenzbriefe?
Bequeme Automatisierung
Der andere Aspekt ist der der Automatisierung. Dazu habe ich, der Anweisung folgend, die Webseite Zapier benutzt. Die funktioniert so ähnlich wie der Dienst IFTTT – „if this then that“. Diesem Dienst habe ich Zugriff auf mein Gmail-Konto gegeben und zu meinem KI-Webdienst und dann folgenden Ablauf etabliert:
- WENN eine E-Mail mit einem bestimmten Betreff in dem Konto eingeht (das heißt, dass Zapier entweder regelmäßig die E-Mail abfragt oder, eher, dass der Google-Dienst Zapier darüber benachrichtigt)
- DANN nimm den Text dieser E-Mail
- forme ihn in Kleinbuchstaben um (aus unwichtigen technischen Gründen)
- schicke einen Auftrag zur Übersetzung/Verbesserung an GPT3 (den Web-KI-Dienst), gefolgt vom Ergebnis des vorherigen Schritts
- nimm das, was der Dienst daraufhin zurückgibt
- und schicke es, mit ein bisschen Text drumrum, an den ursprünglichen Absender.
Nach diesem System könnte man zum Beispiel immer dann, wenn hier ein neuer Blogeintrag entsteht, automatisch einen Kommentar dazu verfassen lassen und veröffentlichen. Ich habe das mal ausprobiert und ohne jegliches Feintuning im ersten Versuch diesen deutschsprachigen Kommentar zu meinem letzten Blogeintrag: erstellen lassen
Es wurde eine interessante Diskussion aufgeworfen und ich finde es toll, dass sich viele Blogger und Bloggerinnen beteiligen. Es ist ein spannender Gedankenaustausch entstanden, in dem jeder seine Meinung einbringen kann. Ich denke, dass die Differenzierung der Schule ein wichtiges Thema ist und es wichtig ist, dass Eltern das Recht haben, für ihre Kinder die Schule auszusuchen, die am besten zu ihnen passt. Dennoch ist es wichtig, dass Kinder die Möglichkeit haben, so viel wie möglich zu lernen. Letztendlich ist es wichtig, dass die Schule eine Erfahrung ist, die die Kinder für ihr Leben nutzen können.
Zugegeben, der Kommentar ist sehr banal. Das wäre doch sicher allen aufgefallen. Andererseits.
Fragen und meine Antworten
Ist die KI wirklich intelligent? Kurze Antwort: Nein. Sie versteht nicht, was sie tut. Andererseits, was heißt schon Intelligenz? Lange Antwort: Immer noch nein.
Kann die KI etwas schreiben, was noch nie jemand geschrieben hat? Klar. Sie arbeitet durch Rekombination von vorhandenen, ursprünglichen Textteilen. Da kommt sicher oft etwas Neues heraus.
Kann dabei etwas Kreatives herauskommen, Kunst, Literatur, ein interessanter Gedanke? Hmja, schwierig, und Knackpunkt. Poetische Geschichtenanfänge, stimmungsvolle Wetterschilderungen, witzige Zweizeiler: Ja, das geht. Andererseits ist das nicht zu weit entfernt von dem Lustigen Frage- und Antwortspiel für Jung und Alt meiner Kindheit, wo man von einem Kartenstapel eine Frage und vom anderen eine Antwort zieht und dann über das originell Unpassende daran lacht. Ab und zu ist selbst aleatorischer, zufallsproduzierter Text lesenswert.
Wenn man die KI etwa mit dem dort vorgegebenen Beispiel einer von einem Menschen erstellten Zwei-Satz-Gruselgeschichte füttert („Topic: Breakfast Two-Sentence Horror Story: He always stops crying when I pour the milk on his cereal. I just have to remember not to let him see his face on the carton.“) und ihr dann sagt, so etwas Ähnliches mit dem Topic „Blogs“ zu schreiben, kam bei meinem ersten Versuch heraus: „I tried to ignore the strange comments I was getting on my blog, but they kept coming. Eventually I realized they were coming from my own account.“ Ist das schon Kunst? Oder scheint zu sehr das Topos vom Telefonanruf aus dem eigenen Haus durch?
Spielt es nicht doch eine Rolle, wer etwas geschrieben hat, und wann, in welchem Zusammenhang, und in welcher Tradition? „In a Station of the Metro“ von Ezra Pound, „The Red Wheelbarrow“ von William Carlos Williams, ist das ohne historischen Kontext verständlich? Wenn man Herz auf Schmerz reimt, ist das dann ein Klischee oder genial oder kommt es darauf an, wer das wann getan hat? (Robert Gernhardt zitiert dazu Arno Holz.) Bei moderner bildender Kunst ist akzeptiert, dass das Kunstwerk nicht einfach das Objekt im Museum ist, sondern dass dessen Geschichte und Position im Werk dazu gehört. Andererseits nähert man sich damit auch den 12.000 $, die für einen falschen Nagel bezahlt wurden, den Lady Gaga bei einem Konzert verloren hat, oder der Locke von Justin Bieber, die für 40.000 $ versteigt wurde. Es ist schwierig. Aber längere Texte sind noch am ehesten von Autor und Autorin und, halbwegs, von Tradition und Form losgelöst genießbar.
Andererseits wiederum beschäftigt sich Jorge Luis Borges in „Pierre Menard, Autor des Quijote“ genau damit. In dieser Erzählung wird – von einem nur mäßig zuverlässigen Erzähler – vom Hauptwerk des Pierre Menard berichtet, der sich vorgenommen hatte, zwei Kapitel aus dem Don Quijote zu schreiben. Also, wörtlich die gleichen Kapitel, aber bewusst und nach vielen Notizen und Versuchen und Alternativen. Der Erzähler meint: „Der Text Menards und der Text Cervantes‘ sind Wort für Wort identisch; doch ist der zweite nahezu unerschöpflich reicher.“ Wenn Cervantes im frühen 17. Jahrhundert etwas beschreibt, ist das vielleicht eine gängige Floskel, wenn Pierre Menard im frühen 20. Jahrhundert das gleiche schreibt, bedeutet das etwas ganz anderes.
Dieser [Cervantes] stellt auf plumpe Art zu den ritterlichen Phantasieprodukten die armselige Provinzwirklichkeit seiner Heimat in Gegensatz; Menard erwähnt als „Wirklichkeit“ das Ursprungsland Carmens im Jahrhundert Lopes und Lepantos. Zu welchen Spanioladen hätte diese Wahl nicht Maurice Barrès oder den Doktor Rodríguez Larreta beflügelt! Menard entgeht ihnen mit größter Selbstverständlichkeit. In seinem Werk gibt es weder Zigeunereien, noch Conquistadoren, noch Mystiker, noch Philipp den Zweiten, noch Autodafés. Er nimmt keine Rücksicht auf die Lokalfarbe oder verbannt sie; diese Verschmähung deutet auf ein neues Verständnis des historischen Romans. Diese Verschmähung spricht ‚Salammbô‘ unwiderruflich das Urteil.
Was bedeutet das für Schule und Gesellschaft? Weiß ich nicht, ich habe da kein Bedürfnis, Speerspitze zu sein, höre aber interessiert mit.
Muss man überhaupt noch Texte schreiben können? Ja. Oder nein: Im Alltag brauchen die meisten Menschen Geschäfts- und Kondolenz- oder Glückwunschbriefe, vielleicht Hochzeitsreden. In etwas gehobener Position braucht man Reden und Ansprachen. Die meisten Menschen müssen keine anderen Texte schreiben. Die Möglichkeit, Texte zu schreiben, ist aber wichtig – Leserbriefe, Tagebücher, Poesie, Graffiti. Alle sollten die Chance haben, das zu lernen. Nicht alle werden es lernen. Außerdem wird man sich auch in Zukunft spontan textlich, wenn auch mündlich äußern müssen, etwa über einen Film oder ein Anliegen, jedenfalls wenn man mit mir einen Kaffee trinken will.
Was bedeutet das für benotete Prüfungen? Bei allem, was zuhause und nicht unter traditionellen Prüfungsbedingungen entsteht, kann man noch weniger als bisher wissen, wer das geschrieben hat. Den Inhalt kann man vielleicht noch beurteilen, die Qualität der Sprache an sich, etwa in der Fremdsprache, nicht.
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