Die Blogparade
Bob Blume hat eine Blogparade ausgerufen, Stoffwechsel jetzt! Eine Blogparade ist, wenn in verschiedenen Blogs, oder inzwischen: irgendwo im Web, alle zu einem gemeinsamen Thema schreiben. Bob hat Anregungen dazu geben, aber ich habe bisher noch nichts geschrieben, weil mir nichts eingefallen ist, dass ich nicht schon oft genug geschrieben habe. Das Thema ist diesmal “Stoff”, der Hashtag dazu soll #stoffwechseljetzt sein.
Der Begriff “Stoff”
Das ist ein Reizwort, so wie: Noten, Hausaufgaben, Prüfungen, Korrektur in Rot. Ich verstehe darunter: Das, was im Lehrplan und anderen entsprechenden Vorschriften steht. Das hat vor allem, aber nicht nur, fachwissenschaftliche Aspekte. Ein neutraler, eher sogar positiv besetzter Begriff. Für andere ist er negativ besetzt. Im Laufe dieses Blogeintrags denke ich an diesem Wort herum.
Ein Beitrag und meine Reaktion
Eben hat Jan-Martin Klinge seinen Beitrag zu dieser Parade geschrieben, und das hat mich dann doch zum Beteiligen gereizt. Antworten ist immer leichter, als sich selbst etwas auszudenken. Jan-Martin schreibt letztlich nur: Ach, Hauptsache weniger, und hat damit nicht unrecht. Und doch…
Vielleicht sollte man differenzieren. Differenzierung ist doch gut? Es könnte Schulen geben, die viel Stoff anbieten und Schulen, die weniger Stoff anbieten. Und dann können sich Eltern und Kinder und Jugendliche aussuchen, auf welche Schule sie gehen! So etwas deutet Jan-Martin am Ende an, wenn er mehr Freiheit fordert. “Dort mehr Fördern. Hier mehr Fordern.” Die Freiheit kann also auch Freiheit zu mehr Stoff sein?
In Zeiten, da Lehrkräfte immer mehr Aufgaben übernehmen müssen, die früher™ von traditionellen Familien und der Gesellschaft übernommen wurden, brauche ich nicht immer mehr Fächer und immer mehr Inhalte – sondern mehr Freiheit.
Eine Differenzierung würde also dazu führen, dass dort, wo Aufgaben immer noch oder überdurchschnittlich von den traditionellen Familien und der Gesellschaft übernommen werden (und das sind nicht wenige), die Kinder auf die Schulen mit dem Stoff gehen könnten, und die anderen halt nicht. Das kann andererseits auch nicht der Wunsch sein, oder?
Das ist mein Problem mit dem Stoff oder den Noten oder den Prüfungen: Man kauft, wenn man nur richtig nachfragt, immer das ganze Paket ein – Stoffreduktion, Abschaffung von Noten, Abschaffung von Hausaufgaben, Ganztagsschule, Gemeinschaftsschule, Abschlüsse abschaffen. Es geht nie nur um einen Aspekt. Mit einem System könnte ich wahrscheinlich gut leben. Ich diskutiere nur nicht gerne darüber.
Zwischendrin mal möchte ich ergänzen, dass ich Jan-Martin und Bob sehr schätze. Hier ein Bild von Maik Riecken, den beiden und mir:

Wozu Stoff?
Ginge irgendjemandem etwas verloren, wenn er keine Minnelyrik in der Schule gehabt hätte? Sich weder mit Mitochondrien noch dem zweiten Strahlensatz beschäftigt hätte? Wenn man schlicht nichts von Schiller gelesen hätte (Geständnis: Ich habe nichts von Schiller gelesen)?
Die Frage ist vielleicht ein bisschen unglücklich gestellt. Irgendjemandem geht sicher immer etwas verloren. (Ich kann mich nicht an Schiller-Lyrik im Unterricht meiner Schulzeit erinnern. An die “Bürgschaft” im unter der Bank gelesenen Lesebuch allerdings schon.) Gemeint ist sicher: Geht einer nennenswerten Anzahl etwas Nennenswertes verloren? Und ist damit gemeint, Schiller ersatzlos zu streichen oder durch Herder zu ersetzen? Das wäre einfach zu beantworten; denn Lernen in der Schule ist in vielen Fällen exemplarisch, und welchen Stoff man im Detail lernt, ob mehr Schiller oder mehr Herder, das macht keinen nennenswerten Unterschied. Also geht es wohl darum, Inhalte zu streichen, ohne sie durch anderen Stoff zu ersetzen. Wie viel geht verloren, wenn man mit nur 70% des Stoffs aus der Schule kommt?
“Teacher! Will we ever use any of this algebra?”
https://www.smbc-comics.com/comic/why-i-couldn39t-be-a-math-teacher
“You won’t, but one of the smart kids might.”
Um dieser Frage nachzugehen, beantworte ich Jan-Martins konkrete Fragen:
- Drei-Finger-Regel: Klar kenne ich die noch. Wann ich sie zuletzt gebraucht habe: Das weiß ich nicht. Beim Basteln mit dem Arduino vielleicht, beim Visualisieren eines Dynamos oder Elektromotors, aber stimmt, wieso muss ich denn so etwas visualisieren?
- Zwölftonmusik: Ja, kenne ich, aber wie viel das aus der Schule ist und wie viel ich das erst später nachgeschlagen habe, das weiß ich nicht mehr. Gebraucht: Im letzten oder vorletzten Schuljahr im Gespräch mit einem Schüler, der nebenbei Gesang studiert. Aber klar, ich hätte mich vielleicht auch über Fußball unterhalten können.
- “Ist die Geschichte der Weimarer Republik eher durch das Leiden der Kriegsfolgen gescheitert, die verschiedenen Putschversuche oder die Hyperinflation? Und wann haben Sie zuletzt darüber nachgedacht?” Zuletzt nachgedacht: Vermutlich bei Büchern, die zu dieser Zeit spielen (das letzte Juni 2022), aber auch sonst immer wieder. Und bei Parallelen der 1920er Jahre zur Gegenwart, die gerade immer wieder mal gezogen werden. Eine Antwort habe ich aber nicht.
- “Wodurch unterscheidet sich in der Kunst eigentlich der Impressionismus vom Expressionismus? Und warum löste das eine das andere ab?” Taucht, sicher nur oberflächlich, in meinem Deutschunterricht immer wieder auf. Auch hier gilt wieder: Wie viel ich aus meiner Schulzeit habe und wie viel ich danach gelernt (oder oben drauf gesetzt habe), das kann ich nicht sagen. Vermutlich wenig unmittelbar aus der Schule?
- “Sind die Begriffe Konvergenz, Divergenz und Subduktion im Fach Erdkunde für das Verständnis der Plattentektonik eigentlich unabdingbar?” Da muss ich passen. Plattentektonik kenne ich natürlich, schon mal wegen Lovecraft, der das, naturwissenschaftlich stets interessiert, als die letzte heiße Sache in seine Geschichten packte. Ich weiß noch, wie verblüfft ich war herauszufinden, dass das eben noch nicht immer schon bekannt ist, sondern erst seit kurzer Zeit. Die konkreten Begriffe erinnere ich nicht, ich könnte raten.
Ja, ich glaube, der Gesellschaft geht viel verloren, wenn niemand mit der Drei-Finger-Regel aus der Schule kommt.Ein paar müssen schon das Prinzip kennen, wie Strom und Bewegung und Magnetismus etwas miteinander zu tun haben, und ohne Differenzierung heißt das, dass alle diesem Stoff ausgesetzt werden. Zwölftonmusik: Braucht die Gesellschaft so etwas? Einzelnen Schülern und Schülerinnen geht vielleicht etwas verloren. Ich hätte nicht dazu gehört. Sollen wir wirklich Rücksicht auf einzelne nehmen? (Ja, natürlich.) Bloß weil nicht alle den Stoff verstehen oder von ihm profitieren, heißt nicht, dass der Stoff abgeschafft werden sollte. Bloß weil man etwas nach ein paar Jahren nicht mehr auswendig weiß, heißt nicht, dass es unnütz war, das zu lernen.
Fazit
Im Zweifelsfall ist es besser, mehr Stoff zu lernen als weniger. Im Zweifelsfall soll heißen: Nicht um jeden Preis, Gesundheit ist wichtiger, Charakter auch. (Zum Charakter kann die Schule nicht viel beitragen, glaube ich. Anderes Thema) Mit dieser Einschränkung im Hintergrund will ich vereinfachend sagen: Je mehr man in der Schule an Stoff lernt, desto besser. Alle Schüler und Schülerinnen sollen Gelegenheit haben, so viel wie möglich zu lernen.
Nur: Wie viel lernt man denn wirklich? Würde man mehr Stoff lernen, wenn weniger Stoff im Lehrplan stünde? Vieles von dem, was im Lehrplan steht, wird ohnehin nicht gemacht. Minnelyrik? Vielleicht mal eine Stunde? “Die Schülerinnen und Schülerwürdigen den Sinn umweltschonenden Sports” ist auch Stoff. Der wird wahrscheinlich gar nicht gemacht. Anderes, was im Lehrplan steht, wird abgehakt, damit man sagen kann, den Lehrplan erfüllt zu haben – aber damit habe ich wenig Erfahrung, weil das in meinen Fächern kaum vorkommt. Mancher Stoff steht aus politischen oder edlen Motiven im Lehrplan, aber was wirklich gewünscht und gemacht wird, ist: Prüfungsvorbereitung. Was geprüft wird, ist der eigentliche Stoff, das wünschen sich alle so (außer den Lehrkräften), für das Fach Deutsch heißt das: Aufsätze. Das andere, was im Lehrplan steht, mündliche Kommunikation, Theaterspiel etwa, kommt zu kurz. Aber das meint man ohnehin nie, wenn man gegen Stoff ist, oder? Stoff sind die Teile des Lehrplans, die man nicht mag? Ich hätte lieber erst einmal ehrlich gemeinte Lehrpläne, auf deren Basis ich über Stoff diskutieren könnte.
Dass so viele Lehrkräfte etwas gegen Stoff haben, liegt vielleicht daran, dass zu viele Schüler und Schülerinnen unglücklich aus dem Unterricht kommen. Weil sie etwas nicht verstanden haben, weil sie etwas schlecht erklärt bekommen haben, weil sie inkommensurable Ansprüche an sich haben, weil sie keine Lust auf Hausaufgaben haben, keine Lust auf Büffeln, weil sie Angst vor dem Durchfallen haben, weil sie durch schlechte Noten und fehlendes Verständnis durch die Schule demotiviert sind. Ist der Stoff daran schuld?
Ach, ich weiß es nicht. Und ich höre jetzt auf. Richtig Struktur kommt hier auch keine zustande, ich habe ein paar Zwischenüberschriften ergänzt, um welche zu simulieren.
Nachtrag: Weniger Prüfungen, weniger prüfen, dann wird der Stoff automatisch zu einem Angebot statt zu einer Tränen verursachenden Pflicht. Bleibt aber das Problem der Abschlüsse.
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