In den letzten Wochen liest man immer mehr über Urheberrecht und Piraten, offene Briefe von Tatort-Drehbuchautoren und Mein-Kopf-gehört-mir-Kampagnen. Nicht alle vorgebrachten Behauptungen stimmen. Das Handelsblatt rechtfertigt sich in einer Videobotschaft, über die man sich lustig machen kann.
Das sind wohl alles Reaktionen auf den Wahlerfolg der Piraten und den Widerstand gegen ACTA, die verstanden werden als Angriff auf das Urheberrecht. Beides ist so viel mehr als das, auch wenn tatsächliche viele Menschen unzufrieden mit dem Urheberrecht sind – zufrieden sind nicht mal die Verlage, denen das Urheberrecht noch nicht weit genug geht und die deshalb ein Leistungsschutzrecht für sich reklamieren.
(Fußnote: Die öffentlich-rechtlichen Sender verhandeln mit den Verlagen, damit die Sender ja nicht zu viel öffentlich-rechtliches Material ins Internet stellen. Depublizieren ist der Fachausdruck dafür, wenn nach sieben Tagen Material nicht mehr zugänglich sein darf. Das ZDF will online auch weitgehend auf Texte verzichten, weil sie ja Fernsehen machen und nicht irgendwas mit Wörtern. Mit dem Druck durch die Verlage habe das aber nichts zu tun.)
Ein Katalog von Fragen und Behauptungen zum Thema:
1. Ich möchte für manches nicht zahlen.
Wenn ich in meinem Blog ein Buch bespreche, will ich das Titelbild dazu einscannen und in die Besprechung einbauen – ohne vom guten Willen der Verwertungsrechteinhaber abhängig zu sein. Es tut der Gesellschaft gut, wenn ich öffentlich über Bücher schreibe. (Und mit „ich“ meine ich natürlich: Leute.) Deshalb sollte der Staat das unterstützen und nicht behindern.
Darf ich das mit den Titelbildern im Moment? Ich weiß es nicht mal sicher, aber vermutlich nicht. Darf ich das nur als Journalist oder Wissenschaftler? Bin ich dann als Blogger Journalist mit allen Rechten und Pflichten? Muss ich beim Zitieren wissenschaftliche Kriterien anwenden? Darf ich veröffentlichte Filmausschnitte oder Musikclips zitieren? Klare Antwort: nein. Wäre es gut für die Gesellschaft, wenn ich das dürfte? In welchem Rahmen?
2. Ich kann für manches nicht zahlen.
Nicht weil ich kein Geld habe. Die GEMA ist nämlich gar nicht teuer, aber der Papierkram zu aufwendig. Es gibt noch keine brauchbaren Geschäftsmodelle. Ich möchte auf das Angebot einer Zeitung verlinken können, ein paar Euro einwerfen, und dafür ist der Text hinter dem Link für zwei Wochen freigeschaltet (für meine Leser und alle anderen). Bei Musikschnipseln für Podcasts ist das schwieriger – ich möchte nicht zur Depublikation nach einem bestimmten Zeitraum gezwungen werden. Auch das tut der Gesellschaft gut – und zwar mehr, als dass es der Gesellschaft schadet, indem es den Spielraum der Verwertungsrechteinhaber beschneidet.
3. Es gibt eine Kostenloskultur im Internet und anderswo
Das mit der Kostenloskultur ist ein beliebtes Schlagwort, und das Handelsblatt weist darauf hin, das weder frische Luft noch schöner Ausblick und eigentlich nichts auf der Welt kostenlos ist. „Was nichts kostet, ist auch nichts wert“ hört man ebenfalls oft. Das ist Unfug. Mein Blog kostet nichts und ist ein bisschen was wert. (Schließlich würden mir Leute Geld dafür zahlen, hier Werbung zu schalten.) Aber vor allem gibt es viele Open-Source-Produkte – ich nutze Linux, Thunderbird, Firefox und viele weitere. Auch im realen Leben gibt es Freiwillige, die sich engagieren, ohne dafür bezahlt zu werden.
Das Schlagwort von der Kostenloskultur gilt eher für Wohnungseinweihungs- und Geburtstagsfeiern, wo jugendliche oder ältere Gäste ein paar Gigabyte mp3-Aufnahmen mitbringen und auf die Festplatte des Gastgebers kopieren. Ich glaube nicht, dass dadurch der Musikindustrie Verluste entstehen, auch wenn ich aus anderen Gründen dagegen bin. Mein Wunsch, diese Leute strafzuverfolgen, hält sich allerdings in Grenzen.
4. Softwarepiraterie ist keine Piraterie, Raubkopie ist kein Raub, Diebstahl von geistigem Eigentum gibt es nicht.
Nur um mal ein paar Begriffe zu klären.
— Zu diskutieren:
Eine Gesellschaft braucht hauptberufliche Urheber. (Journalisten, Maler, Drehbuchautoren, Romanschreiber, Bildhauer.)
Ohne Fernsehsender können Drehbuchautoren, ohne Verlage keine Romanautoren, ohne Zeitungen keine Journalisten leben.
Korollar: Nur wenn es dem Verlag gut geht, geht es auch dem Autor gut.
Ein Urheber muss Rechte an den Verwerter abtreten. Tritt er zur Zeit zu viele, zu wenige oder genau richtig ab?
Die Marktwirtschaft regelt das nicht allein, es gibt Gesetze. Das Urheberrecht kann man gar nicht abtreten; für bestimmte Leistungen muss man gesetzlich angemessen entlohnt werden, auch eventuell im Nachhinein.
Was hat der Urheber von der aktuellen Rechteabgabe?
Was hat der Verleger von der aktuellen Rechteabgabe?
Was hat die Gesellschaft von der aktuellen Rechteabgabe?
Wenn ich verlange, dass Urheber mehr Geld erhalten (bei gleichbleibender weitgehend vollständiger Rechteabgabe, oder eben gleich viel Geld für weniger umfassende Rechteabgabe, so dass sie mit den verbliebenen Rechten selber Geld machen können), sollten sich die Urheber doch eigentlich freuen. Die Verwerter sagen, dass sie mehr Geld nicht zahlen können, pleite gehen, und die Urheber dann gar nichts mehr bekommen.
Kürzer schreibt das Johnny Haeusler.
Gesellschaftliche Akzeptanz
Gesetze allein können das nicht regeln. Die Gesellschaft muss ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass freie Inhalte etwas wert sind, und dass es sich lohnt, unfreie Inhalte zugänglich und verwendbar zu machen. Die Gesetzgebung zwingt niemanden dazu, ökologisch saubere Produkte zu kaufen oder Fleisch aus artgerechter Tierhaltung. Es zwingt auch niemanden dazu, solche Produkte anzubieten. Aber es entwickelt sich ein Bewusstsein, dass das eine gute Sache ist. Ähnlich muss es auch mit freiem Material gehen. Es muss sich ein Bewusstsein entwickeln, dass das sehr wohl etwas wert ist, und DRM-blockierte Dateien und proprietäre Formate müssen verpönt sein und nicht verboten.
Bunte Blüten
Jan-Martin Klinge im Halbtagsblog schildert anschaulich, welche Folgen es hätte, wenn man folgende Dienstanweisung des Thüringischen Kultusministeriums ernst nehmen würde:
Die Schulleiterin/der Schulleiter überprüft in regelmäßigen Abständen die Einhaltung der Bestimmungen des Gesamtvertrages an der Schule. Dazu ist von jeder Lehrkraft eine Übersicht zu führen, in der fortlaufend eingetragen wird, was, wann, aus welcher Quelle in welcher Anzahl kopiert wurde. Diese Übersichten sind von der Schulleitung regelmäßig zu prüfen.
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