In der 11. und 12. Jahrgangsstufe gibt es in Bayern das P-Seminar. P steht, glaube ich, für „Praxis“; in diesem Seminar sollen Schüler ein Projekt verwirklichen, sich selbst organisieren lernen, Kontakte zu außerschulischen Partnern aufnehmen und Informationen über Studium und Berufsleben erhalten, als Entscheidungshilfe für die Zeit nach dem Abitur.
Ein Projekt. Weil Lehrer da so große Experten sind. Laut DIN 69901 ist ein Projekt ein:
Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, wie z.B. Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle und andere Begrenzungen; Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben; projektspezifische Organisation.
Das heißt: Ein Projekt ist eine einmalige Aufgabe, die zeitlich begfristet ist, und für die es noch keine Routinelösung gibt. Die jährliche Organisation des Vorlesewettbewerbs ist also kein Projekt, weil es dafür schon eine Checkliste gibt, die man in jedem Jahr nur abarbeiten muss. Das Abitur ist für Lehrer kein Projekt, schon mal, weil es sich wiederholt. Für einen Schüler könnte es allerdings eines sein, das man mit Projektplanungsmethoden angehen könnte. „Wir wollen unsere Schule verbessern“ ist kein Projekt, da es zeitlich nicht befristet ist.
Zu einem Projekt gehört, dass das Ziel des Projekts vorher bekannt ist. Und es muss so gut beschrieben sein, dass man am Ende des Projekts das Ergebnis neben die Zielformulierung halten und entscheiden kann, ob man das Ziel erreicht hat oder nicht. Deshalb formulieren meine Schüler gerade ihr Ziel. „Ein Computerspiel programmieren“, „ein Autorennen programmieren“, „ein 3D-Autorennen programmieren“, das sind alles noch keine geeigneten Formulierungen. Nach der SMART-Methode soll das Ziel unter anderem eindeutig definiert und messbar sein und eine Terminvorgabe erhalten. Erst wenn man solche Ziele formuliert, stellt man fest, dass das gar nicht so einfach ist.
Hat man sein Projektziel erst einmal formuliert, kommt man zum Magischen Dreieck des Projektmanagements:

Ein Projekt ist dann erfolgreich, wenn alle drei Seiten des Dreiecks eingehalten werden: Innerhalb der ausgemachten Zeit wird mit den geplanten Ressourcen (Personal und andere) das gewünschte Ziel erreicht.
— Dieses Magische Dreieck ist übrigens nicht zu verwechseln mit den vielen anderen Magischen Dreiecken:

Oder mit den Magischen Vierecken:

Kann es sein, dass man da draußen gerne mit magischen Polygonen arbeitet? Die Magischen Pentagramme der Betriebswirtschaftslehre?
— Wenn man feststellt, dass das Projekt nicht so läuft wie geplant, kann man an den Seiten des Dreiecks herumschrauben. Wenn man die geplante Zeit nicht einhalten kann, kann man die Ressourcen erhöhen oder Inhalt und Qualität des Projekts reduzieren. Brechen einem die Ressourcen weg, braucht man mehr Zeit oder gibt sich mit weniger Qualität zufrieden.
Für Projekte im Rahmen des P-Seminars hat man vermutlich wenig Spielraum bei der Zeitplanung und den Ressourcen. Das Projekt im P-Seminar darf allerdings auch scheitern; die Lehrkraft muss keinesfalls Himmel und Erde in Bewegung setzen, um das Projekt voranzutreiben – es ist ein Projekt der Schüler, bei dem die Lehrkraft anleitet und berät, mehr nicht.
Wie viele Projekte scheitern eigentlich? Für die IT-Industrie, und mein P-Seminar beschäftigt sich ja mit einem Programmierprojekt, gibt es Zahlen. Die Chaos-Studie der Standish-Group ist eine Langzeituntersuchung darüber, wie viele IT-Projekte erfolgreich abgeschlossen werden oder nicht:

Demnach scheitern je nach Jahrgang knapp ein Viertel aller IT-Projekte. Und etwas weniger als die Hälfte aller Projekte werden zwar abgeschlossen, aber nur unter mehr Zeitaufwand als vorgesehen, mehr Kosten/Ressourcen als vorgesehen, oder unter Reduzierung von Qualität oder Umfang. Nur ein Drittel der Projekte ist erfolgreich, so wie geplant. Ein gescheitertes Schülerprojekt befände sich also in guter Gesellschaft…
Die Chaosstudie ist sehr bekannt und anerkannt, wird aber auch von manchen Fachleuten hinterfragt. Die Standish Group ist ein Beratungsunternehmen für Risikomanagement und IT-Investitionen.
Für Softwareentwicklungsprojekte gibt es verschiedene Vorgehensweisen. Klassisch, aber wohl überholt, ist das Wasserfallmodell (Blogeintrag dazu), inzwischen gibt es viele weitere Methoden. Agile Softwareentwicklung ist ein Oberbegriff für manche dieser Methoden; ein Scrumboard habe ich schon aufgebaut im Computerraum, werde Bericht erstatten.
— Wie jeder Konvertit, der etwas Neues für sich entdeckt hat, sehe ich gerade vieles durch die Brille des Projektmanagements. An Schulen geht man ja selten von Projekten aus. Im Unterricht habe ich eine Idee, und probiere das aus, und danach hat mir das gefallen oder nicht. Das Projektziel ist doch immer: den Lehrplan erfüllen, das heißt, die Schüler sollen am Ende des Jahres etwas wissen und können. Das wird mal mehr, mal weniger erreicht, und der Einfluss der Methode darauf ist schwer zu messen. Im Moment probiere ich den Flipped Classroom aus; da könnte das Projekt lauten: „Die Inhalte des Lehrplans weitgehend mit Flipped-Classroom-Videos vermitteln.“ Aber ich glaube, das Ausprobieren von Methoden als Projekt zu sehen, macht wenig Sinn. Eher gilt das für ein Schülerprojekt – Stellwand, Poster, Video, was auch immer. Da ist die Vorgehensweise meist eher: „Schauen wir mal, wie weit wir kommen“, statt ein Ziel und einen Termin vorzugeben. Am geeignetsten scheint mir der Projektgedanke für außerunterrichtliche Vorhaben und Aktivitäten an der Schule.
— Nur ganz am Rande relevant: Teamgeist ist der größte Feind des Geistes, lesenwerter Cicero-Artikel von Norbert Bolz.
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