Moritz Klopstein, Effi Briest und der Vampir (milde Spoiler)

(7 Kommentare.)

Was, wenn der Chinese ein Walache wäre?

Der Chinese, das ist, was wir in unserem Geschäft den Schülern und Schülerinnen als exotisches Element und Symbol innerhalb von Effi Briest verkaufen: Eine unheimliche Gestalt im Roman, schon vor einiger Zeit gestorben und begraben, und als die junge Effi durch unheimliche Gräusche (Spoiler: die Vorhänge) im Obergeschoss irritiert wird, findet sie dort auf einem Stuhl auch einen kleinen aufgeklebten – Chinesen. Das ist jetzt nicht so aufregend, zugegeben, aber halt das Unheimlichste, was das an Unheimlichen nicht übermäßig gesegnete Effi Briest hergibt. (Später erfahren wir außerdem, dass der Chinese, vielleicht, in eine unglückliche Liebesgeschichte verwickelt gewesen ist.)

Und wenn der Chinese ein Walache gewesen wäre? Die Walachei kennt man heute aus Tschick und als Ursprungsort von Dracula und anderen Vampiren. Immerhin schon etwas grusliger. Und wenn statt Major Crampas ein walachischer Gentleman auftaucht, immerhin satisfaktionsfähiger als ein Chinese, dann kann das die Eintönigkeit in Kessin ganz schön durchbrechen.

Nachworte sollte man nach dem Buch lesen, Blogeinträge vielleicht auch; es folgt allerdings nur ein milder Spoiler, der auch nicht besonders überrschend sein wird.

Also?

Dem Nachwort entnehme ich, was beim Lesen schon klar wird: Ein Großteil des Textes ist direkt von Fontane übernommen. Einmal dachte ich mir, das kennst du doch! Und genau so stand es, ich schlug nach, auch bei Fontane! Allerdings kannte ich die Stelle eher deshalb, weil mir am Vorabend die Augen just über dieser Stelle zugefallen waren und ich mich zuerst nicht daran erinnert hatte. Allerdings stammt nicht alles von Fontane; die Texte von einer viel größeren Anzahl an Autoren und vor allem Autorinnen aus der Zeit der Jahrhundertwende (mehr oder weniger) werden verwendet. Wenn Klopstein eine Lücke in Fontanes Test füllen möchte, dann sucht er nach einem vergleichbaren zeitgenössischen Stoff und schneidet daraus eine passende Stelle aus, wie so ein Schneider. Im Nachwort werden diese Werke genannt, so dass man ihnen nachspüren könnte. Es sind aber wirklich eine ganze Menge. Tatsächlich geht Klopstein so weit zu sagen:

Ich war bemüht, die aus meinen Vorlagen übernommen Versatzstücke möglichst wörtlich und unverfälscht wiederzugeben [aber natürlich gab es immer wieder kleinere Um-Schreibungen]. So habe ich vor allem an den Nahtstellen immer wieder kurze Passagen, hin und wieder aber auch ganze Seiten selbst neu geschrieben.

Das heißt: Wirklich nur hin und wieder ganze Seiten, der Rest ist Collage? Respekt. Eine schöne Idee, und sie funktioniert auch.

Und wenn ich zum Beispiel diese Stelle lesse:

Das öde Kloster war ein großes, zeitgeschwärztes Gebäude, welches völlig vereinsamt, etwa eine halbe Stunde von Kessin entfernt, sich auf brachem Terrain erhob. Erst Kloster, nachher Blatternspital, schließlich Armenhaus, war es eine von jenen traurigen Ruinen, die, längst unbewohnt, auf nichts als die Demolierungshacke warten. Die Wände waren schmutzig, die Fensterrahmen schwarz, die Scheiben teils ausgebrochen, teils mit Papier geflickt. Gegen die baufälligen Mauern drückten sich ein paar verkrüppelte Bäume,

Dann frage ich mich, durch die Ruinen welches anderen Romans wir jetzt gerade gehen mögen.

Funktioniert Effi und der Vampir als eigenständiger Roman? Also: ist er spannend, gut geschrieben, folgerichtig oder nicht, erschafft er eine eigene Welt? Das zu beurteilen sehe ich mich nicht in der Lage; zu sehr lese ich Fontane dabei. Ich habe mich allerdings sehr unterhalten beim Lesen.

Fontane hat keinen historischen Roman geschrieben, sondern einen aus seiner Zeit; ist das hier dann ein historischer Roman? Wenn Borges‘ Pierre Menard den Don Quixote neu geschrieben hat, aber wörtlich gleich wie bei Cervantes, hat er dann nicht einen historischen Roman geschrieben?

Effi und der Vampir gibt es nur auf Papier, Book on Demand (sauber gesetzt und lektoriert; nur zwei Tippfehler): https://buchshop.bod.de/catalogsearch/result/index/?q=moritz%20klopstein


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7 Antworten zu „Moritz Klopstein, Effi Briest und der Vampir (milde Spoiler)“

  1. Wie würde es sich wohl lesen, wenn man Effi Briest nicht kennt? Wäre es eine lohnende Idee, das zuerst zu lesen und dann das Original?

    LG
    poupou

  2. Eine lohnende Idee auf jeden Fall, schon mal, damit man der Welt mitteilen könnte, wie das ist. Ich würde das nämlich auch gerne wissen. Man müsste wohl bereit sein, sich auf Literatur des späten 19. Jahhunderts einzulassen. Entgeht einem viel, wenn man EFfi nicht kennt? Vielleicht nicht; ich kann es nicht beurteilen.

  3. Susann

    Ich finde, Effi Briest wird an der Schule oft mit zu starken Bezug auf die zeitgenössische Situation gelesen: der preußische Ehrbegriff, die mangelnde Augenhöhe der Frau, dann stürzt sich Instetten, dieser Depp, mitsamt seiner Familie ins Unglück, weil er dem Ehrbegriff Folge leisten muss. Natürlich funktioniert der Roman als Zeitgemälde hervorragend. Aber je älter ich werde, desto mehr lese ich ihn an der historischen Situation „vorbei“. Die Tragik der unerfüllten Beziehung, überhaupt des unerfüllten Lebens sowohl von Instetten als auch von Effi sind für mich mittlerweile als universales Thema mehr das „Herz“ des Romans als die Einbettung in die Zeitumstände.

  4. Ich hab Effi Briest bisher nie gelesen und Vampire sind eigentlich nicht mein Ding, aber vielleicht probiere ich das trotzdem mal aus. Mit „zuerst Clara Schumann hören und danach Brahms“ hat das auch ganz gut geklappt.

    LG
    poupou

  5. @Susann: Die zeitgenössische Situation finde ich so absurd. Ehebruch bei Strauß, „Die Fledermaus“, zwanzig Jahre älter, geht so viel lockerer mit dem Thema Ehebruch um. Wenn ein Roman mir etwas taugt, geht es ohnehin um die Menschen. (Oder um Action oder Witz, anderes Thema.)

    @Popou: Mach mal! Was an Fontane nervt, sind die endlosen detaillierten Beschreibungen, in denen doch nie das Wesentliche gesagt wird. Da ist diese gekürzte Fassung ein guter Einstieg. Wenn ich die Effi noch einmal lesen würde, dann allerdings gerade wegen dieser endlosen detaillierten Beschreibungen, in denen doch nie ds Wesentliche gesagt wird.

  6. Inzwischen habe ich mir „Effi Briest und der Vampir“ zusenden lassen und habe das Buch in wenigen Tagen (das ist für meine Verhältnisse schnell) und durchaus mit Vergnügen durchgelesen.

    Ich muss vorausschicken: ich bin weder Literaturwissenschaftlerin, noch Deutschlehrerin. Ich mag eigentlich keine Vampirgeschichten und auch keine anderen Gruselgeschichten. Ich habe 19. Jahrhundert bisher vorwiegend auf Englisch gelesen. Ich habe alle Folgen von Downton Abbey, viele Jane-Austen-Verfilmungen and the like, sowie alle Folgen von Bridgerton gesehen. Kürzlich habe ich meine Vampir-Aversion über Bord geworfen und mit viel Erstaunen und Erkenntnis „Tanz der Vampire“ gesehen. Meine Schwiegermutter wohnt am Meer.

    Mit dieser Vorbildung fiel es mir leicht, mir die Geschichte sehr bildhaft vorzustellen, es erschien mir nicht im eigentlichen Sinne fremd oder fremdartig. Mir gefiel auch die Erzählstimme gut. Ich gehöre zu den Menschen, die sich Texte innerlich laut vorlesen. Da wirkt sich ein gelungener Sprechrhythmus positiv aus, auch Wortmalerei funktioniert gut. Detaillierte Darstellungen sind solange nicht störend, wie sie sich angenehm anhören (davon gibt es hier vielleicht weniger als im Original, das ich nicht kenne, aber doch mehr als in modernen Romanen). Und es wirkte auf mich fast immer wie aus einem Guss. Ein paar Stellen klangen eine Nuance verschieden, aber nicht allzu sehr.

    Ich habe natürlich mittlerweile auch das Nachwort gelesen und war ernsthaft überrascht, wie viele Autoren hier „mitgewirkt“ haben, darunter viele Frauen. Das hätte ich beim Lesen niemals vermutet. Gerne hätte ich eine Variante mit eingefärbtem Text, so dass ich sehen könnte, wie die Collage genau gemacht ist.

    Was mich aber verwundert: wenn Effi Briest ohne Vampir ungefähr so ähnlich und vielleicht etwas langweiliger ist: warum in aller Welt ist das eine Schullektüre? Was ist das besondere, das erkenntnisstiftende an Effi Briest? Als Schülerin hätte mich „Effi Briest und der Vampir“ vermutlich nicht besonders begeistert, bestenfalls ein wenig irritiert angesichts der expliziteren Liebesszenen, über die ich keinesfalls mit einem Deutschlehrer hätte reden wollen (noch weniger mit dem Rest der Klasse!). Allerdings: damals hatte ich noch keine Jane-Austen-Vorbildung, keine Bridgerton-Bilder im Kopf, hatte „Lady Chatterley’s Lover“ noch nicht gelesen (auch nicht die Verfilmung gesehen) und daran hat es mich tatsächlich erinnert.

    Jetzt bin ich irgendwie neugierig, Effi Briest zu lesen. Vielleicht mache ich das demnächst, solange der Vampir-Eindruck noch frisch ist.

  7. Danke dir für die Perspektive, Poupou!

    Richtig, detaillierte Darstellungen sind im Original noch häufiger; der Anfang wird gerne für Deutschunterricht herangezogen, wo erst einmal das Haus der Briests beschrieben wird.
    Das Nachwort habe ich auch erst danach gelesen, ein bisschen recherchiert, mindestens ein interessantes Gedicht gefunden dabei. Die Variante mit eingefärbtem Text wäre gut. (Ich höre gerade als Amateur-Hörbuch „Der Name der Rose“, da wäre eine eingefärbte Fassung auch interessant.)

    Jetzt zur eigentlichen Frage: warum in aller Welt ist das Schullektüre?
    Vielleicht ist sie das gar nicht mehr; ich habe sie bestimmt zweimal gelesen mit einem Kurs, danach aber mindestens so oft einen anderen Roman von Fontane – kürzer, mit mehr Handlung. Vielleicht ist Effi im Begriff, als Schullektüre zu verschwinden, weil zu lang.

    Liebesszenen gibt es in Effi nicht, im Gegenteil: die Affäre vollzieht sich ganz diskret zwischen den Zeilen, so dass man beim Lesen das vielleicht gar nicht mitkriegt. Die Einsamkeit und Langeweile, die Effi spürt, wird durch die ereignislose Langatmigkeit auf das Lesepublikum übertragen? :-)
    Tatsächlich ist es schon so, dass fast beliebige zwei oder drei Seiten aus Effi kunstvoll gestaltet sind, mit ganz viel Symbolen (aber dezent, nicht aufdringlich), ganz viel behutsam Angedeutetem, ganz viel Zwischen den Zeilen. Das ist sehr gut gemacht, aber halt immer noch und weiterhin sehr lang. Und es passiert nicht viel. Bleibt das Vergnügen, schöne Zeilen zu lesen, ein Vermögen, das bei mir nur so mittel ausgeprägt ist, aber schon manchmal hervorblitzt.

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