Sommerferien: Victor LaValle, The Ballad of Black Tom

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Hintergrund

Wie rassistisch war H. P. Lovecraft, welche rassistischen Elementen gibt es in seinem Werk? Wie geht man damit um?

In Horror-Geschichten geht es oft um das Andere und Fremde; bei Lovecraft – und das ist sein großes Verdienst – ist dieses Fremde so fremd wie selten zuvor, nicht-menschlich, alien-haft, unverständlich, nicht um die Menschheit bekümmert, die im Kosmos eine völlig nebensächliche Rolle spielt. Kein Gott, keine Seele, kein Leben nach dem Tod, keine Bestimmung, nichts. Es ist nicht so, dass in Wirklichkeit außerirdische Reptilienwesen unerkannt unter uns wandeln, um uns zu beherrschen, sondern dass es gar keine Wirklichkeit in einer Form gibt, die wir wahrnehmen könnten, ohne beim Versuch wahnsinnig zu werden.

Das heißt aber auch, dass Abscheu oder Angst vor dem Fremden zu Lovecrafts Geschichten gehören. Wenn sich das Fremde dann noch mit Vertrauten mischt, wenn immer wieder Hauptfiguren herausfinden, dass ihre Vorfahren nichtmenschlich waren, dann sind wir schon ganz nah bei Rassenlehre und Rassismus. Lovecraft war sicher nicht für Gewalt, war friedlich, korrekt, aber doch noch ein wenig rassistischer, als es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ohnehin verbreitet war. Er war immer vorn dabei bei den Naturwissenschaften, und pseudowissenschaftliche Rassenlehren waren zu dieser Zeit sehr in Mode. Und so gibt es bei Lovecraft als Gegenspieler nicht nur nichtmenschliche Tentakelwesen, sondern auch halbmenschliche Fischwesen, und nichtweiße Einwanderer.

Eine frühe literarische Auseinandersetzung mit dieser Seite Lovecrafts ist der Roman Lovecraft’s Book von Richard A. Lupoff. Lovecraft selber spielt selber keine gar so große Rolle im Buch, so erinnere ich das jedenfalls, aber es geht darum, dass er, politisch naiv, für einen deutsch-amerikanischen Nazi eine Propagandaschrift schreiben soll. Die Hauptpersonen des Romans sind Lovecrafts Freunde, die versuchen, ihn aus dem Schlamassel herauszuholen.

Eine aktuelle literarische Auseinandersetzung mit Lovecraft ist „The Ballad of Black Tom“ (2016) von Victor LaValle: ausgezeichnet mit einem Shirley Jackson Award; auf der Shortlist für den Bram Stoker Award, Nebula, British Fantasy Award, Theodore Sturgeon Award, Hugo Award, World Fantasy Award. Der Hintergrund dieser Erzählung ist Lovecrafts vielleicht notorischste Geschichte, „The Horror at Red Hook“. Er schrieb sie, als er für eine Weile in großer Armut in Red Hook in Manhattan lebte und dort sehr unglücklich war.

Lovecraft, The Horror at Red Hook

Die Hauptfigur ist der Polizist Malone, von dem wir in einer kurzen Rahmenhandlung erfahren, dass er während der Rekonvaleszenz nach einem größeren missglückten Polizeieinsatz einen Rückfall hatt; die Beschreibung und der Hintergrund dieses Polizeieinsatzes bilden den Großteil der Geschichte.

Red Hook ist ein kleines Viertel von Brooklyn, in der Geschichte von Einwanderern aus der Karibik und Südsee bewohnt. Außerdem unterhält der exzentrische und heruntergekommene Robert Suydam dort eine Kellerwohnung unter drei zusammengehörenden Häusern. Suydam ist alt, nicht unbedingt reich, aber reich genug, um nicht arbeiten zu müssen, und wohnt eigentlich in im über-übernächsten Stadtviertel Flatbush. Suydam betreibt nach eigenen Aussagen hobbyhaft anthropologische Studien in Red Hook und treibt sich deshalb mit den nicht standesgemäßen und verdächtigen Gestalten dort herum. Ein Versuch seiner Erben, ihn für unzurechnungsfähig zu erklären, scheitert. Suydam sieht immer jünger aus und verlobt sich sogar. Gleichzeitig hört man vermehrt von verschwundenen Kindern. Die Polizei durchsucht Suydams Haus in Red Hook, findet aber nichts außer merkwürdigen Inschriften, die sich durch das anthropologische Interesse erklären lassen. Am Beginn der Hochzeitsreise, auf einem Schiff gleich nach der Ausfahrt, werden Suydam und seine Frau ermordet aufgefunden; Männer von einem anderen Schiff nehmen seinen Leichnam mit. Ein Schreiben Suydams reicht als Legitimation.

Wieder durchsucht die Polizei in einem Einsatz Suydams Wohnung in Red Hook; Malone findet einen versteckten Kellerzugang und landet in einer unirdischen Höllenszene, beobachtet Menschenopfer, Entführte, und Monstergestalten und die Wiederbelebung von Suydams Leichnam, bis am Ende die Häuser über der Wohnung einstürzen; Malone ist einer von wenigen Überlebenden.

Was genau geschehen ist, bleibt unklar: Vermutlich war Suydam Anführer eines wahnsinnigen Kultes, der Kinder und Erwachsene entführte und opferte; außerdem war er daran beteiligt, illegal Menschen ins Land zu schmuggeln, eben die Kultisten.

Gefallen hat mir an der Geschichte, dass viele Zusammenhänge unklar bleiben, jedenfalls mir, und die bedrohliche Atmosphäre des zunehmenden Wahnsinns und Verfalls. Man kann aber nicht umhin, der Geschichte Rassismus zu attestieren, insbesondere als:

  • die entführten Kinder „blauäuige Norweger“ aus dem Nachbarviertel sind,
  • die Kultisten durch die Bank schlitzäugig sind und grobschlächtig und in schicker amerikanischer Kleidung grotesk aussehen,
  • als „throngs of mixed foreigners“ bezeichnet werden,
  • und natürlich grausame Verbrechen begehen;
  • die Einwohner von Red Hook mit Gangstern gleichgesetzt werden,
  • „importation of illegal immigrants“ immer wieder als schlimmes Verbrechen dargestellt wird

und vieles, vieles mehr in dieser Art.

Victor LaValle, The Ballad of Black Tom (mit Spoilern)

Victor LaValle erzählt die Geschichte des Grauens von Red Hook neu erzählt: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Ballad_of_Black_Tom. Es geht wieder um den Polizisten Malone, der wieder damit beauftragt ist, Robert Suydam zu beobachten. Aber die Hauptfigur ist neu: Tommy Tester aus Harlem, schwarz.

Tommy schlägt sich einigermaßen erfolgreich mit Alltagstricksereien durch, nichts wirklich Illegales, hat und will aber sicher keine geregelte Arbeit, eher Gelegenheitsaufträge. Er kann drei Bluesstücke auf der Gitarre spielen, und das nicht besonders gut, aber er kann hervorragend die Rolle des Blues spielenden Schwarzen spielen, mit den genau richtig abgetretenen Schuhen dazu, der unterwürfig-selbstvergessen-selbstbewussten Haltung dazu, und verdient dadurch immer mal ein bisschen Geld auf der Straße. Tommy lebt bei und mit seinem Vater, der noch gar nicht so alt ist, aber invalid, von harten Arbeiten als schlecht bezahlter (weil schwarzer) Maurer gezeichnet.

Wir erfahren etwas mehr von Suydams Plänen, auch wenn die recht generisch sind: Er will mit seinem Kult und seinen Beschwörungen eine namenlose Lovecraftsche Gestalt erwecken und damit das Ende der Welt, wie wir es kennen, herbeiführen, um danach Herrscher von Monsters Gnaden zu sein; Kultistensachen halt.

Neu ist: Suydam heuert Tommy an, bei einer Versammlung noch nicht ganz Gleichgesinnter Musik zu machen – weil er Tommy zufällig in einer günstigen Situation trifft, weil er ihn für eine Generalprobe braucht, weil er Stimmung erzeugen will, weil er so das Publikum besser überzeugen kann? Ein bisschen was von allem, das ist mir nicht ganz klar geworden.

Neu ist: Ein Privatdetektiv, Mr. Howard, groß und breit gebaut, arbeitet mit Malone zusammen, im Auftrag der Erben, die wie in Vorlage Suydam entmündigen lassen wollen. Während Malone weiter als eher sympathisch gezeichnet wird, ist Mr. Howard ein Ekelpaket. Außerdem arbeitet Mr. Howard für eine Klientin, der Tommy bei einem Auftrag ganz am Anfang des Buchs absichtlich und aus guten Gründen unvollständige Ware abgeliefert hat. Bei der Suche nach dem Rest der Ware erschießt Mr. Howard Tommys Vater – halb versehentlich, halb kaltblütig, jedenfalls vermeidbar, öffentlich wahrgenommen und für Mr. Howard völlig folgenlos.

Das radikalisiert Tommy. Er wird zu Black Tom und macht sich zum stillen, und dann nicht mehr so stillen, Partner von Suydam. Malone beobachtet das von außen und drängt, wie in der Vorlage, auf einen Polizeieinsatz in Red Hook. Wieder ist es nur Malone, der in den versteckten Keller vordringen kann und dort eine ähnliche, aber konkreter beschriebene Horrorszene vorfindet wie bei Lovecraft, wobei wieder fast alle Anwesenden unter dem einstürzenden Haus begraben werden. Neu ist: Dass Tommy einerseits Suydams Pläne durchkreuzt und diesen tötet, aber dennoch – wahrscheinlich – auch das Tor für die beschworene Entität öffnet, die – in einer kleineren oder größeren Weile – das Ende der Welt bedeuten wird.

Kommentar

Dass die Geschichte aus einer anderen Perspektive erzählt wird, finde ich gut. Die Gleichgültigkeit des Kosmos gegenüber dem Menschen, ein Kerngedanke des Lovecraftsches kosmischen Horrors, wird gegenüberstellt dem Rassismus (der arrogante von Suydam, der brutale von Mr. Howard, der resignierte von Malone), den Tommy, seine Freunde, sein Vater erfahren haben und immer wieder erfahren:

“Indifference would be such a relief,” Tommy said.

Am Ende spricht Black Tom, wie Tommy inzwischen heißt, mit den Worten von Shelleys Monster:

I […] bore a hell within me, and finding myself unsympathized with, wished to tear up the trees, spread havoc and destruction around me, and then to have sat down and enjoyed the ruin.

Nicht ganz so gefallen hat mir, dass die Geschichte in einer anderen Welt als der von Lovecraft spielt, und in einer anderen Welt als unserer in den 1920er und 1930er Jahren. (Warum hat mir das nicht so gefallen? Vielleicht nur, weil ich das anders erwartet hatte.) Das beginnt gleich mit dem ersten Kapitel, in dem Tommy seiner Auftraggeberin heimlich, absichtlich und unbemerkt nicht das vollständige okkulte Buch bringt, das er für sie organisiert hat, sondern das letzte Blatt unterschlägt, womit er das Buch machtlos gemacht hat. Das heißt, Tommy weiß, dass es okkulte Bücher und esoterische Mächte gibt. Auch Malone hat zwar bereits bei Lovecraft eine irisch-poetische Ader, die ihn Übernatürliches nicht ausschließen lässt; hier ist er geradezu ein Kenner okkulter Zusammenhänge („spent his life in study of such things“).

Gut gefallen hat mit, wie LaValle Worte aus Lovecrafts Erzählung Suydam in den Mund legt:

“Your people,” Robert Suydam began. “Your people are forced to live in mazes of hybrid squalor. It’s all sound and filth and spiritual putrescence.” […]

“Policemen despair of order or reform and seek rather to erect barriers protecting the outside world from the contagion,” he continued.

Ganz am Ende taucht HPL selber noch kurz auf: Nach dem Polizeieinsatz mit katastrophalem Ausgang erhalten die Personen einige Briefe dazu, unter anderem besonders nervige von einem Mann, der mit seiner Frau in Brooklyn lebt, aber ursprünglich aus Rhode Island stammt, und New York bald darauf auch wieder verlässt.


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Kommentare

2 Antworten zu „Sommerferien: Victor LaValle, The Ballad of Black Tom“

  1. Aginor

    Ja, Lovecraft ist schon sehr ein Kind seiner Zeit.
    Allerdings finde ich dass es in seinem Werk nicht ganz so stark mitschwingt wie z.B. bei seinem Brieffreund Robert E. Howard (Conan-Romane). Da ist es zeitweise schon recht unangenehm.

    Zu Neuerzählungen insgesamt habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Prinzipiell interessant, gerade weil man ja automatisch auf die Dinge schaut, die anders sind (Theaterinszenierungen und Neuverfilmungen sind da ja auch immer ein Beispiel).
    Leider ist das auch der Punkt der für mich solche Stories oft verdirbt. Je nachdem wie die Unterschiede gestaltet sind bin ich beim lesen zu sehr auf der Metaebene, sehe zu sehr warum der Autor jetzt gerade diesen Unterschied gewählt hat. Und das wirkt dann oft irgendwie platt, und zerstört bei mir gerade die Immersion die ich in Büchern so gerne mag.
    Wenn aber genügend geändert wird, z.B. drastisch das Setting verlegt wird, dann finde ich es schon deutlich spannender. Naja, nicht immer. Aber oft.

    Gruß
    Aginor

  2. Mir ist der Rassismus bei Howard nie so groß aufgefallen; er hat es auch leichter, weil er nicht in seiner Gegenwart schreibt und der Rassismus dadurch weniger direkt ist. „Shadows in Zamboula“ ist da schon recht krass.

    Metabene und Immersion: Berufsbedingt lese ich schon mal nie so auf Immersion, sondern immer analytisch und mit der Frage, ob ich das in detr Schule verwenden könnte. :-) Aber so viel Neuerzählungen kenne ich gar nicht.

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