Teil Zwei:
Gestern ging es darum, dass die Schulaufgabennoten in Englisch gelegentlich zu Missstimmung zwischen Eltern und Lehrer führen. Ein Elternteil kommt in die Sprechstunde, weil das Kind eine 5 oder 6 gekriegt hat, und hat eine berechtigte Frage: „Ist das nicht zu streng?“ Für die Eltern sieht die Schulaufgabe nämlich ganz ordentlich aus, und außerdem haben sie vielleicht mitbekommen, wie sehr das Kind auf die Schulaufgabe gelernt hat.
Gelegentlich folgen darauf zwei Bemerkungen. Erstens, es wird erklärt, dass es doch sonst üblich sei, bei 50% der Punkten noch eine 4 zu geben, und wieso man das hier nicht eingehalten habe. Zweitens, es wird eine befreundete Lehrkraft zitiert, die sich die Schulaufgabe angeschaut habe und sie für gar nicht so schlecht halte.
Zum zweiten Punkt:
Dieser Kommentar ist von Elternseite aus völlig verständlich. Natürlich kann man die Schulaufgabe anderen zeigen, wenn man selbst unsicher ist, ob die Note der Leistung entspricht. Als Lehrer fühlt man sich dabei auf den Schlips getreten. Das liegt zum einen an dem grundsätzlichen Misstrauen, das damit dem Lehrer entgegengebracht wird. (Ob dieses Misstrauen berechtigt ist, dazu später.) Vor allem ist das aber so, dass ein Außenstehender sich nur schwer ein Urteil über die Leistung bilden kann. Hoffentlich ist das kein bloßer Standesdünkel: Ich glaube tatsächlich, dass nur ein Lehrer der gleichen Schulart und des gleichen Faches, und im gleichen Bundesland, sicher beurteilen kann, wie die Leistung eines Schülers zu bewerten ist und wie schwer die Schulaufgabe gestellt ist. Und selbst da sollte dieser Lehrer am besten noch die Klasse und die Vorbereitung der Schulaufgabe kennen. Es reicht nicht, Muttersprachler in der Fremdsprache zu sein, oder auch in irgendeiner Form Englisch zu unterrichten. (Natürlich sind Extremfälle denkbar, bei denen man diese Informationen alle nicht braucht. Aber da kommt in der Praxis nicht vor.)
Ist man damit nicht der Willkür des Lehrers ausgeliefert, wenn der für sich beansprucht, als einziger entscheiden zu können, ob die Note gerechtfertigt ist? Irgendwie ist da schon etwas Wahres dran. Beim Arzt kann man eine zweite Diagnose einholen, die auf einer zweiten gründlichen ärztlichen Untersuchung basiert, aber eben diese zweite Untersuchung ist bei einem Schüler nur schwer möglich.
Allerdings werden die Schulaufgaben aller Lehrer eines Faches von einem anderen Lehrer des gleichen Faches an dieser Schule angeschaut („respiziert“). Dieser Lehrer hat also einen Überblick darüber, welche Schulaufgaben geschrieben werden, und der weist die einzelnen Lehrer darauf hin, wenn Schulaufgaben im Vergleich zu den anderen Lehrern zu leicht oder zu schwer sind.
Trotzdem machen Lehrer auch Fehler; Fehler, die auch von Eltern entdeckt werden können. Und Eltern haben natürlich das Recht, die Lehrer auf diese Fehler aufmerksam zu machen und sich alles erklären zu lassen, was ihnen nicht einleuchtet.
So oder so hängt die Leistung eines Schülers nicht an einem einzelnen Fehler oder Nicht-Fehler. Wenn der Schüler einen Buchstaben als „a“ gedacht, der Lehrer aber „o“ gelesen hat, dann kann der eine Punkt Abzug den Unterschied zwischen 4 und 5 ausmachen. Denn eine Punkteskala gibt es leider meist, und irgendwo muss man die Grenze ziehen.
Tatsächlich schaut sich der Lehrer hoffentlich jedenfalls alle Schulaufgaben im Grenzbereich 4/5 und 5/6 an, und entscheidet dann aufgrund der Gesamtleistung, ob die Schulaufgabe ausreichend, mangelhaft oder ungenügend ist. Wenn sich da nachträglich noch ein übersehener Punkt finden lässt, dann wird der Lehrer die Schulaufgabennote ändern müssen – aber die Leistung des Schülers bleibt deswegen trotzdem mangelhaft oder ungenügend. Die geänderte Zahl auf der Schulaufgabe ist rein kosmetisch, die tatsächliche Leistung des Schülers hat sich ja nur wirklich minimal verändert. Wenn es um das Versetztwerden geht, kann diese Zahl den Eltern allerdings tatsächlich wichtiger sein als die eigentliche Leistung des Schülers.
Zuletzt ist es natürlich möglich, dass ein Lehrer tatsächlich ungerecht benotet, dass also die Leistung des Schülers nicht der Note entspricht, die auf der Schulaufgabe steht. Aber wie kriegt man das heraus? Wohl nur durch Vergleich mit den Leistungen anderer Schüler dieser Klasse und paralleler Jahrgänge – schauen, wieviel die anderen unter vergleichbaren Bedingungen können.
Danach muss man mit dem Lehrer reden (und wiederum erst danach zur Schulleitung gehen). Wenn das dem Lehrer nicht bewusst ist, wird er es begrüßen, wenn man ihn darauf hinweist. Wenn es ihm bewusst ist – aber welchen Grund sollte ein Lehrer dafür haben? Lehrer unterrichten viel zu viele Schüler, als dass sie einzelnen davon etwas Böses antun wollten. Ich habe vielmehr nur Fälle erlebt, in denen Lehrer mit Kollegen im Lehrerzimmer lang und breit besprechen, wie eine einzelne Schulaufgabe am treffendsten zu bewerten sei.
Was also tun? Das Misstrauen zwischen Eltern und Lehrern abbauen durch mehr Transparenz? Schulaufgaben erstellen, bei denen die Leistung leichter auch für Außenstehende zu beurteilen ist? (Aber auch da wird der Umfang der Vorbereitung eine große Rolle spielen.)
(Teil Eins: Gestern.)
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