Man liest gerade wieder da und dort vom freien Willen und ob es ihn denn gibt oder nicht. Im Prinzip geht es dabei darum, dass das Gehirn anscheinend Entscheidungen trifft zu einem Zeitpunkt, der deutlich vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem man glaubt, die Entscheidung getroffen zu haben. Ein Ausgangspunkt dafür ist das Libet-Expriment, von dem ich zum ersten Mal im sehr lesenswerten Buch Spüre die Welt. Die Wissenschaft des Bewußtseins von Tor Nørretranders gehört habe.
Tatsächlich interessiert mich die Frage nach dem freien Willen gar nicht so sehr. An ein kleines Mini-Ich in meinem Kopf, das Entscheidungen trifft, konnte ich noch nie glauben; andererseits war mir immer klar, dass Ausgangspunkt für alles physiologische Vorgänge sind. In welcher zeitlichen Relation die zur wahrgenommenen Entscheidung stehen, ist interessant, macht aber für mich keinen großen Unterschied. Tatsächlich sehe ich keine Alternative zum freien Willen, aber auch keinen Widerspruch zu einem Determinismus.
Was heißt denn freier Wille überhaupt? Nehmen wir vereinfachend an, dass ich in einer gegebenen Situation zwischen den Alternativen A und B wählen soll und mich für A entscheide. Gedankenexperiment: Ich befinde mich ein zweites Mal in derselben Situation. (Es gibt dieselbe Situation natürlich nicht. Außer in einem Science-Fiction-Kontext, den ich sicher konstruieren könnte. Zeitreise, Paralleluniversum, was es da so alles gibt. Ist aber auch egal.)
Wenn ich mich in derselben Situation wieder für A entscheide, dann ist diese Entscheidung doch determiniert. Im besten Fall bin ich dann Sklave meines freien Willens – schließlich kann mich nicht gegen meine Entscheidung entscheiden, kann mich nicht gegen das entscheiden, wofür ich mich entscheide/entschieden habe.
Wenn ich mich in derselben Situation für B entscheide, dann haben wir ein anderes Problem. Dann kann meine Entscheidung eigentlich nur vom Zufall abhängen, etwa einem Quantenereignis. So stelle ich mir freien Willen auch nicht vor. Das ist Beliebigkeit.
Zeitreise-Geschichten haben gerne mal mit dem freie Willen zu kämpfen. Die klassische Frage ist die, was passiert, wenn man in der Zeit zurück reist und seinen eigenen Großvater tötet. Die eine Möglichkeit ist die, dass man dadurch die Zukunft verändert („A Sound of Thunder„), quasi mit Paralleluniversum. Ästhetisch unbefriedigend.
Die andere ist die, dass man das eben nicht kann, weil es keine Paralleluniversen gibt, sondern nur eines, und es geschieht, was geschieht oder geschehen ist. Dann gibt es auch nur den freien Willen, das zu tun, was man getan hat. Wenn man seinen Großvater getötet hätte, dann hätte man nicht die Gelegenheit, ihn zu töten, also hat man ihn eben nicht getötet.
(Weniger verbreitet ist die Variante von der Selbstzeugung. In „Time Rider„, einem ansonsten nicht bemerkenswerten Film aus den frühen 1980er Jahren, verschlägt es einen Motorradchampion in den Wilden Westen, er verliebt sich dort natürlich und lässt seiner Liebe ein Schmuckstück zurück, das er von seiner unbekannten Großmutter oder so geerbt hatte. Diese Ahnin ist natürlich die Frau selber, und man fragt sich, wo das Schmuckstück denn eigentlich herkommt – er hat es von seiner Großmutter, sie von ihm, welcher Goldschmied soll es denn gefertigt, welche Nova die Atome erzeugt haben? Das gleiche gilt für das Genmaterial, das der Held dem Genpool zugefügt hat – wo soll das eigentlich herkommen?)
Aber zurück zum freien Willen. Viel interessanter ist doch die Frage nach dem Bewusstsein. Wieso gibt es das eigentlich? Warum kriegt man mit, dass da etwas denkt und vor sich geht? Wieso läuft das nicht ohne Zuschauer ab?
Vor dieser grundlegenderen Frage ist das mit dem freien Willen sekundär.
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