Spanische Tänzerin
Wie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß,
eh es zur Flamme kommt, nach allen Seiten
zuckende Zungen streckt -: beginnt im Kreis
naher Beschauer hastig, hell und heiß
ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten.Und plötzlich ist er Flamme, ganz und gar.
Mit einem Blick entzündet sie ihr Haar
und dreht auf einmal mit gewagter Kunst
ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst,
aus welcher sich, wie Schlangen die erschrecken,
die nackten Arme wach und klappernd strecken.Und dann: als würde ihr das Feuer knapp,
nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab
sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde
und schaut: da liegt es rasend auf der Erde
und flammt noch immer und ergiebt sich nicht -.
Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen
grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht
und stampft es aus mit kleinen Füßen.Rainer Maria Rilke, 1906
Ich mag dieses Gedicht, unter anderem deshalb, weil ich es noch in keinem Schulbuch gesehen und vor vielen Jahren selbst aus einem Bändchen Rilke im Regal gefischt habe. In der Schule nehme ich es meist zur Überprüfung, ob die Schüler etwas gelernt haben und mehr oder weniger selbstständig mit einem Gedicht etwas anfangen können.
Das geschieht, nachdem ich mit den Schüler das bekanntere „Das Karussell“ gemacht und dort die sprachlichen Mittel untersucht habe, mit denen ein sich drehendes Karussell in Gedichtform abbilden lässt. Ähnlich macht das Rilke dann auch mit dem Gedicht über die Tänzerin. Zuerst sehen die Schüler den Flamenco-Clip oben (wobei ich darauf hinweise, dass Flamenco keinesfalls typisch für ganz Spanien ist). Und dann sollen sie erklären können, wie dieser Tanz umgesetzt wird.
- Bilder: die Arme wie Schlangen; diese Bewegung sieht man im Video sehr gut. Natürlich das groß angelegte Bild vom Feuer, einschließlich des schönen Ausstampfens am Schluss. Schön das teritum comparationis erklären: Was hat der Beginn des Tanzes mit einem Streichholz, das entflammt, gemeinsam?
- Metrum, Kadenz, Reimschema: Selbst dazu fiel den Schülern gestern etwas ein und auf. Kreuzreim bei den langsameren Stellen an Anfang und Schluss, Paarreimen bei den schneller getanzten. Dazu Binnenreim wie im Karussell. Jambisch, häufig mit Verschiebung der Betonung.
- Alliterationen: Endlich kann man auch zu denen etwas Sinnvolles sagen. Die passen gut zum Klatschen, zu den Kastagnetten, zum Stampfen mit den Füßen (zapateado).
Auch: Bei Google nach Flamenco suchen (Bildersuche).
Fußnote: Tafelbild zum Karussell.

Nachtrag: Ein Karussell als Symbol fürs Älterwerden und das Verschwinden der Kindheit gibt es auch bei Catcher in the Rye von J.D. Salinger und zentral in Something Wicked This Way Comes von Ray Bradbury. Und in Lud-in-the-Mist von Hope Mirrlees sitzt ein von den Feen entführtes Kind auf einem Karussell im Feenreich (in dem die Zeit anders vergeht).
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