Übrigens habe ich da noch ein Bild für die Deutsch-#Lehrer*innen in meiner TL. PS: Mein Tweet hat keine Metaebene. pic.twitter.com/jUkzxO4fK1
— Dejan Mihajlović (@DejanFreiburg) 9. Mai 2016
(Bild: Was der Autor meinte vs. Was dein Deutschlehrer denkt, was der Autor meinte.)
War sicher lustig gemeint, und sollte vielleicht einfach die Deutschlehrer auf die Palme bringen. Aber viele Leute scheinen echt zu glauben, das dass an diesen Gedanken etwas dran ist. Und das liegt an einem Missverstehen.
Also: Mir als Lehrer und Leser ist egal, was der Autor meinte. Und hoffentlich – zugegeben, hoffentlich – ist das bei allen anderen Lehrern auch so.
Warum uns egal ist, was der Autor meinte:
(a) wir wissen es ohnehin nicht (es sei denn, wir hätten Briefe von ihm gelesen, und das ist selten der Fall),
(b) der Autor weiß nicht unbedingt, was er tut, und
(c) seine Meinung ist genau so viel oder wenig interessiert interessant wie die Meinung jedes anderen. Autoren meinen sicher oft, sie haben unglaublich witzige und spannende Geschichten geschrieben. Das kann mir aber egal sein, wenn ich die nun mal nicht spannend oder witzig finde.
(2005 habe ich schon mal viel dazu geschrieben, 2014 ein wenig.)
Schauen wir uns das vermeintlich überzeichnete Beispiel oben an. „Die Gardinen waren blau“, schreibt ein Autor, und der Deutschlehrer interpretiert mächtig viel heraus. Dabei meinte der Autor nur: „Die Gardinen waren blau.“
Dass der Autor sich dabei nichts gedacht hat, ist gut möglich. Und doch: Wieso ausgerechnet blau? Die Farbe des Meeres, des Himmels und der Ferne? Ob der Autor das beachsichtigt hat, weiß ich nicht, aber blau ist in unserer Kultur natürlich mit diesen Dingen assoziiert. Und: das bedeutet außerdem, dass derjenige, der das Zimmer eingerichtet hat, der Typ Mensch ist, der blaue Gardinen gewählt hat. Oder dass man das zumindest denkt. Wer schon mal engliche Studentenwohnungen gesehen hat, weiß, was es da für Farbalternativen gibt. Überhaupt: Wer hat denn schon blaue Gardinen?
Es ist eine Illusion, man könnte – als Autor etwa – einfach so eine Farbe zufällig herausgreifen, etwa „blau“. Der Mensch ist völlig dazu ungeeignet, zufällige Daten zu erzeugen. Da lassen sich immer Muster finden. So sehr wir auch Individuen sind: Entscheidungen werden auch getroffen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Normen und Konventionen. Das gilt für Autoren wie für alle anderen ebenso.
Ganz schwach ist, sich darauf zu berufen, die beschriebene Szene sei aber wirklich so passiert, und die Gardinen seien nun mal blau gewesen. Erstens ist sicher nicht alles unverändert geblieben, warum ausgerechnet die Gardinen? Zweitens hätte der Autor auch viele andere Details beschreiben können, lässt die aber sicher weg (ich sag nur: der Lampenschirm); warum werden ausgerechnet die Gardinen genannt?
Und doch müsste man sich eigentlich anschauen, woher dieser Witz, dieses Unbehagen über die Interpretationen der Deutschlehrer kommen. Eine kleine Rolle spielt die genialische Vorstellung vom Künstler als jemand, der mehr zu sagen hat als andere; daneben sind sicher viele Deutschlehrer schuld, wenn sie von Schülern verlangen, den Absichten eines Autors hinterherzuspekulieren; und es liegt an einer allgemeinen Schwierigkeit, Texte als interpretationsbedürftig zu akzeptieren. Aber das gibt dann vielleicht mal einen anderen Beitrag.
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