Im Moment liest mein Kurs gerade Theodor Fontane, Irrungen, Wirrungen. Ein guter, nicht ausgelasteter Schüler fragte mich danach, ob wir nicht mal etwas Schwierigeres lesen könnten.
Leseempfehlungen gebe ich immer gerne, das geht hoffentlich allen Lehrern und Lehrerinnen so, insbesondere mit dem Fach Deutsch. Was heißt schwierig? Ist Irrungen, Wirrungen nicht schwierig genug? Faust ist schwierig und Iphigenie und Nathan, weil die Sprache den Schülern und Schülerinnen fremd ist, aber das war nicht gemeint.
Für die Schule musste ich vertrösten: Im bürgerlichen Realismus gibt es nichts, was sprachlich schwierig ist, da müsse er bis zur Moderne warten. Und dann, ja, Ulysses, Berlin Alexanderplatz, Lyrik des Expressionismus… aber war es das, was er meinte? Wann ist Literatur schwierig? „The past is a foreign country; they do things differently there“ ist der berühmte Anfangssatz von The Go-Between von L. P. Hartley. Die Vergangenheit verstehen, das ist doch immer schwierig; und jedes Werk der Literatur ist auch immer eine andere Welt, die fremd sein kann, auch wenn sie einfach ist.
Mit darstellender Kunst ist es doch auch so. Das hier ist einfach:

Dass ich das nicht malen könnte, darum geht es nicht; das Bild ist einfach zu verstehen. (Glaube ich.) Und trotzdem sehe ich mich nicht satt daran und es fordert mich heraus.
Auf weitere Nachfrage an einem anderen Tag präzisierte der Schüler: Ein Weltbild suche er, das ihn herausforderte, an dem er lernen könnte, und ein Buch präsentiere ja auch immer ein Weltbild. (Ich glaube, das habe ich denen letztes Jahr mal so gesagt, bin mir aber nicht mehr ganz sicher.)
Erzählende Literatur ist für mich zumindest außerhalb der Schule kein Werkzeug, um zu lernen; aber ein Mittel, sich zu bilden – im Sinn der Aufklärung – ist sie auf jeden Fall. Wenn mich Fontane und die von ihm beschriebene Welt auch heute reizen, als Schüler hätten sie mich gelangweilt, gebildet, geformt hätten sie mich nicht. (Unterhalten schon gleich gar nicht.) Das gilt übrigens nicht für den Schüler.
Welche schwierigen Bücher, anders schwierig als Fontane, empfehle ich jetzt dem jungen Mann? Am liebsten im Original auf Deutsch; mir fallen nur Übersetzungen ein. Kurz meine gelesenen Bücher der letzten Jahre durchgesehen:
- Homer, Odyssee
- Ted Chiang, Stories of Your Life and Others
- Isak Dinesen, Seven Gothic Tales
- Charlotte Brontë, Jane Eyre
- Salomon H. Mosenthal, Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben
- Robert Menasse, Die Hauptstadt
- Kazuo Ishiguro, The Remains of the Day
- Rudyard Kipling, Stalky & Co
- Ursula K. Le Guin, The Left Hand of Darkness
- Philip K. Dick, Do Androids Dream of Electric Sheep?
- Martin Amis, Time’s Arrow
Ja, wenig auf Deutsch. Max Frisch? Thomas-Mann-Novellen? Ich suche weiter.
Weitere Empfehlungen aus den Kommentaren zusammengetragen:
- Gabriel García Márquez, Hundert Jahre Einsamkeit
- Ferdinand von Schirach: Der Fall Collini
- Oskar Maria Graf: Das Leben meiner Mutter
- Herta Müller: Atemschaukel
- Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert
- Pia Ziefle: Suna
- Stefan Zweig: Ungeduld des Herzens
- Stefan Zweig: Die Welt von Gestern
- Arno Schmidt: KAFF auch Mare Crisium
- Franz Kafka: Der Prozess
- Jonathan Safran Foer
- Christoph Hein
- Raoul Schrott: Tristan da Cunha (Einsamste Insel der Welt, missglückter Roman rückwärts)
- Matthias Politycki: Der Herr der Hörner (Voodoo in Santiago de Chile; hierzu auch Hubert Fichte?)
- Chris Kraus: Sommerfrauen, Winterfrauen (Subjektive Perspektive auf die Filmavantgarde der 80er Jahre in New York und anderswo)
- Josef Bierbichler: Mittelreich (Bayern Post 1945)
- Herbert Achternbusch: Die Atlantikschwimmer
- Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts (Post-DDR)
- Seiler: Kruso (Wende und Post-DDR)
- Thomas Hettche: Pfaueninsel (Vor-DDR Preußen)
- Juri Brezan: Krabat oder Die Verwandlung der Welt (Sorbischer Mythos)
- Michael Köhlmeier: Das Mädchen mit dem Fingerhut (Minderjähriges Flüchtlingsmädchen in Wien)
- Judith Schalansky: Verzeichnis einiger Verluste
- Timothée de Fombelle: Die wundersamen Koffer des Monsieur Perle.
- Robert Musil, Die verwirrungen des Zöglings Törleß
- Marlen Haushofer, Die Wand
- Gabriele Tergit: Effingers
- Andreas Moster: Wir leben hier, seit wir geboren sind (Wenn es ganz modern zugehen darf. Aber harter Stoff.)
- Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege
- Alexander Lernet-Holenia, Der Baron Bagge
- Karl Philipp Moritz: Anton Reiser. Grosse Empfehlung.
- Gottfried Keller, Das Meretlein
- Grimmelshausen, Der abenteuerliche Simplicissimus
- Günter Grass, Das Treffen in Telgte
- Bettina Brentano: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde
- Max Frisch, Homo Faber / Gantenbein / Montauk (keine „guten“ Bücher, aber mit Weltbild)
- Fritz Zorn, Mars (siehe Frisch)
- Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (siehe Frisch) (Ich rate ab. Auch, weil zu Gemisch aus Fiction und Nonfiction. Herr Rau)
- Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne
- Albert Meyer, Berndeutsche Odyssee parallel zur klassischen deutschen Übersetzung
- Walter Kempowski
- Herbert Rosendorfer, Der Ruinenbaumeister
- Steffen Mensching, Schermanns Augen
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