Ich glaube, ich muss mir einen lustigen Spruch zulegen. Ich werde nämlich nie in Schülerzeitungen oder Abizeitungen zitiert, wirklich nie. Wahrscheinlich bin ich nicht witzig. Hier sind so Sachen, die in der Abizeitung stehen:
Wer Jogginghosen draußen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.
Physik ist schön, man muss es halt können.
Wie seid ihr eigentlich in die 9. Klasse gekommen?
Zum Teil halten die Schüler und Schülerinnen diese Sprüche für witzig; sicher auch, weil sie sie – im Gegensatz zu Lehrern und Lehrerinnen – zum ersten Mal hören. Zum Teil sind sie sicher auch mit der Situation und dem Wesen der Lehrkraft verbunden und aus diesem Zusammenhang heraus erinnernswert oder witzig. Als Außenstehender kriegt man das nicht so mit.
Überhaupt, Außenstehender. Ich glaube, ich werde nächstes Jahr keine Abizeitung kaufen. Lehrer und Lehrerinnen sind nicht Adressaten, das sind alles Insidertexte und Insiderwitze, und dafür zahle ich keine 12 Euro. Da gebe ich diesem Tweet recht und ziehe halt die Konsequenz:
An jedem Gymnasium dürfte es etabliert sein, dass jeder Schüler und jede Schülerin zwei Seiten in der Abizeitung kriegt, eine mit Interviewfragen und Antworten, eine selbst oder von Freundinnen kreativ gestaltete, persönlichere Seite. Interessante Fragen sind die nach bester Schullektüre, was man in 12 Jahren Schule gelernt hat, was man nie verstehen wird, was einen vom Schulabbruch abgehalten hat, was man einem zukünftigen Fünftklässler/einer Fünftklässlerin raten würde. Interessante Antworten sind die, die Fragen ernst nehmen, die meisten sind allerdings aber nur launig-oberflächlich. Alle Fragen bis auf as Geburtsdatum betreffen die Schule, also nichts zu Hobbies (finde ich okay), aber auch nichts zu Instagram oder gar Twitter. Das machen sicher einige Schüler, aber nicht viele, und das ist wohl eher nichts, das man vorzeigen, für das man bekannt sein möchte.
Zu diesem Thema im Telegraph gelesen: Einer Studie zufolge wünschen sich viele Jugendliche, dass alle ihre Internaktivitäten, die sie getrieben haben, als sie noch keine 18 Jahre alt waren, mit der Volljährigkeit gelöscht werden sollten. Weil es so wichtig ist, Fehler zu machen und Dinge auszuprobieren, aber als Erwachsene soll das nicht mehr gegen sie verwendet werden können. Hm, ich sehe das anders.
Die meisten Abizeitungen werfe ich kurz nach dem Lesen weg. Ich würde sie schon aufheben, so als Forschungsgegenstand, wie ich überhaupt gerne alles archivieren würde, habe aber keinen Platz. (Und digital, gerne auch adaptiv statt pdf, ist noch keine Alternative.) Also weg damit, aber zwei oder drei Jahrgänge habe ich noch, darunter meinen eigenen. Hier eine kurze Gegenüberstellung:
1987:
- Erster Satz: „Und hier in der Hallstraße, meine Damen und Herren, sehen Sie das Schmuckkästchen unserer schönen Fuggerstadt, ein Musterbeispiel abendländischer Kultur.“
- 115 Seiten A5, DM 3,-
- Fließtextseiten: 42
- Motto: keines
2009:
- Erster Satz: „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder, Was Sie hier in den Händen halten ist die Abiturzeitung des ersten Abiturjahrgangs des neuen Graf-Rasso-Gymnasiums.“
- 307 Seiten A4, €5
- Fließtextseiten: 18
- Motto: abistokratie
2019:
- Erster Satz: „Liebe Leser*innen, an unserer Verleihung wurden vermutlich genug kitschige Reden gehalten und unsere StufenkameradInnen haben durch die langen WhatsApp-Nachrichten in den letzten Wochen sicher auch erstmal genug von uns gehört.“
- um die 300 Seiten A4 (keine Seitenzahlen), € 12,-
- Fließtextseiten: 1
- Motto: Westminster Abi – der Adel dankt ab
Das mit dem Fließtext ist auch bei dem Abijahrgang meines Neffen so, ebenfalls 2019. Schön gestaltete Abizeitung, aber keine Fließtexte; Beiträge zu Kursfahrten, aber nur als Fotocollagen. Daneben gibt es Balken- und Kreisdiagramme, Zitatschnipsel, Kurz- und Kürzesttexte.
Ich finde das schade und verspüre den Wunsch, darin den Untergang des Abendlandes zu sehen. Aber nun, Zeiten ändern sich. Gute Tweets mag ich selber, Texte diesseits des „erweiterten Textbegriffs“ der Lehrpläne schreiben macht Arbeit, und es verspüren wohl weder die Ersteller der Abizeitungen noch das Publikum ein Bedürfnis danach. Aber schade isses doch.
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