Rollenspielen 2021, und Wasserkrüge

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Im letzten Jahr fiel es aus, 2019 war das letzte Spiel, dieses Jahr machten wir uns wieder daran, die Welt zu retten. Der Ausgangspunkt war London, danach die Midlands, bald waren wir in Belgisch-Kongo, in Leopoldville (heute: Kinshasa). Die Anreise über Lissabon, viele Zwischenstationen, misstrauisch beäugt von verschiedenen Agenten, mit denen wir Katz und Maus spielten, obwohl die wohl gar nicht sehr zur Haupthandlung gehörten. Bald folgten wir den Spuren eines dubiosen Forschers nach New York. Unser Ziel, die Welt vor Nyarlathoteps Chaos zu retten, erreichten wir nicht – vielmehr gab es da nichts zu erreichen, wir stellten uns als Nebenfiguren eines Kampfes heraus, dessen Ausgang wir nicht beeinflusst hatten: Der Forscher hatte uns alle gelinkt, Nyarlathoteps Kultisten wie uns und wie die Nazi-Okkultisten. Große Antiklimax am Ende, das war lehrreich und gar nicht so unschön.

Wie immer reichlich Papierdokumentation. Für jeden Schauplatz gab es Bilder, für jede Nebenfigur Fotos. (Es war nett, dabei Fred Astaire und Errol Flynn zu begegnen und einem jungen Stewart Granger – der Spielleiter bedient sich gerne aus einer Datenbank alter Bilder von Schauspielern und Schauspielerinnen.) Ich schrieb zum ersten Mal auf dem Tablet mit, baute schnell geknipste Fotos in das Dokument ein, so wie meine Schülerinnen und Schüler das in der Oberstufe machen. Deren Handschrift sieht da aber sauberer aus.

(So zwischen zehn und elf nicke ich dann immer am Spieltisch ein. Manchmal hören wir schon um zehn auf, aber wenn es länger dauert, werde ich dann ab elf wieder wach und kann mitmachen.)

Zuhause dann dieser Tweet:

Der Hintergrund ist dieses Bild von Wilhelm Leibl, Drei Frauen in der Kirche, 1882 entstanden. Zusammen mit anderen Bildern befindet es sich in unserem Deutschbuch im Kapitel zum Epochenumbruch um die Jahrhundertwende 1900, und mein Kurs hatte Fragen:

Wilhelm Leibl, Drei Frauen in der Kirche (1882)
Entstanden in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berbling (Bad Aibling)
Jetzt in der Kunsthalle Hamburg
Wikipedia

Nämlich, was das für ein Krug sei. Wasser? Wein? Bier? So richtig befriedigte uns keine Antwort. Auch Twitter wusste keinen Rat, aber schönerweise kam Mirabilia auf die Idee, die Kunsthalle Hamburg anzutwittern, in der das Bild hängt. Die wollten dann auch wirklich einmal schauen, ob sie etwas herausfänden. Und oben also die Antwort: Nein, in der Literatur stehe nichts. Dennoch: Auf dem Weg zur oder von der Kirche noch mal eben Wasser holen? Wem gehört der Krug, der fein gekleideten jungen Bäuerin? Das überzeugt mich nicht wirklich. Erntedank und weihen lassen? Aber dazu fehlen weitere Hinweise auf Erntedank, finde ich.

Vielleicht findet sich ja doch noch mal eine alle befriedigende Erklärung.


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11 Antworten zu „Rollenspielen 2021, und Wasserkrüge“

  1. The Jug Band Pony

    Der Krug ist kein Wasserkrug im eigentlichen Sinn, denn der hätte eine weitere Öffnung und wäre vermutlich auch nicht verschließbar. Zudem waren im ländlichen Raum mit reichlich Wasservorkommen (Bad Aibling) alle Häuser entweder an einem eigenen Brunnen angeschlossen oder verfügten ggf. über eine Zuleitung. Das 19. Jahrhundert war doch nicht mehr Goethes imaginierte frühe Neuzeit (wie etwa in der Brunnenszene in Faust I).
    Der Krug steht links von der Frau, sie muss ihn also wieder aufnehmen, wenn sie die Bank bzw. ihren Platz verlässt. Sie bewegt sich dann Richtung Ausgang der Kirche Mariä Himmelfahrt in Aibling. Dort befindet sich nicht nur das Weihwasserbecken, sondern vermutlich auch die Taufkapelle mit dem hölzernen, fassähnlichen Weihwasserbehälter, aus dem die Gläubigen ihren Hausbedarf schöpfen dürfen bzw. über einen Hahn am Boden in Krüge abfüllen. Das ist in katholischen Kirchen vielerorts heute noch so, z.B. in der Rasso-Kirche in Grafrath.. Weihwasser wurde früher in nicht geringen Mengen verbraucht, bei täglichen Andachten, bei der Segung der Tiere, der Gärten und Felder, aber auch bei jeder täglichen Verichtung, vom Waschen bis zum Kochen.

  2. Anne

    Spannend! (beides, Rollenspiel und Bild-Recherche).
    Meine Oma hat sich immer in einer Flasche Weihwasser für ein kleines Becken an ihrer Schlafzimmerwand geholt. In der Kirche stand dafür einen Spender mit einem Zapfhahn, ähnlich wie die Kaffeestationen in Tagungsräumen.
    Dafür wäre der Krug im Bild eigentlich zu groß, andererseits wurden ja auch Ställe und Tiere gesegnet.
    Oder soll er symbolisch für die nächste, vierte Generation stehen? Wasser des Lebens, bauchige Form…?
    Bin auf eine Auflösung gespannt :-)
    Noch erholsame Ferientage! Anne

  3. Holy Water Pony

    Dass man im protestantischen Hamburg dergleichen nicht weiß, wundert mich nicht. Weihwasser ist typischerweise ein Element, das im religiösen Kontext der weiblichen Sphäre zugeordnet werden kann. Innerhalb der männerzentrierten katholischen Kirche finden sich zahllose alltägliche Formen religiöser Praxis, bei denen Frauen eine eigene Rolle beanspruchten, die ihrer traditionellen sozialen Rolle entsprach. Weihwasser wurde natürlich auch bei der Pflege und Behandlung von Kranken eingesetzt, einer typischen Frauenaufgabe in der traditionellen katholischen Gesellschaft des südlichen Bayern. Daran, dass heute die jüngere Generation dergleichen Code oder Zeichen nicht mehr entziffern kann, sieht man doch den ziemlich großen Abstand, den die heutige Welt zu diesem „damals“ einnimmt. Aber man rennt völlig ahnungslos in einer Pseudo-Tracht aufs Oktoberfest und meint damit genau diese „damals“-Zeit.

  4. Danke euch! Das mit dem Weihwasser klingt gut, ich habe es mal nach Hamburg gemeldet.

  5. Yanthar

    Sehr interessante Informationen zu dem Bild. Der Krug ist weder meinem Kurs noch mir großartig aufgefallen.

    Frage zum Rollenspiel: Ich nehme an, ihr spielt die offizielle Nyarlathotep-Kampagne? Ist sie jetzt abgeschlossen oder geht es noch weiter?

  6. Zum Rollenspiel: Nein, wir spielen eine vom Spielleiter selbst entworfene Kampagne (einmal mit Material aus einem gekauften Oneshot ergänzt). Ich habe Masks of Nyarlathotep nie gespielt, nur gelesen, in einer Kopie der allerersten Fassung – das war vielleicht eine Inspiration, was das viele Reisen betrifft? Unsere Kampagne begann 1931, glaube ich, wir haben inzwischen Ende 1941, und es zeichnet sich ab, dass es noch bis 1945 gehen wird. Mythos mit einem Hauch Indiana Jones und Hellboy, vielleicht.

  7. Uns fehlen vielleicht dann doch die großen Volkskundemuseen, die eine Antwort auf so etwas bereit haben. Ich frag nochmal bei den Österreichern nach; der kulturelle Unterschied ist dann doch nicht so groß.

    Ist das Bild nicht in Berbling entstanden? Unser Gartenbauer, der glatt aus dem Personal der Sendlinger Mordweihnacht hätte stammen können, war von dort.

  8. Pony going backwards

    #Sabine. Doch Berbling stimmt, da hängt auch eine Kopie vom Bild. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass die Frauen in der Hauptkirche von Bad Aibling sitzen, das wäre besagte Marienkirche. Aber die Historie der Bildenststehung ist ja gut dokumentiert.

  9. Simone

    Hallo Herr Rau,
    ich habe spontan an einen Ölkrug gedacht, wegen der recht kleinen Öffnung. Google bietet dazu zB: https://www.xn--antik-sammlerbrse-d0b.de/Grosser-und-frueher-Oel-Krug-18-Jahrhundert

    Warum ein solcher mit in die Kirche genommen wurde, weiß ich auch nicht.

    Liebe Grüße
    Simone

  10. Danke, diese Idee hatte noch niemand genannt. Gut möglich. Für einen regulären Wasser- oder Bierkrug wäre die Öffnung tatsächlich sehr klein.

  11. […] Fortsetzung vom letzten Jahr. (Die Kampagne läuft seit 2009, einmal im Jahr wird vier Tage lang gespielt.) Alles begann mit einem zufälligen Aufeinandertreffen in New York im Jahr 1933, seitem waren wir in Mandschuko und Ägypten, im Kongo, der Schweiz, in Dublin, Nevada, Venezuela, im Harz, in Polen, in Nepal, in Görlitz, in den Pyrenäen, Berlin, London, Schottland – das sind die Orte, die mir gerade einfallen. Inzwischen ist 1942, und die geschichtliche Entwicklung unterscheidet sich immer mehr von der in unserer Welt: die okkulte Unterstützung verhilft den Nazis zu mehr Erfolgen. Wenn man dem Titel der selbst geschriebenen Kampagne glauben mag, geht sie bis 1945, und dann sehen wir weiter. […]

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