Beim Blättern in Handreichungen in der Schule stieß ich auf eine Handreichung „Ästhetische Bildung“ aus dem Jahr 2009. Da drin das Erwartete, fast nur die üblichen Verdächtigen – Kunst, Sport, Musik, Sprachen. Naturwissenschaften und Mathematik oder Informatik kommen nicht vor, dabei könnte man Mandelbrotmenge machen oder algorithmisch generierte Grafiken, Serpinski-Dreieck oder diese Farne, die schon zu meiner Schulzeit im Jahresbericht abgebildet waren. Gut, das ist alles Informatik; vielleicht gibt es in den anderen Fächer aus diesem Bereich wirklich nichts.
Ein Beitrag in der Handreichung ist aber doch interessant: „Reflektiert genießen: Genusserziehung im Bereich des Kulinarischen.“ 9-10 Stunden Vorbereitung, dazu ein abschließender Restaurantbesuch. „[Des Lehrers] kulinarisches Sendungsbewusstsein sollte ihm über die Unbequemlichkeiten und Mühen bei der Vorbereitung der einzelnen Unterrichtseinheiten hinweghelfen.“ Am besten mache man das im Frühsommer, „weil er sowohl atmosphärisch als auch kulinarisch den Sinnen sehr viel Nahrung liefert.“
Die einzelnen Abschnitte des Projekts:
- Was ist Genuss?
- Natürliche und künstliche Aromen.
- Geschmackskombinationen mit Kräutern.
- Musikalische und kulinarische Harmonie.
Das ist ein wenig preziös. Die Schüler und Schülerinnen kriegen ein mehrteiliges Häppchen, sagen wir: Mozzarella – Tomate – Basilikum. Und die Bestandteile werden erst einzeln gegessen, wobei jeweils ein Ton eines Dur-Akkords dazu gespielt wird. Und dann alles zusammen mit dem ganzen C-Dur Akkord – weil Geschmackskombinationen ebenfalls misstönig sein können. Hm. Da müsste man auch über Moll und Jazz-Akkorde sprechen. – In dieser Doppelstunde geht es auch um das passende Getränk zum Essen. - Die gemeinsame Mahlzeit: Tisch, Essen und Menschen.
- Restaurantbesuch.
„Jeder genusskompetente Lehrer kennt in seiner Stadt ein Lokal…“ Als Beispiel wird genannt: Antipasti, Spaghetti, Scaloppine, Pannacotta. Ziel ist, zu erleben, „wie schön ein gemeinsames Essen ohne Hektik, mit viel Zeit zum Plaudern ist. Der Lehrer achtet auf die Einhaltung der erarbeiteten Regeln und gibt, wenn nötig, Hinweise zur Verbesserung der Tischsitten.“
Der Tonfall ist ein wenig albern, ich vermute, da hat jemand Spaß beim Schreiben gehabt, und ich bin mir nicht sicher, dass das jemals so durchgeführt wurde. Insbesondere das mit den Akkorden.
Aber die Idee ist reizvoll. Warum immer nur Steuererklärung, und Tischsitten lediglich im Rahmen der Benimmerziehung – schöner ist es, das unter dem Motto des Genusses zu betreiben. Selber etwas in der Schule zu kochen ginge natürlich auch, sofern es etwas Einfaches ist – lieber wenig Aufwand und gut zubereitet als mit ungeeignetem Werkzeug zu arbeiten. Als Alternative zum Theaterbesuch, der natürlich ebenfalls eine schöne Sache ist.
Wie viel Soziologie, wie viel Schicht- und Klassendenken steckt in gutem Essen? Das müsste man wohl auch thematisieren. Der Plan oben geht davon aus, dass die Schülerinnen und Schüler erst einmal keien Ahnung von Genuss haben. Ich glaube nicht, dass das ganz so zutrifft, und würde ihnen auf jeden Fall Gelegenheit bieten, mehr eigene Inhalte zu dem Projekt (ein Seminar! es wäre natürlich ein Seminar) beizutragen – jede Stunde von anderen Schüler*innengruppen gestaltet. Rezepte aus bestimmten Regionen, mit bestimmten – leicht zu kombinierenden oder ungewohnten – Zutaten. Aber spätestens jetzt ab jetzt klingt das leider völlig normal und machbar und gar nicht mehr nach ästhetischer Bildung.
(Die Handreichung Ästhetische Buildung ist nicht mehr lieferbar.)
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