In einem schönen Podcast davon gehört und gelesen. Harold Lamb (1892 – 1962) war ein amerikanischer Autor von Abenteuergeschichten und populären Sachbüchern mit historische Themen (Kreuzzüge, Dschingis Khan), später auch von Drehbüchern. Am bekanntesten ist er aber wohl für seine frühen Geschichten, die 1917-1920 und dann noch einmal 1925-1926 iom Magazin Adventure erschienen sind (hier die Ausgabe März 1918 bei archive.org).
Also habe ich mir eine Auswahl seiner Geschichten von Wildside Press besorgt, ohne Kopierschutz, digital, für 0.99 Dollar, leider mit einigen sehr vielen Schreibfehlern:

In vier der 18 Geschichten geht es um Khlit, und die haben mir so gut gefallen, dass ich mir alle Khlit-Geschichten besorgen werde. Sie spielen zum Ende des 16. Jahrhunderts in Osteuropa und Zentralasien, Ausgangspunkt ist die Ukraine. Die erste Geschichte wurde im Jahr 1917 veröffentlicht, dem Jahr der Oktoberrevolution in Russland.
Khlit ist ein Kosake. Es ist schön, mal Abenteuer an von hier aus exotischen Orten zu lesen, bei denen keine Westfigur der Held und Retter ist. Aber was weiß ich schon von Kosaken? Beim Blauen Bock gab es den Donkosakenchor (Youtube, Filmausschnitt; bei Wikipedia Interessantes zur Geschichte), und bei James Bond ging es mal um die “Lienzer Kosakentragödie“ (Wikipedia). Aber ich lerne ja beim Lesen, und parallel schlage ich viel nach.
Khlit ist ein Saporoger Kosake, aus dem Saporoger Sitsch. Das war ein mehr oder weniger autonomes, staatenähnliches Gebilde, siehe auch Hetmanat, mit “rudimentären Elementen demokratischer Verfassung“ (Wikipedia). Das „siehe auch“ bedeutet, dass ich da nicht ganz firm bin, auch weil Sitsch oft metonymisch für das ganze Gebilde verwendet wird. Das hielt sich in dieser Form zweihundert Jahre, im Grenzgebiet zwischen osmanischem Reich, Russland und Polen, bevor es zwischen diesen Mächten aufgerieben und aufgeteilt wurde. Die Kosaken selber: Letztlich hauptsächlich ostslawische Gruppen, aber keine einheitliche Ethnie, geflüchtete Leibeigene, ein zusammengewürfeltes Reitervolk.
Im Zuge der Lektüre wieder in Erinnerung gerufen: Schwarzes Meer, Asowsches Meer, Kaspisches Meer. Neu nachgeschlagen: wo sind gleich wieder Astrakhan und Samarkand? Alles Namen, die ich kenne, und von denen ich zu wenig weiß. Überhaupt, die Namen, ich lese sie gerade immer wieder in den Nachrichten – angefangen beim Saporoger Sitsch, teilweise auf dem Gebiet der heutigen Oblast Saporischschja. Wie gesagt, die Nachrichten.
Wenn man Harold Lamb heute liest, dann ist man wahrscheinlich über Robert E. Howard auf ihn gestoßen. Howard war in den 1920er und frühen 1930er Jahren ein Autor von Action- und Gruselgeschichten, vor allem aber von historischen und enorm prägenden unhistorischen Serienheld-Abenteuergeschichten. Historisch: Kreuzzüge, Wikinger, Dalriada; semi-historisch: Bran Mak Morn und die Pikten, Solomon Kane der Puritaner – schon angereichert mit übernatürlichen Elemente. Ganz unhistorisch: Erst König Kull vor fiktiven 100.000 Jahren, dann Conan der Barbar vor fiktiven 10.000 Jahren. Jetzt mit richtig viel Monstern und Magie: Das Genre Sword & Sorcery war entstanden.
Conan streift mit seinem Schwert durch seine Fantasy-Welt, die grob – sehr grob – an unsere Welt angelehnt ist. In einem ausführlichen Essay erzählt Howard die fiktive Geschichte dieser Welt von Kull bis Conan, dessen Welt im Osten von einem großen Binnenmeer begrenzt wird, dem Vilayet-Meer, um das herum sich Conan ein Piratenreich erschaffen wird (später wird er dann König anderswo). Dieses Meer ist der Vorläufer des Kaspischen Meers, wo Khlits Abenteuer beginnen (der später anderswo und zwischendurch Großkhan wird, aber so weit bin ich noch nicht).
In der Welt von Khlit gibt es reale Orte und Herrscher und es gibt bereits Pistolen, die aber noch nicht sehr zuverlässig sind und keine Rolle spielen. Zauberei und Monster gibt es keine. Davon abgesehen könnten die Abenteuer von Khlit auch in Conans Welt spielen, da taucht auch nicht in jeder Geschichte Magie auf. Und das Glaubensbekenntnis der Kosaken könnte auch das von Conan sein:
- „When one was born the father laid his sword beside it, saying— ‚Well, Cossack, here is my only gift to you, whereby to care for yourself and others.’“
- „He [Crom, Gott der Cimmerer] is grim and loveless, but at birth he breathes power to strive and slay into a man’s soul. What else shall men ask of gods?“
Aber es gibt wichtige Unterschiede. Für Khlit spielt sein Christentum eine Rolle, auch wenn er es nicht groß praktiziert. Anders als Conan ist er bärtig und raucht Pfeife. Khlit und Conan sind erfahrene Kämpfer, aber in den vier Khlit-Geschichten erleben wir nur einen Zweikampf, und diesen nicht als Selbstzweck-Höhepunkt, sondern als ein notwendiges Plot-Element. Denn Khlit löst seine Probleme durch kluge Ideen. Zumindest in den drei besten der vier Geschichten, die ich gelesen habe, ist Khlit fast eine odysseushaft listenreiche Figur (zu diesem Vergleich später mehr), auch in der vierten ist er kein Kämpfer, aber eher passiver Akteur in den Plänen anderer. Khlit ist sehr wenig an Reichtum und Schätzen interessiert; Conan strebt immerhin danach, weil er das dann für Frauen und Wein ausgeben kann. Beides spielt für Khlit keine große Rolle. Und vor allem: Bereits in der ersten Geschichte ist Khlit nicht mehr jung, sondern grauhaarig; sein Ziehsohn spielt eine wichtige Nebenrolle. (In den letzten Geschichten geht es wohl bereits um die Enkelgeneration, Khlit kann da schon lange nicht meh kämpfen.) In der dritten Geschichte muss Khlit bereits seine Kosaken-Gemeinschaft verlassen, weil sie ihn für zu alt zum Mitkämpfen hält.
Ich glaube, Lamb schreibt besser als Howard. Definitiv mit weniger Floskeln, realistischer ganz sicher, weniger melodramatisch. Auch seine Plots sind überlegter. Dennoch hat Howards Bombast schon auch etwas, das zum Lesen reizt.
In diesem englischsprachigen Artikel einer ukrainischen Zeitungs-Webseite von 2015 wird Khlit einem ukrainischen Publikum vorgestellt – wenn es schon so einen ukrainischen Abenteuerhelden gibt, soll man ihn dort auch kennen. Dort steht auch der Odysseus-Vergleich: „American researchers call him a ‚hero of Odyssean wit’“ – der sich in zweifelhafterem Englisch und ohne Quellenangabe im Wikipedia-Artikel über Khlit findet: „Some of american researchers call Khlit a “hero of Odyssean wit’“ – da hätte mich schon sehr der Ursprung interessiert. (Nachtrag: Eine Fundstelle ist auf jeden Fall Howard Andrew Jones im Vorwort zu seiner Sammlung Wolf of the Steppes.)
***
Die anderen Geschichten in meinem Megapack habe ich noch nicht alle gelesen. Die bisherigen gefallen mir allerdings deutlich schlechter:
- Eine Abenteuergeschichte um Francis Drake, bei denen zwar die Rahmendaten stimmen, die mir dennoch sehr unhistorisch zu sein scheint. Dass die Spanier ihn El Draque nannten, stimmt aber. Eine sehr frühe Geschichte – andererseits erschien auch “Khlit“ im gleichen Jahr, dem ersten Jahr von Lambs Veröffentlichungen überhaupt.
- Dann gibt es eine ganz schlimme, klischeehafte Krimi-Geschichte um gestohlene und in einer chinesischen Figur versteckte Juwelen, mit einer aufgesetzten Liebesgeschichte. Erschienen in Argosy, nicht Adventure, aber eigentlich ähnlicher Markt.
- Eine etwas in die Länge gezogene Kipling-Geschichte, Indien, weißer Offizier befreit ein Dorf von Kali-Jüngern. Etliche Versatzstücke.
- Ein bretonischer Navigator als Sklave unter Bayezid I (dessen Helm ich im Louvre gesehen, aber nicht fotografiert hatte). Nach der Flucht Intrigen in Venedig, dann wieder Zentralasien. Deutliche Vorzeichen von Robert E. Howard, “The Lion of Tiberias.“ He, selbst Friedrich Schiller hatte seinen “Der Geisterseher.“
- Eine weitere Indien-Episode, klischeehaft, mit unglaubwürdiger Liebesgeschichte und unglaubwürdigen Einheimischen. Weit entfernt von Khlit.
Und jetzt frage ich mich: Sind die Khlit-Geschichte eigentlich auch so klischeehaft wie diese Krimigeschichte und ich merke es nur nicht, weil ich mit der Welt dieser Geschichten weniger vertraut bin? Alle Geschichten mit westlichen Helden (Bretagne, Schottland) oder Schurken (Russland, Finnland) sind nicht besonders, daran kann es auch liegen – es ist halt dann doch stets das Weiße-Retter-Topos.
Nachtrag: Ich habe einige, aber bei weitem nicht alle, der späteren Khlit-Geschichten gelesen. Die sind deutlich länger und nicht so gut.
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