Texas-Jim auf Twitter hat mir Alaska-Kid empfohlen: So heißt „Smoke Bellews“ in vielen Übersetzungen auf Deutsch, weil dieser Spitzname schlecht zu übersetzen ist.
Das Buch ist eine Sammlung von zwölf Geschichten, die Ende des 19. Jahrhunderts zur Goldrausch-Zeit in der Stadt Dawson am Klondike spielen, wo Kanada an Alaska grenzt. Die Geschichten um die Hauptperson Christopher „Smoke“ Bellew und seinen Partner Shorty sind chronologisch angeordnet und mit wiederkehrenden Figuren, ergeben zusammen aber doch eher kein romanhaftes Ganzes – es sind Episoden. Ich mag dieses Format und empfehle das Buch.
Die erste Geschichte
Die erste Geschichte ist neben der zweiten am realistischsten und allein schon lesenswert. Christopher Bellew, 21 Jahre, privates Einkommen, landet nicht ganz freiwillig bei einer Zeitschrift in San Francisco, deren Herausgeber es immer wieder gelingt, ihn freundlich bis aufs letzte auszunutzen, unbezahlt natürlich. So nimmt Bellew das gar nicht recht ernst gemeinte Angebot seines Onkels an, ihn und zwei Cousins zum Klondike zu begleiten – der Onkel hält Bellew nämlich für einen verweichlichten Taugenichts. Und tatsächlich fällt Bellew die erste Zeit in Kanada schwer. Anschaulich werden die letzten, schwierigsten Schritte der Anreise beschrieben: hin zum und über den Chilkoot-Pass zwischen Kanada und Alaska. Alles zu Fuß. Mit 900 kg Gepäck pro Person, darunter Lebensmittel für ein Jahr. Den Großteil trägt man selber, indianische Träger sind rar und teuer. Das heißt, man bewegt sich eine Meile pro Tag fort und geht dabei beständig hin und her, um nach und nach alles von einem Lagerpunkt zum nächsten zu tragen. So sah das aus:


Wikipedia entnahm ich, dass im Lucky-Luke-Band „Am Klondike“ (1996) Jack London als Nebenfigur auftaucht, aber nach der Überquerung des Chilkoot bereits genug hat und den Rest erfindet. Zumindest teilweise erzählt London nämlich tatsächlich von eigenen Erfahrungen.
Smoke als Held
Smoke ist nach der ersten Geschichte zwar offiziell noch lange ein Greenhorn, meistert aber alle anfallenden Aufgaben, jedenfalls was das Zurechtkommen in der Natur betrifft, wie ein old-timer:
So quickly, so deftly and methodically, did they go about making a temporary camp, that Joy, watching with jealous eyes, admitted to herself that the old-timers could not do it better.
Mit Schlittenhunden kennt er sich aus, ein Boot einen reißen Fluss entlang kann er, und wenn er auch am Ende eines Kapitels zugibt, keine Ahnung von der Jagd zu haben, so verspricht ihm sein Partner, ihm das beizubringen, und das war es dann auch.
Jack London selbst hat durch Skorbut vier Vorderzähne verloren; so etwas geschieht im Buch nur anderen. Und in einer Geschichte befindet sich der ja eigentlich unerfahrenere Smoke in der Gesellschaft der ungemein erfahrenen Joy Gastell, dem love interest im Hintergrund und am Yukon aufgewachsen. Aber es ist Joy, die mit den Beinen durch eine dünne Eisplatte bricht, so dass Smoke schnell ein Feuer macht, ihr beim Ablegen der natürlich sofort steifgefrorenen Socken und Strümpfe und Hose hilft, die Beine mit Schnee einreibt, bis Joy sich am Feuer wärmen kann. Was für eine verpasste Gelegenheit: Ich hätte lesen mögen, wie sie das bei ihm macht!
Die Nähe zum Tall Tale
Die nächsten Geschichten sind etwas weniger realistischer, fast schon launig, wenn auch nicht ganz O. Henry. Zum Beispiel legt Smoke Bellew einen örtlichen Roulette-Besitzer herein und wird ein anderes Mal selber von Joy Gastell und ihrem Vater hereingelegt. Alles nicht so dramatisch, einen Beutel mit Goldstaub und Goldnuggets hat eh jeder. In einer Geschichte geht es um einen komplizierten Trickbetrug, bei dem es um sämtliche Eier in Dawson (ein paar Tausend) geht – eine Geschichte, wie sie auch ein Abenteuer von Dagobert Duck in seinen Jugendjahren am Yukon hätte sein können. „Back to the Klondike“ war die erste dieser Geschichten, natürlich von Carl Barks, der – entnehme ich Wikipedia – zu der Zeit, als die Disney-Comic-Künstler alle anonym arbeiteten, den Fans bereits als „The Good Duck Artist“ bekannt war.
(Ein anderes bekanntes Klondike-Epos ist „The Shooting of Dan McGrew“ von Robert W. Service.)
Später findet und verliert Smoke den „Suprise Lake“, einen legendären See, auf dessen Boden man gediegenes Gold klumpenweise findet – aber schwer zu erreichen, und von allen, die ihn fanden, hat keiner je den Weg dorthin zurück gefunden. Das ist schon sehr mythisch, aber in späteren Geschichten wird der See wiedergefunden und es gibt Pläne, ihn abzulassen, um das Gold einzusammeln; das geschieht aber eher am Rande.
Und dann gibt es ein phänomenales Schlittenhunderennen. Der Hintergrund: Ein abgesteckter millionenschwerer Claim ist nicht innerhalb der vorgesehenen Frist eingetragen worden, weil der vorläufige Besitzer spurlos verschwunden ist. Dazu müssen alle Kandidaten, die den Claim gerne für sich hätten, Schlag Mitternacht mit dem Ablauf der Frist zuerst den Claim neu abstecken (zwei Mittelpfähle und sechs Eckpfähle), sich dann zehn Meilen zu Fuß zum zugefrorenen Fluss (=Wegstrecke) durchkämpfen, um dort hundert Meilen mit ihren Hundeschlitten (Staffeln im fliegenden Wechsel) zur Stadt Dawson zu rasen, wo der erste, der den Anspruch auf dem Amt registriert, der neue Claim-Besitzer wird. Ich sehe Donald Duck vor mir, wie er den Schlitten lenkt, die Neffen als helfende Hände, während Dagobert im Hintergrund Intrigen spinnt. Nicht umsonst ist einer der Teilnehmer – bei Jack London, nicht beim hypothetischen Carl Barks – ein „Baron Von Schroeder, an emperor’s favourite with an international duelling reputation“. Leider benimmt der sich dann völlig harmlos, zwirbelt nicht mal seinen Schnurrbart. Das sehe ich mehr Möglichkeiten in der Duck-Variante.
Schlittenhunderennen
Apropos Schlittenhunderennen. Meine erste Begegnung war ein Cartoon von James Thurber. Einer seiner schnurrbärtigen untüchtigen Männer steht auf einem kleinen Schlitten, ein angeleinter großer Hund, wie er für Thurber typisch ist, dreht sich skeptisch nach ihm um; die Bildunterschrift – dem Mann zuzuschreiben ist der Ausruf „Mush!“ ist. Wie viele Thurber-Cartoons bleibt auch dieser kryptisch, selbst wenn man irgendwann einmal lernt, dass mushing das Arbeiten mit Hundeschlitten heißt (auch in der schneelosen Variante des „urban mushing“: canicross, bikejoring, scootering, carting, sulky und skatejoring – frage nicht) und mush das Kommando für „vorwärts, los“ ist. Weil, natürlich habe ich inzwischen zum Thema Dog-Sledding-For-Beginners recherchiert, und zum Claim-Abstecken damals und heute auch.
Die letzte Geschichte
Die letzte Geschichte ist die längste und schlechteste. Smoke gerät in die Gefangenschaft eines entlegenen Indianerstamms, angeführt von einem Schotten. Der lässt schon seit Jahren nicht zu, dass Fremde von diesem Stamm erfahren; wer zu ihm stößt, muss auch dort bleiben, Smoke soll die – weiße, artig Englisch sprechende – Tochter heiraten. Zwischen den Zeilen geschieht da auch wohl etwas, aber letztlich verhilft sie Smoke zur Flucht und begleitet ihn. Er überlebt die Strapazen, auch weil sie sich letztlich für ihn opfert, aus lauter Liebe.
Schlecht ist die Geschichte wegen der kitschigen Liebesgeschichte, wegen der Indianer, die dann doch nur Nebendarsteller sind (anders als der Schotte und seine Tochter). Als primitive werden sie bezeichnet, nicht böse gemeint, aber auch nicht hinterfragt. Die Frauen sind nicht hübsch und haben keine schönen Stimmen – anders als Labiskwee natürlich, die Häuptlingstochter: „All the pristine goodness of her sex was in her, uncultured by the conventionality of knowledge or the deceit of self-protection.“
Immerhin: Die tödliche Flucht durch die eisige Bergwelt hat fast etwas von den Mountains of Madness von H. P. Lovecraft:
All through the night the sand-frost drove by, and in the full light of a clear and wind-blown day, Smoke looked with swimming eyes and reeling brain upon what he took to be the vision of a dream. All about towered great peaks and small, lone sentinels and groups and councils of mighty Titans. And from the tip of every peak, swaying, undulating, flaring out broadly against the azure sky, streamed gigantic snow-banners, miles in length, milky and nebulous, ever waving lights and shadows and flashing silver from the sun.
Schreibe einen Kommentar